OB Manfred Rommel mit Norbert Blüm in den 1970ern im Rathaus-Paternoster – eine kleine Hommage an den Paternoster in unserer Bildergalerie. Foto: Hüdig

Stuttgart war mal Paternoster-Weltmeister: Im Tagblatt-Turm lief 1928 der längste „Umlauf-Aufzug“ der Welt über 15 Stockwerke. An diesem Dienstag wird im Rathaus das Ende eines nicht verstandenen Berliner Verbots gefeiert. Im Stuttgart-Album erinnern sich Leser an ihre Paternoster-Erlebnisse.

Stuttgart - Der eine musste den Kopf einziehen, beim anderen ist noch viel Luft nach oben: Stuttgarts Oberbürgermeister im Paternoster waren schon immer ein schönes Fotomotiv. Manfred Rommel nahm den damaligen Arbeitsminister Norbert Blüm mit hinauf. Wolfgang Schuster (der fast zu groß für diese Art von Aufzug ist) eskortiere Heinrich Geißler bei den Schlichtungsverhandlungen für Stuttgart 21 in dem sich unermüdlich drehenden Stolz der Stadt.

Das ist in der Politik so wie beim Paternoster: ständig geht es auf und ab. Von Fritz Kuhn gibt es dieses hübsche Bild zu Beginn seiner Amtszeit, auf dem man im Vordergrund die Verbotsschilder sieht und im Hintergrund den neuen Chef im Haus, der noch etwas unsicher dasteht und sich vorsichtshalber mit einer Hand festhält.

Unerschrockene fahren natürlich freihändig im „Beamten-Bagger“, wie man den Aufzug genannt hat. Und es gibt ganz Wagemutige, die sich noch mehr trauen, wie Stefan Heinrichs auf der Facebook-Seite unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album notiert hat: „Ich habe bei der AOK Stuttgart gelernt an der Breitscheidstraße. Während meiner Lehrzeit haben wir Azubis uns den Spass erlaubt und während der Überfahrt einen Handstand gemacht. Wir sind quasi auf dem Kopf hinuntergefahren. Im obersten Stockwerk saß die Geschäftsleitung - die uns Gott sei Dank nie erwischt hat.“

Der erste Paternoster ging 1876 im General Post Office in London in Betrieb

Vor knapp 140 Jahren ist der Paternoster in England erfunden worden. Der erste Aufzug dieser Art ging 1876 im General Post Office in London in Betrieb, von Dampfkraft angetrieben. In Deutschland war Hamburg die erste Stadt, die dieses Prinzip übernahm: An zwei Ketten hängende Einzelkabinen werden in ständigen Umlauf gebracht.

In der Geschichte des Paternoster, der seinen Namen dem Rosenkranz verdankt, der Zählkette für Gebete, bei der das Vaterunser (Paternoster) gesprochen wird, spielt Stuttgart eine wichtige Rolle. Als 1928 der Tagblatt-Turm eröffnet worden ist, befand sich darin der längste Paternoster der Welt – er lief über 15 Stockwerke. In den 1960ern war Schluss damit. Da wurden zwei „normale“ Aufzüge in das Hochhaus eingebaut.

Facebook-Besucher Jürgen gesteht auf der Internet-Seite des Stuttgart-Albums, was ihm vor 50 Jahren Spaß gemacht hat: „1963 habe ich mit meinem Vetter öfter in dem Scherzartikel-Laden der Sophienstraße Stinkbomben gekauft. Die haben wir dann in die Paternoster von Tagblatt-Turm und Rathaus geworfen und aus Entfernung die Reaktionen beobachtet.“ Kommentar von Heidi Lenz: „Ach du warst das.“

Gisela Salzer-Bothe berichtet von der Mutprobe von Kindern: „Mit fünf Jahren sind wir bei Möbel Mann/Schuhaus Schöpp im Paternoster oben nicht ausgestiegen. Ich hatte Angst und dachte, da kommt man mit dem Kopf zuerst runter." Doch es kann nichts passieren:Die Kabine wechselt einfach die Seite und fährt wieder nach unten.

Und Uta Loreck erinnert sich auf unserer Facebook-Seite: „Auch ich habe bei der AOK Stuttgart die Ausbildung gemacht und bin so gern Paternoster gefahren. Bevor der Betrieb eingestellt wurde, gab es noch eine Paternoster-Abschiedsparty.“

In Stuttgart gibt’s nun eine Paternoster-Eröffnungsparty. Nach dem Stillstand, für den das Bundesarbeitsministerium gesorgt hatte, wird an diesem Dienstag, 12.30 Uhr, im Rathaus das Ende der Zwangspause gefeiert. Anfang Juni war die umstrittene Verordnung in Kraft getreten, wonach „Personenumlauf-Aufzüge“ nur noch von Beschäftigten benutzt werden dürfen, die vom Arbeitgeber eingewiesen wurden. Für Besucher waren sie nicht mehr zugänglich. Der Protest blieb nicht ohne Wirkung. Die Bundesregierung kippte schließlich das Verbot.

Bürgermeister Werner Wölfle ist froh. „Ich habe versucht, zu recherchieren, wo es jemals ein Todesfall gab“, sagt er, „es ist mir nicht gelungen.“ Seit 1974 sind in Deutschland keine Paternoster mehr in Betrieb gegangen. Jetzt dürfen die Restbestände wieder ihr langsames Tempo aufnehmen.

Die Liebe zur Nostalgie hat über Bürokraten gesiegt. Bitte einsteigen!

Diskutieren Sie mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart. Im Silberburg-Verlag gibt’s zwei Bücher zur Serie.