Rainer Braun, der das sagenumwobene Stuttgart-Modell gekauft hat, zeigt einen kleinen Teil der Anlage bei der Modellbau-Schau auf der Landesmesse. Foto: Fotoagentur-Stuttgart

Es ist der weltweit größte Nachbau einer Innenstadt – doch kaum einer durfte ihn sehen. In 30 Jahren hat der Bahn-Mitarbeiter Wolfgang Frey den Stuttgarter Kopfbahnhof samt Umgebung an einem geheimen Ort detailgetreu geschaffen. Jetzt wurde die sagenumwobene Modellanlage nach Herrenberg verkauft.

Stuttgart/Herrenberg - Mitten in Stuttgart, in den Räumen eines S-Bahn-Aufgangs, existiert ein zweites Stuttgart – 160-mal kleiner als das Original. Komprimiert auf 750 Quadratmetern ist eine Eisbahnwunderwelt entstanden – meist fantasiereich aus einfachen Mitteln erstellt. Aus einem handelsüblichen Labello-Stift etwa hat der 2012 im Alter von 52 Jahren verstorbene Wolfgang Frey ein Zementsilo gemacht. Der Grundkorpus des Bülowturms ist eine Keksdose. Aus Tampons, die in Wasser aufquellen, bastelte er Bäume, aus Stecknadeln Laternen, aus Radiergummis Autos.

Dass der Modellbauer zeitlebens bei manchen Zeitgenossen als „Spinner“ galt, hat ihn nie gestört. Geradezu besessen war der schwäbische Tüftler davon, seine Heimatstadt in der Ansicht der 1980er Jahre im Maßstab 1:160 detailverliebt für die Nachwelt zu dokumentieren. Aus Brandschutzgründen durfte er sein Klein-Stuttgart nicht für die Öffentlichkeit öffnen, weshalb daraus ein Mythos geworden ist.

Viele sprachen darüber, doch kaum einer hat’s gesehen. Aufsehenerregende Fotos geisterten durch Fachmagazine. Der Aufenthaltsort war über Jahrzehnte ein streng gehütetes Geheimnis. „Schlummernd in dem Stuttgarter S-Bahnhof, blieb die einzigartige Anlage Besuchern unzugänglich“, sagt der Herrenberger Unternehmer Rainer Braun, „aber das wird sich jetzt ändern.“

Eröffnung des „Stellwerk S“ für Sommer 2017 geplant

Dass sich dies ändert, liegt an Braun, dem neuen Besitzer von Freys Supermodell auf der Spur N. Schon im Jahr 2011 hatte der Unternehmer, der selbst ein großer Modelleisenbahnfan ist (sein Großvater war bei der Bahn), versucht, Kontakt zu Wolfgang Frey aufzunehmen. Damals wurde nichts aus einer Zusammenarbeit. Nach dem viel zu frühen Tod des Erbauers bot ihm die Witwe das Werk ihres Mannes zum Kauf an. Sie will, dass es erhalten bleibt. Um den Verkaufspreis wurde Stillschweigen vereinbart. Da an dem ursprünglichen Aufenthaltsort kein öffentlicher Museumsbetrieb möglich ist, will der 54-jährige Rainer Braun die komplette Modelleisenbahnanlage in einem bisherigen Restaurant in Herrenberg an der Nagolder Straße aufbauen. Geplant ist die Eröffnung im Sommer 2017.

Der Umzug ist das größte Problem. Denn die Anlage besteht aus Pappe, Plexiglas, Trinkhalmen und Verpackungsmaterial. Einzelteile könnten zusammenfallen, wenn man sie verpflanzen will. Als Braun kürzlich auf der Modellbau Süd auf der Landesmesse zum ersten Mal einen kleinen Teil der riesigen Anlage ausstellte, kippte das Kaufhof-Parkhaus um.

Die Nachbauten sind so gut, dass sie wie Fotografien wirken

Stuttgart in den 1980er Jahren. Das war die Zeit, als der Hauptbahnhof noch nicht flügellahm war, als es einen Güterbahnhof auf dem heutigen Gelände des Europaviertels gab. Aus dem Bahngebäude hinterm Parkplatz ragte ein Schornstein empor.

Freys Nachbauten sind so gut, dass sie wie Fotografien wirken. Das Bahnbetriebswerk und die Deutsche Post sind als feste Größe auf dem Gelände des Hauptbahnhofs integriert. Möglichst authentisch und immer im Maßstab 1:160. Über 50 000 Fotos hatte der Konstrukteur „teils auch illegal“ geschossen, wie er einst zugab, um Vorlagen für jedes Haus, jeden Baum, jede Straßenlaterne zu haben. Anfang der 80er Jahre nahm die Polizei ihn in Gewahrsam, als er die Bundesbahndirektion ablichten wollte. Man hielt ihn für einen Terroristen. Er wurde mit dem Streifenwagen zu seiner Modellanlage gefahren. Dann erst durfte er gehen.

Ständig war Wolfgang Frey auf der Suche nach Baumaterialien. Er legte Wollfäden in grüne Farbe und Weißwein ein, um die Weinberge wachsen zu lassen. Die Eisbären in der Wilhelma waren mal Kühe, bevor der Bürgermeister von Mini-Stuttgart sie in weißer Farbe badete.

Entstanden ist eine spektakuläre Anlage, die als „Stellwerk S“ 2017 in Herrenberg eine neue Heimat findet. Das Museum wird auch zum Denkmal eines genialen und unermüdlich arbeitenden Künstlers, der die Bahn und Stuttgart liebte.

Weitere Infos unter www.stellwerk-s.de. Diskutieren Sie mit bei facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Serie sind zwei Bücher im Silberburg Verlag erschienen.