Der 1963 verstorbene StN-Fotograf Fritz Gramm, der Meister der Dunkelkammer. Für weitere Fotos klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie. Foto: Gramm

In den Wirtschaftswunderjahren fehlte er bei keinem wichtigen Termin der Stadt: Das Stuttgart-Album erinnert an Fritz Gramm, an den 1963 im Dienst verstorbenen Fotografen der Stuttgarter Nachrichten.

Stuttgart - Die Schwarz-Weiß-Fotos von Fritz Gramm zählen zu den Schätzen unseres Zeitungsarchivs. Auf der Rückseite der Abzüge fehlt selten ein roter Stempel. „Bildberichter“ steht da drauf.

So nannte man damals die Pressefotografen. Gramm, ein Vorbild seiner Zunft, war mit der Kamera für die Stuttgarter Nachrichten unterwegs – bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1963. Beim Zusammenstellen seiner „visuellen Memoiren“ ist jetzt der 81-jährige Künstler Burghard Hüdig, der über vier Jahrzehnte selbst als Bildberichterstatter gearbeitet hat, auf Fotos von dem großen Kollegen gestoßen, die er dem Stuttgart-Album geschickt hat.

Gestorben ist „dr Fritze“, wie ihn die Kollegen nannten, mit 53 Jahren bei der Arbeit. Gramm hatte das Nachtskispringen im seinerzeit vom Schnee verwöhnten Musberg fotografiert und war dann nach einer Herzattacke tot zusammengebrochen. Fünfspaltig nahm die Redaktion der Stuttgarter Nachrichten am 18. Januar 1963 auf einer ganzen Seite Abschied – in einer epischen Breite, wie sie später nur verdienten Politikern zugebilligt wurde. Der auf einem uralten 250er Motorrad rasende Fotoreporter sei zum „heiteren, befeuernden Geist der Lokalredaktion“ geworden, war da zu lesen.

Nach der Kriegsgefangenschaft war Fritz Gramm zunächst in seinen alten Beruf zurückgekehrt, ätzte als Chemigraf Klischees für Zeitungsfotos. Doch bald hatte er genug davon und legte der Lokalredaktion unserer Zeitung seine eigenen Bilder vor. Von diesem Tag an war er „Bildberichter“, wie es auf seinem roten Stempel hieß, der zu seinem Markenzeichen geworden ist.

Sein spezieller Humor, sein Temperament und Draufgängertum boten noch viele Jahre nach seinem Tod auf Betriebsfeiern Stoff für immer wieder gern erzählte Anekdoten. Wisst ihr noch, wie der alte Spezel Fritze Gramm auf dem höchsten Moniereisen des langsam wachsenden Fernsehturms wie ein Zirkusartist geklettert ist und in schwindelerregender Höhe die Zimmerleute mit seinen berüchtigten Witzen herzhaft lachen ließ? Bei dem starken Wind musste er sich an einen Balken drücken, um nicht herunterzufallen. Einen Aufzug gab es damals im Rohbau des Fernsehturm noch nicht.

Mit Schaudern und doch mit Wonnen erinnerten sich die Kollegen an Gramms 250er. Der Soziussitz war nämlich locker, und der Fritze hatte es immer eilig. „Wir fuhren damals in Wind und Regen in dicken Ledermänteln und hatte eine Menge mitzuschleppen“, schrieben die Kollegen im Nachruf, „ein Blitzgerät war damals noch so groß und so schwer wie ein kleines Klavier.“ Das ergab eine schiefe Straßenlage – das Gespann drohte bei hohem Tempo umzustürzen.

Auf einem alten Foto sieht Fritz Gramm aus wie ein Mafiaboss. Er trägt eine Sonnenbrille und zieht die Kamera, als wär’ sie ein Maschinengewehr. Fotoreporter sind halt aufgeweckte Burschen. Sie schlafen nur, lesen wir in dem Nachruf, „in den Pausen zwischen den Ereignissen“. Dabei seien viele Termine gar nicht spannend. „Das Leben eines Bildberichters ist kein Zuckerschlecken“, so hieß es weiter, „es besteht nicht, wie man das oft in Filmen sieht, aus einer Perlenkette von interessanten Abenteuern.“ Nein, es sei auch „viel Schwarzbrot“ darunter gewesen, viel Arbeit, die eine originelle Bildgestaltung schwer machte. Und deshalb habe der Fotoreporter auch „wie ein Rohrspatz“ schimpfen können – wenn er morgens den Terminkalender studiert und lauter Motive erahnt habe, „wo sich die Leute bloß die Hände schütteln“. Bei einer verzwickten Sache aber, die Fantasie für ein brauchbares Foto verlangte, strahlte „dr Fritze“, griff nach der Leica, setzte die schwarze Pelzmütze auf und rief in die Runde: „Lasset dr Papa schon macha.“

Sein Kollege Burghard Hüdig, der 45 Jahre lang mit der Kamera unterwegs war und im Ruhestand nun als Maler erfolgreich ist, erinnert sich gern an Fritz Gramm, einen väterlichen Freund. Bei der Zusammenstellung seiner „visuellen Memoiren“ fand Hüdig, den man den „Hoffotografen“ der Landesregierung nannte, ein Foto von 1961, das in Berlin entstanden ist. Gramm sitzt auf dem Bordstein an der Bernauer Straße, wenige Meter von der Todesmauer in Berlin entfernt. Neben ihm steht sein junger Kollege Burghard Hüdig, damals 28 Jahre alt. Die Bundesregierung hatte die beiden Stuttgarter in die geteilte Stadt eingeladen.

Zwei Jahre nach der Berlin-Reise war Fritz Gramm tot. Was der „Bildberichter“ der Stuttgarter Nachrichten in seiner Zeit für „Schwarzbrot“ hielt, ist für uns heute ein Leckerbissen. Ein Radrennen in Ruinen, Einkäufe mit der Milchkanne, der Schutzmann auf dem Sockel, Besucher im Mineralbad Berg, das sich kaum verändert hat. Vertriebene aus Polen im Bahnhof oder der Ferdinand-Leitner-Steg – in den 1950er und 1960er Jahren war es Alltag, heute sind es faszinierende Zeitdokumente. Zwar nicht aus einer anderen Welt, aber doch aus einer fernen.Vielen Dank, Fritz Gramm!