Am unteren Bildrand ist jener See noch kreisrund, der heute Eckensee heißt Foto: Thomas Mack

Bei unserer Zeitreise in Stuttgarts Vergangenheit heben wir heute ab. 1958 hat der Rundflug 15 D-Mark gekostet, von dem Thomas Mack dem Stuttgart-Album großartige Luftbilder geschickt hat. Am Bahnhof sehen wir rauchende Dampfloks, und der Eckensee war rund.

Stuttgart - 1958 war das Jahr, als Bundespräsident Theodor Heuss den Neckarhafen eröffnete, als der Wagenburgtunnel, ursprünglich als Luftschutzraum konzipiert, für den Verkehr freigegeben wurde und als im Hauptbahnhof 120 italienische Maurer und Hilfskräfte als erste Gastarbeiter in Stuttgart eintrafen. In diesem Jahr 1958 konnten sich nur wenige einen Rundflug über die Stadt leisten. 15 D-Mark kostete der Blick aus der Vogelperspektive auf den Feuersee, auf den Bahnhof, auf Ladenprovisorien auf dem heutigen Platz des Planetariums, auf die Ruine des Kleinen Hauses. „15 Mark waren damals ein kleines Vermögen“, schreibt Michael Hummel auf der eifrig kommentierten Facebook-Seite des Stuttgart-Albums, „der Durchschnittsstundenlohn betrug 1958 nämlich 80 Pfennig.“

Auf dem Luftbild vom Feuersee fällt Facebook-Kommentator Stefan Heinrichs auf, „wie ordentlich es damals im Stuttgarter Westen schon ausgeschaut hat“. Das andere Rundflug-Foto, auf dem der Bahnhof und die oberen Schlossgartenanlagen zu sehen sind, erstaunt viele Internet-Besucher des Stuttgart-Albums, weil der See am unteren Bildrand kreisrund ist. Dies war bis ins Jahr 1961 so – bis die Bundesgartenschau nach Stuttgart kam. In dieser Zeit, so berichtet Rainer Müller auf der Facebook-Seite, „galt folgendes Motto: Rund ist die Kloschüssel, und die kann auch eckig ganz gefällig sein.“

Der runde See, schreibt Müller weiter, sei dem „Modernisierungswahn der 1950er und 1960er Jahre zum Opfer gefallen“. Nach dem Krieg hätten Stuttgarts Stadtväter ein gespaltenes Verhältnis zur Historie und zur Bewahrung städtebaulich markanten Kulturguts gehabt. Als Beispiele dafür nennt er das altes Rathaus, das Kronprinzenpalais und Kaufhaus Schocken – alles musste verschwinden, um den Aufbruch in den Wirtschaftswunderstolz nicht aufzuhalten.

Die Bundesgartenschau sollte 1961 eine Wende in der Grünpolitik der Stadt einleiten. Man hatte erkannt, dass in der Kessellage die Frischluftzufuhr oft ungenügend war – deshalb sollte die Stadt systematisch „durchgrünt“ werden, wie es damals hieß.

Aber nicht nur um frische Luft ging es – auch optisch sollte die City aufgewertet werden. Die Landschaftsgärtner schufen geometrische Formen, die sie für attraktiver hielten. So wurde aus dem runden See ein Vieleck. Bäume mussten weichen, und der Rosengarten vor dem Neuen Schloss verlor zugunsten eines Plattenbelags einen Großteil seiner Bepflanzung.

Auf einem der Luftbilder von 1958, die Thomas Mack dem Stuttgart-Album geschickt hat, ist die Ruine des 1944 im Krieg zerstörten Kleinen Hauses zu sehen. 1959 begannen die Bauarbeiten für das Schauspielhaus, das 1962 eröffnet worden ist.

In jenem Jahr, als der Rundflug über Stuttgart 15 D-Mark gekostet hat, durften noch Autos auf dem Marktplatz parken. Auch dieses fotografische Dokument von 1958 hat Thomas Mack dem Stuttgart-Album geschickt, dem Geschichtsprojekt, das im Internet, in den Stuttgarter Nachrichten und als Buch auf großes Interesse stößt. Was auf diesem Bild zu sehen ist, sind Oldtimer – damals waren sie’s freilich noch nicht: „Damals konnte man kostenlos vor dem Rathaus parken“, schreibt Tina Müller auf der Facebook-Seite, worauf Zeitzeugin Heidi Lenz widerspricht: „Da lief immer so ein Parkwächter rum und hat kassiert.“ Wird in nostalgischer Verklärung das alte Stuttgart vermisst? Internet-Kommentator Nico Nissen ist froh, dass Autos nicht mehr überall Vorfahrt haben: „Ich wär’ nicht gern in einer Stadt, in der ich damit rechnen muss, dass mir jemand über die Füße fährt.“

Das Stuttgart-Album ist im Silberburg-Verlag als Buch erschienen (ISBN 978-3-8425-1258-0). Die Adresse im Internet: www.facebook.com/Album.Stuttgart