Auslöser des Lärmstreits: Die Ramme, mit der in Untertürkheim nachts Stahlplatten in den Boden getrieben wurden Foto: privat

Die Bahn hat im Oktober bei ihren Bauarbeiten für Stuttgart 21 Anwohnern nächtelang durch infernalischen Lärm den Schlaf geraubt. „Unvermeidbar“, hieß es damals. Jetzt will der Konzern Schlafplätze im Hotel zahlen. Anwohner wollen dennoch klagen.

Stuttgart - Die Deutsche Bahn AG will bei sehr lärmintensiven Bauarbeiten für das Projekt Stuttgart 21 Anwohnern künftig eine „angemessene Ausweichunterkunft“ in der Nacht bezahlen. Man wolle die Kosten für zum Beispiel ein Hotelzimmer oder eine Pension „für die Dauer der Spitzenbelastung übernehmen“, teilte das S-21-Kommunikationsbüro am Freitag mit.

Die Bahn lenkt damit im monatelangen Streit mit Anwohnern verschiedener Baustellen, zum Beispiel in der Benzstraße in Untertürkeim oder der Ulmer Straße in Wangen, ein. Dort entstehen Tunnel, mit denen die bestehende Bahnstrecke im Neckartal mit dem neuen Tiefbahnhof im Schlossgarten verbunden werden soll.

Mit dem Entgegenkommen wolle man „der hohen Bedeutung einer möglichst ungestörten Nachtruhe über das vom Gesetz und von der Planfeststellung geforderte Maß hinaus Rechnung tragen“, heißt es aus dem S-21-Sprecherbüro.

Mitte November, als eine Ramme in Untertürkheim zehn Nächte lang mehr als 100 Menschen durchrüttelte, hatte sich die Bahn noch auf die Baugenehmigung aus dem Jahr 2007 zurückgezogen. Die mache „keine Vorgaben für zusätzliche Schallschutzmaßnahmen“, hieß es damals. Man müsse sich an die Regularien halten, und Nachtschichten seien unvermeidbar.

Der Argumentation der Bahn will der Fachanwalt Tobias Lieber nicht folgen. Das Eisenbahn-Bundesamt (Eba) als Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde habe zwar bei der jeweiligen Genehmigung den Baulärm grob untersucht, detaillierte Anweisungen für die Bahn sollte es aber erst geben, wenn Bauzeiten und Bauablauf feststünden. Die Bonner Behörde habe sich vorbehalten, ergänzende Entscheidungen zum passiven und aktiven Schallschutz, also zum Beispiel zu Schutzwänden oder -fenstern zu fällen. Das Problem: „Diese ergänzenden Entscheidungen gibt es bis heute nicht“, so Lieber.

Im Auftrag mehrerer Anwohner, die sich in Netzwerken Betroffener zusammengetan haben, hat Lieber das Eba angeschrieben. Er wartet seit zwei Monaten auf eine Antwort. Sollte sich die Behörde mehr als drei Monate Zeit lassen, könnten die Anwohner eine Untätigkeitsklage einreichen. „Das Eba muss prüfen, wo Schallschutz nötig und noch möglich ist und wer genau Anspruch auf ihn hat“, sagt der Anwalt. Das von den Bonnern vergeblich um Hilfe gebetene städtische Umweltamt sei eindeutig nicht zuständig und habe sich zu Recht verweigert, so Lieber.

Die Bahn will in Zusammenarbeit mit dem von ihr für den Lärmschutz beauftragten Gutachter, dem Büro Fritz Ingenieure aus Einhausen, jetzt jene Gebiete identifizieren, in denen der Baulärm den letzten Nerv raubt. Fritz hatte der Bahn in einem Messbericht im November für die Ulmer Straße nachgewiesen, dass die dort vorgenommenen nächtlichen Sprengungen für den Tunnel „nicht zulässig und unbedingt zu vermeiden“ seien. Die gesetzlich erlaubten Lärm-Spitzenwert in der Nacht (20 bis 7 Uhr) waren um bis zu 18 Dezibel überschritten. Zehn Dezibel mehr werden als Verdoppelung der Lautstärke wahrgenommen.

Das Angebot einer Ausweichunterkunft für den Notfall hatte das Eba bereits in seiner ersten Bauerlaubnis angesprochen. Die Bahn biete daher nun nur an, was vorgesehen sei. Das Grundsatzproblem sie damit aber nicht gelöst: „Die Bahn geht sehr hemdsärmelig vor“, so der Anwalt, „es kann nicht sein, dass das Unternehmen selbst etwas strickt und entscheidet, wer etwas bekommt oder nicht bekommt“. Die Entscheidung stehe allein dem Eisenbahn-Bundesamt zu. Denn nur dann hätten Anwohner, die sich übervorteilt sehen, die Möglichkeit sich juristisch zur Wehr zu setzen und gleichen Schutz einzuklagen.