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Update: 2000 Demonstranten bei Baumfällaktion im Schlossgarten - Kritik von Gönner.

Stuttgart - Auch in der Nacht zum Freitag haben sich noch rund 2000 Demonstranten vor den Polizeiabsperrungen im Stuttgarter Schlossgarten aufgehalten, um lautstark gegen die Baumfällarbeiten zu protestieren. Dies meldet die Polizei am Freitagmorgen.

Mehrfach versuchten kleinere Gruppen von S21-Gegnern, darunter auch vermummte Demonstranten, über die Absperrung zu klettern oder die Absperrgitter zu öffnen, weshalb die Beamten erneut Pfefferspray einsetzen mussten. Aus der Menge heraus zündeten Unbekannte vereinzelt auch Pyrotechnik und bewarfen Polizeibeamte unter anderem mit Flaschen. „Friedlich ist was anderes“, sagte ein Sprecher der Polizei am Freitagmorgen. Immer wieder seien aus der Menge der Gegner des Milliardenprojekts Stuttgart 21 heraus Flaschen und Kastanien in Richtung Polizei geflogen.

Verkehr musste umgeleitet werden

Zudem blockierten Demonstranten verschiedene Straßen rund um den Stuttgarter Schlossgarten und behinderten dabei mehrfach den Verkehr, der umgeleitet werden musste. Dabei versuchten sie Baustellenmaterial auf die Bundesstraße 14 zu legen und setzten offenbar zwei Müllcontainer in Brand. Insgesamt zählte das Deutsche Rote Kreuz bis 3 Uhr 114 Verletzte, die bislang ambulant bei ihren Behandlungsplätzen versorgt wurden. Rettungskräfte brachten darüber hinaus 16 Verletzte in Krankenhäuser. Auch sechs Polizisten sind bei dem Einsatz verletzt worden. Insgesamt 26 Personen im Alter zwischen 15 bis 68 Jahren - darunter zwei Jugendliche - sind vorübergehend festgenommen oder in Gewahrsam genommen worden.

Die Polizei, die auch die gesamte Nacht über die Absperrung mit rund 1000 Beamtinnen und Beamten sichern musste, ermittelt unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil von Polizeibeamten aufgrund von Würfen mit Gegenständen und dem Einsatz von Reizgas, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Nötigung. Gegen Polizeibeamte des Einsatzes liegen zudem derzeit acht Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt vor. Gegen 4.20 Uhr, nachdem die Bäume im künftigen Baugelände gefällt waren, zerstreuten sich die Demonstranten nach und nach.

„Es gab keine Verletzten“

Um kurz nach 1 Uhr war die erste Platane im Schlossgarten gefallen - nur etwa sechs Minuten hatte die Abholzung gedauert. Die Bäume werden im Schlossgarten in der Stuttgarter Innenstadt gefällt, um mit den Tiefbauarbeiten für die Verlegung des Hauptbahnhofs zu beginnen. Die Gegner wollen jedoch nicht aufgeben: „Der Kampf ist bei weitem nicht vorbei“, sagte Matthias von Herrmann von den Parkschützern, die unter anderem mit Baumbesetzungen das Fällen hatten verhindern wollen. Die Parkschützer hatten zuvor erklärt, sie wüssten von einem Baumfäll-Stopp, den das Eisenbahnbundesamt verfügt habe. Anders als am Donnerstagnachmittag kam es nicht zu einer offenen Eskalation der Gewalt. Die Polizei setzte keine Wasserwerfer ein, allerdings warfen einige Demonstranten Gegenstände und Farbbeutel in Richtung der Arbeiter und Beamten. „Es gab keine Verletzten“, sagte ein Polizeisprecher.

Ganz im Gegensatz zum Donnerstagnachmittag, als die bisher friedlichen Proteste in offene Gewalt umgeschlagen waren. Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) hatte die Schuld eindeutig den Anti-Stuttgart-21-Aktivisten gegeben. Die Polizei sei entsetzt gewesen über die Aggressivität, die ihr entgegenschlug, sagte Rech im SWR-Fernsehen. Dem widersprach der Grünen-Landtagsabgeordnete Werner Wölfle energisch: „Die einzige Tat der Demonstranten war, dass sie den Park nicht geräumt haben.“ Auch SPD und Gewerkschaften zeigten sich entsetzt über das harte Vorgehen der Polizei.

"Überhartes Vorgehen"

Am Nachmittag hatten über 400 Demonstranten im Schlossgarten Augenreizungen erlitten, einige trugen Platzwunden und Nasenbrüche davon, teilte das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 mit. Die Aktivisten hatten versucht, die Räumung des Parks mit Sitzblockaden zu verhindern. Die Polizei zählte mehrere verletzte Beamte und 116 verletzte Protestierer, von denen zehn im Krankenhaus behandelt worden seien. Demonstranten berichteten von einem harten Vorgehen der Polizei. Vor allem der Einsatz gegen eine Schülerdemonstration machte sie wütend. Rech nannte den Einsatz seiner Beamten verhältnismäßig. Die angemeldete Demonstration habe nicht den Verlauf genommen wie erwartet und sei in Gewalt ausgeartet.

Nachspiel im Bundestag am Freitag

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, verteidigte den Einsatz als „nicht nur rechtmäßig, sondern auch vollkommen angemessen“. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitag) sagte er: „Wo ein Abdrängen von Demonstranten nicht mehr möglich sei, darf und muss unmittelbarer Zwang durch Wasserwerfer, Reizgas oder Schlagstöcke eingesetzt werden.“ Die Grünen und die Linkspartei kritisierten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen der Gewalteskalation. Sie habe die „rücksichtslose Durchsetzung von Stuttgart 21 ohne Not öffentlich zur Chefsache erklärt“, hieß es von der Linken. Damit habe sie Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und die Polizeiverantwortlichen zu einem „überharten Vorgehen“ ermuntert.

Der Polizeieinsatz wird an diesem Freitag ein Nachspiel im Bundestag haben. Die Linke-Fraktion hatte eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz will die weiteren Baumfällarbeiten mit einer einstweiligen Anordnung stoppen lassen. Ein entsprechender Antrag ging am Donnerstag beim Verwaltungsgericht Stuttgart ein und wird geprüft, wie eine Gerichtssprecherin bestätigte. 

Gönner deutete an, dass Demonstranten Kinder „bewusst nach vorne geschoben“ hätten

Unterdessen hat die baden-württembergische Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) das Vorgehen der Demonstranten gegen das Bahn-Großprojekt Stuttgart 21 kritisiert. Sie sagte am Freitag im Deutschlandfunk, man werde „nachdenklich, wenn man Baustellen für Zukunftsprojekte derartig absichern“ müsse. So hätten Schüler einen Polizeiwagen besetzt. Die Ministerin deutete an, dass Demonstranten Kinder „bewusst nach vorne geschoben“ hätten. „Ich bin mir nicht sicher, ob man das als friedlich bezeichnen kann.“

Einen Baustopp schloss Gönner erneut aus. Das Projekt stehe für die Zukunftsfähigkeit Baden-Württembergs und des ganzen Landes. „Wir sind bereit, dafür auch in die Opposition zu gehen“, sagte die CDU- Politikerin mit Blick auf die Landtagswahl im kommenden März. 

Das Projekt Stuttgart 21 sieht den Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante ICE-Neubaustrecke nach Ulm vor. Die Bahn rechnet mit Gesamtkosten von sieben Milliarden Euro. Kritiker befürchten eine Kostensteigerung auf bis zu 18,7 Milliarden Euro.

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