Abgraben, sichern, Stahlmatten einflechten, Spritzbeton auftragen: Die Tunnelbauarbeiter schaffen sich täglich zwei Meter tiefer in den Berg hinein. Foto: Leif Piechowski

Im August und September hat die Stuttgarter Straßenbahn (SSB) mit dem Bau zweier Stadtbahntunnel unter der Heilbronner Straße begonnen. Aktuell werden die bestehenden Stadtbahnröhren unterquert. In neun Monaten soll der Kiesinger-Platz erreicht sein.

Stuttgart - Täglich zwei Meter, dieses Maß haben sich Ingenieure und Tunnelbauer im vergleichsweise lockeren Gestein unter dem Kriegsberg als Tagesleistung vorgenommen. Mit zwei neuen, vom Hauptbahnhof kommenden Stadtbahnröhren, will die Stuttgarter Straßenbahn (SSB) das Europaviertel samt Milaneo-Einkaufszentrum mit der U 12 erschließen. Der Konsumtempel soll bereits Ende 2014 öffnen. Die Stadtbahn wird erst 2016 eine Haltestelle direkt daneben ansteuern können. Die SSB ist in Verzug, weil die Bahn mit ihrem Projekt Stuttgart 21 in Verzug ist. Zweiter Grund für die neuen Röhren ist der S-21-Tiefbahnhof. Damit die Bahn ihn bauen kann, muss das städtische Nahverkehrsunternehmen am Kiesinger-Platz seine bestehenden Tunnel entfernen und daher für Ersatz sorgen.

Bernd Schröder, Projektleiter aus dem städtischen Tiefbauamt, ist beim Pressetermin guter Stimmung. Die Röhren sind bereits 19 und 34 Meter tief im Berg. Der knifflige Anfang, bei dem eine Trafostation der EnBW mit null Zentimeter Abstand unterquert, dann die Wagenladungsstraße und die eigenen alten Stadtbahnröhren unterfahren werden, ist fast geschafft. „Wir würden den Supergau produzieren, wenn sich da was senkt“, sagt Schröder. Schließlich liegt über der Stadtbahn noch die Heilbronner Straße, eine der Hauptschlagadern der Stadt.

Weil das Gestein locker ist, haben SSB, die Züblin AG und die auf Tunnel- und Felsbau spezialisierte Müller & Hereth GmbH (Freilassing) sich dafür entschieden, knapp unterfahrene Bauwerke zunächst durch Rohrschirme zu sichern. Das sind rund 20 Zentimeter starke gelochte Stahlröhren. Durch sie wird knapp über dem Niveau der Tunneldecke bis zu 15 Meter voraus ein Betongemisch ins Gestein gepresst, beschreibt Markus Wittmann, Projektleiter der SSB, den Vorgang. Die Rohrschirm-Technik stabilisiert den Untergrund. „Beim Tunnelbau gibt es immer Senkungen“, sagt Schröder, deshalb seien die alten Röhren der SSB mit dieser Technik erst mal einen Zentimeter, den Wert der erwarteten Senkung, angehoben worden. Das Ganze gleicht einem riesigen Mikado. Bisher hat alles geklappt.

Tunnelbau bleibt trotz Technik Maloche

In neun Monaten sollen die neuen Röhren im Rohbau den Kiesinger-Platz erreicht haben. Unter der Kreuzung bereitet die SSB seit Mai eine riesige Baugrube vor. Die ist nötig, damit die alten Röhren auf 70 Meter Länge an einer Seite aufsägen und in 16 Meter Tiefe der Anschluss neu an alt hergestellt werden kann. Unter der Heilbronner Straße ist in Höhe des Geno-Hauses ebenfalls ein Anschluss vorgesehen. Dort muss die Baugrube aber nur zwölf Meter tief werden. Im Oktober sollen die Arbeiten für die Bohrpfähle beginnen. Ein alter, aus Ziegeln gemauerter Abwasserkanal sei bereits verlegt worden, sagt Schröder.

Trotz moderner Technik und Spezialmaschinen ist Tunnelbau Maloche. Gearbeitet wird rund um die Uhr, sieben Mann bestreiten Schichten zu je elf Stunden. Hacke, Pickel, Schaufel und Hammel sind für Feinarbeiten an dem in Segmenten wachsenden Kreisring nötig.

„Erde abspitzen, Eisen biegen, saubere Anschlüsse herstellen, das ist Handarbeit“, sagt Michael Drumbl, der für Müller & Hereth die Bauüberwachung sicherstellt. 20 Zentimeter Dicke hat die zunächst im Rohbau mit Spritzbeton entstehende Tunnelschale, 40 bis 60 Zentimeter misst dann die gegen Wasser abgedichtete Innenschale. Wasser war auf der Baustelle bisher kein Thema. „Der Berg ist feucht, aber er tropft nicht“, sagt Markus Wittmann. Bauwasser wird, von Grobstoffen gereinigt, zur Grundwasser-Reinigungsanlage der Bahn im Schlossgarten gepumpt.

Der Um- und Ausbau der Stadtbahn rund um das Europaviertel kostet rund 90 Millionen Euro. Dafür wird nicht nur unter dem Kriegsberg gewerkelt. Am anderen Ende des Viertels schlägt die SSB eine 145 Meter lange Brücke aus Stahl und Beton über die Wolframstraße. Das Stuttgarter Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä und Partner hat sie auf nur drei Stützen gestellt. Auf der Brücke, die auf beiden Seiten Rad- und Fußwege haben wird, wird es die Haltestelle Budapester Platz geben. Schon im Frühjahr 2014 soll der Rohbau der Brücke stehen. Die U 12 wird von dort aus auf der Decke eines neuen S-Bahn-Tunnels weiter in Richtung Arbeitsagentur und durch die Nordbahnhofstraße rollen. Den noch nicht begonnenen S-Bahn-Tunnel will die Bahn im kommenden Jahr fertigstellen. Er wird bis zur späteren Haltestelle Mittnachtstraße reichen.