Am Bahnhof Feuerbach wird für S 21 der Anschluss an die Gleise des Tiefbahnhofs bereits gebaut. Doch nun fordern Kritiker auch mehr Gleise bis nach Zuffenhausen. Foto: Georg Friedel

Drittes Gleis am Flughafen, kleine oder große Wendlinger Kurve – über Nachbesserungen bei Stuttgart 21 wird und wurde viel diskutiert. Ein weiterer Engpass droht nach Ansicht der Grünen und des ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland im Norden Stuttgarts.

Stuttgart - Das Desaster von Rastatt hat die Bahn-Infrastruktur in den Blickpunkt gerückt und zutage gefördert, dass das Schienennetz auf den wichtigen Strecken bis an die Grenzen belastet ist und kaum Reserven hat. Auch am neuen Knotenpunkt Stuttgart 21 seien künftige Engpässe bereits angelegt, sagen Kritiker. Davon zeugen der Streit um die Kapazität des neuen Tiefbahnhofs, die Nachbesserung mit dem dritten Gleis am Flughafen und die Forderungen nach einer zwei- statt eingleisigen Wendlinger Kurve. Die Eisenbahnexperten Matthias Gastel (Grüne) und Matthias Lieb (Verkehrsclub Deutschland) nehmen nun aber auch die Passage vom Norden in den neuen Tiefbahnhof ins Visier. Sie fordern wie das Land und der Verband Region Stuttgart zwischen dem Ende der Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart und dem Hauptbahnhof sechs statt wie geplant nur vier Gleise. Doch die Bundesregierung, die das finanzieren müsste, hält den bisherigen Ausbaustandard auch in Zukunft für ausreichend.

Das Thema treibt auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) um. Er sagte in einem vom Staatsministerium verbreiteten Interview: „Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn wir neue Nadelöhre schaffen würden“. Er bezog sich in einem Gespräch bei der „Nürtinger Zeitung“ auf den Bau der Wendlinger Kurve, die die S-21-Neubaustrecke nach Ulm bei Wendlingen (Kreis Esslingen) mit der bestehenden Schienentrasse im Neckartal verbindet. Diese Abzweigung soll nach den Plänen der Bahn nur eingleisig gebaut werden. Das Land und Verkehrsexperten halten aber eine um 75 Millionen Euro teurere Zweigleisigkeit für nötig, um die Kapazität zu erhöhen und die Störfälligkeit zu verringern. Kretschmann kündigte an, dass das Land jetzt als Vorleistung die Planung in Auftrag gegeben habe und eine Finanzierung aus Bundes-, Landes- und kommunalen Mitteln möglich sei. „Die Große Wendlinger Kurve muss kommen“, sagte er.

Diesen Satz würde auch Matthias Lieb unterschreiben – und gleiches für ein fünftes und sechstes Gleis zwischen Feuerbach und Zuffenhausen reklamieren. Lieb fährt fast täglich mit dem Zug auf dem Abschnitt, und was er vor einigen Wochen erlebt hat, bestärkt ihn in seiner Forderung. Ein Gleis bei Stuttgart-Feuerbach war wegen einer defekten Lok blockiert, doch vier Züge, darunter auch der TGV nach Paris, konnten die Engstelle problemlos passieren, weil sie über die Gleise der S-Bahn umgeleitet wurden. „Das wird nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 nicht mehr funktionieren“, sagt Lieb. Wenn es dann nur noch – wie heute im Normalfall – ein Gleis in jede Richtung für den Fern- und Regionalverkehr gibt, sei der Engpass programmiert.

Grundsätzlich brauche es für die hohe Belastung zwei zusätzliche Gleise – neben den jeweils zwei für die S-Bahn und den Fern- und Regionalverkehr. Das sieht auch Matthias Gastel so. „Dieser Abschnitt ist bereits heute so stark befahren, dass eine weitere Verdichtung in den Hauptverkehrszeiten nahezu unmöglich ist“, sagt der Bundestagsabgeordnete aus Filderstadt. Schon seit Monaten versucht er mit Anfragen an die Bundesregierung zu ergründen, warum das fünfte und sechste Gleis nicht in den Ausbaukonzepten, etwa im Bundesverkehrswegeplan mit den Projekten bis 2030, enthalten ist. Sein Fazit: „Es ist niederschmetternd. Das Verkehrsministerium rechnet mit alten Zahlen und zu wenig Zügen.“ Der Bund gehe weiterhin von bis zu zwölf Zügen pro Stunde und Richtung aus, was schon einer Auslastung von 113 Prozent entspreche. Mit weiteren Zügen sei der Abschnitt „endgültig heillos überlastet“, so Gastel. Auf der Schnellfahrstrecke rechneten Bahn und Bund aber mit deutlich mehr Fahrgästen, assistiert Lieb. Im Regionalverkehrsplan sei sogar von einem gewaltigen Zuwachs von 38 Prozent bis zum Jahr 2025 die Rede.

Grünen werfen Rechenfehler vor

Das Bundesverkehrsministerium weist diese Einwände zurück. In einer Spitzenstunde könne die Strecke durchaus mehr Züge bewältigen. Ein Ausbaubedarf bestehe nicht.

Angesichts der „Ungereimtheiten“ bei der Bedarfsermittlung (Gastel spricht sogar von „Rechentricks“) vermutet Lieb, dass der Ausbau der Engstelle auch deshalb nicht für nötig erachtet werde, weil die acht vorgesehenen Gleise im S-21-Tiefbahnhof dann nicht ausreichend wären. „Da diese zusätzlichen Bahnsteige aber nicht realisierbar sind, versucht der Bund den Streckenausbau zu verhindern, um den Zugverkehr zum Bahnhof zu begrenzen", sagt er.

Das weist das Bundesverkehrsministerium zurück. In einer Antwort an Gastel räumt es aber zumindest ein, dass im Zuge der Untersuchungen für den Deutschlandtakt im Jahr 2030 zwar bisher „keine fahrplantechnischen Konflikte“ zwischen Feuerbach und Zuffenhausen erkannt worden seien. Sollte „die Zahl der Züge aber aufgrund von Mehrverkehren höher als gegenüber der Prognose sein, so sind Engpassanalysen erneut durchzuführen.“ Doch das wäre frühestens im Sommer 2018 der Fall.

Nachbesserungen

Drittes Gleis am Flughafen: Für rund 85 Millionen Euro wird an der Station Flughafen ein weiteres Gleis gebaut, das eine bessere Trennung von Regionalzügen und S-Bahn ermöglicht. Damit soll die Gefahr von Störungen und Verspätungen minimiert und zugleich die Option einer Verbindung bis ins Neckartal eröffnet werden. Der Bau wird nicht vor 2023 fertig sein.

Weitere Ausbauprojekte: In der Region gibt es zahlreiche Überlegungen, wie der Schienenverkehr ausgebaut werden kann – von der Nutzung der Panoramabahn bis zur Verlängerung der Schusterbahn. Eine Übersicht liefert der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel im Internet unter www.matthias-gastel.de/bahnkarte

Nachbesserungen bei S 21