Wolfgang Dietrich hört zum Jahresende als Stuttgart-21-Sprecher auf Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Stuttgart-21-Sprecher Wolfgang Dietrich scheidet zum Jahresende aus dem Amt aus. Der 66-Jährige sieht seine Mission erfüllt: „Jetzt ist das Projekt auf dem Weg.“ Im Interview mit unserer Zeitung gibt Dietrich einen Einblick in einen Job, in dem er vom ersten Tag an als Krisenmanager gefordert war.

StuttgartStuttgart-21-Sprecher Wolfgang Dietrich scheidet zum Jahresende aus dem Amt aus. Der 66-Jährige sieht seine Mission erfüllt: „Jetzt ist das Projekt auf dem Weg.“ Im Interview mit unserer Zeitung gibt Dietrich einen Einblick in einen Job, in dem er vom ersten Tag an als Krisenmanager gefordert war.
 
Herr Dietrich, die gerade beendete Erörterung des Flughafenanschlusses von Stuttgart 21 wirkt nach. Professor Gerhard Heimerl, der als Vater von Stuttgart 21 gilt, sagt, die Bahnpläne sind nicht zukunftsfähig. Der Verband Region Stuttgart fordert den Filderbahnhof plus mit einer Trasse an der Flughafenstraße.
Der von uns sehr geschätzte Professor Heimerl hat in seiner Bewertung ausschließlich den verkehrlichen Aspekt betrachtet. In diesem Punkt gibt es auch keinen Dissenz mit der Bahn. Die Bahn hat ja gesagt, sie könnte auch anders bauen, aber dann braucht es eine behördliche Zustimmung zu stärkeren Eingriffen in den Naturraum und die Landwirtschaft auf den Fildern und natürlich eine Kofinanzierung der anderen Projektpartner. Es ist schade, dass darüber wegen des fehlenden Gemeinschaftsgeistes für das Projekt nicht gesprochen wird.
Ist diese Misere der Grund für Ihren Rückzug? Haben Sie schlicht die Nase voll?
Nein. Schließlich gehören Anhörungs- und Erörterungsverfahren zu jedem großen Infrastrukturprojekt. Dass man hier nicht in allen Punkten einer Meinung ist, liegt in der Natur der Sache. Die Fragen rund um die Flughafenanbindung sind alle seit Jahren auf dem Tisch.
Warum hören Sie denn sonst auf?
Ich hatte mich schon länger entschieden, nach dem Ende der Anhörung meinen Rücktritt bekannt zu geben. Das entscheidende Ereignis für das Ende meiner Tätigkeit zum Jahresende ist die Genehmigung des Grundwassermanagements vor 14 Tagen.
Was hat sich dadurch geändert?
Das bringt den Durchbruch für den Bau im Talkessel. Und für die Arbeiten am Fildertunnel. Das Projekt ist jetzt so gefestigt, dass es die Aufgabe des Projektsprechers in der Form nicht mehr braucht. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie.
Ändert sich die Struktur des Kommunikationsbüros? Früher gab die Bahn direkt die Bauinformationen.
Ja, die Kommunikation und der Verein Bahnprojekt Stuttgart-Ulm sollen ab nächstem Jahr neu geordnet und ausgerichtet werden. Einen entsprechenden Vorschlag habe ich den Projektpartnern bereits vergangenes Jahr gemacht. Dazu gehört, die Projektkommunikation wieder in die Bahnen zurückzuführen, die für Großprojekte üblich sind. Der Verein kann sich dann in der Ausstellung im Turm und den Infozentren auf die allgemeine Bürgerinformation konzentrieren.
Gab es Fehler in der Kommunikation? Strategie war doch, schlechte Nachrichten zurückzuhalten.
Zunächst einmal kenne ich kein Infrastrukturprojekt, bei dem der Bauherr so viele Informationen ins Netz gestellt und publiziert hat, wie beim unserem Projekt. Wir veröffentlichen vierteljährlich Bauzeitenpläne, halbjährig Kostenprognosen und vieles mehr. Wir haben bewusst auf Werbung verzichtet und auf Information gesetzt. Schlechte Nachrichten zurückzuhalten, wäre hier ganz und gar die falsche Strategie. Und ein solcher Vorwurf entspricht auch nicht den Tatsachen.
Haben Sie gern den Prellbock gegeben?
Bestimmt nicht. Das stand nicht auf meinem Lebensplan. Als ich im September 2010 anfing, war die politische Entwicklung nicht absehbar. Mit dem Regierungswechsel ging dem Gemeinschaftsprojekt die Gemeinsamkeit verloren. Aber ich bin keiner, der davonläuft, wenn es unangenehm wird. Der verloren gegangene Gemeinschaftsgeist war für mich auch eine zentrale Motivation, den Job viel länger zu machen, als ich es ursprünglich zugesagt hatte.
Gibt es etwas, was Sie aus heutiger Sicht anders gemacht hätten?
Ja, ich habe mich nicht hinreichend gegen den Filder-Dialog eingesetzt. Ich bin nicht gegen Bürgerbeteiligung an sich, aber einen solchen Dialog nach der Volksabstimmung durchzuführen, war nicht zielführend. Der fand doch jetzt bei der Erörterung fundiert statt, mit allen Beteiligten und unter der professionellen Moderation der zuständigen Behörde. Der Filder-Dialog hat Erwartungen geweckt, die mit Blick auf die Finanzierungsvereinbarung, die Volksabstimmung und die nicht zuletzt klare Position der Landesregierung zu zusätzlichen Kosten, nicht zu erfüllen waren. Insofern war der Filder-Dialog unter den damaligen Prämissen eine Showveranstaltung.
Bei wem hätten Sie im Kampf gegen den Filder-Dialog ansetzen müssen? Bahnchef Rüdiger Grube, Vorstand Volker Kefer?
Nicht allein bei der Bahn. Die Politik hat mit dem Filder-Dialog bei den betroffenen Bürgern zu weitgehende Erwartungen geweckt.
Als die Genehmigung für die strittige Erhöhung der Grundwasserentnahme für den Bahnhofsbau im Schlossgarten kam, waren Sie erleichtert?
Ja, ich habe intern immer gesagt, wenn das geschafft ist, kann ich aufhören. Ich habe mich vier Jahre lang allen Auseinandersetzungen gestellt und eine Aufgabe geschultert, die mich und mein engagiertes Team bis zum Äußersten gefordert hat. Jetzt ist das Projekt auf dem Weg und ich sehe meine von Anfang an befristete Mission als beendet an. Dies umso mehr als auch bei den Projektpartnern – zumindest auf der Arbeitsebene – seit langem erstmals ein neuer Geist spürbar ist, den ein solches Projekt dringend braucht.
Als sie 2010 das Sprecheramt zusammen mit dem früheren Regierungspräsidenten Udo Andriof antraten, kam gleich, am 30. September, der „Schwarze Donnerstag“. Wasserwerfereinsatz und Verletzte im Park. Gab es den Reflex, sofort wieder aufzuhören?
Nein, den gab es nie. Meine Antriebsfeder war, dass ein demokratisch legitimiertes Projekt derart in Frage gestellt wurde. Deshalb habe ich der Bitte von Rüdiger Grube, der ein guter Freund von mir ist, auch entsprochen. Das Projekt konnte nichts für den 30. September. Aber es hat an diesem Tag diesen Ballast aufgeladen bekommen, an dem es heute noch trägt.
Inwiefern?
Die Ereignisse um den 30. September waren nicht nur ein Schock für viele Betroffene und für viele Bürger. Konsequenzen waren auch Schlichtung, Stresstest, Bauverzögerung. Wenn man am Ende eine Rechnung aufmachen würde, wäre es vermutlich nicht kühn zu behaupten, dass der 30. September Auslöser für erhebliche Mehrkosten war. Ich war ja zunächst gegen die Schlichtung, aber der Faktencheck hat dem Projekt geholfen. Damals kippte die Stimmung wieder ins Positive. Das zeigt, dass man so ein Projekt immer wieder erklären muss.
Die Bahn ist ein sehr heterogenes Unternehmen. Rüdiger Grube hat Sie zum Projektsprecher vorgeschlagen. Das konnte der Konzernkommunikation nicht gefallen. Haben Sie das zu spüren bekommen?
Natürlich war ich ein Exot in den Reihen der Bahnkommunikation. Die Zusammenarbeit war aber von Anfang an professionell und hat sich über die Jahre freundschaftlich entwickelt. Die Akzeptanz für meine Arbeit ist enorm – ebenso wie die Offenheit, die mir entgegengebracht wird.
Sie hatten bis zu Ihrer Berufung zum Stuttgart-21-Sprecher noch nie Öffentlichkeitsarbeit gemacht.
Ich hatte noch nie Pressearbeit oder Krisenkommunikation gemacht. Ich bin unverbogen in diesen Job gegangen und gehe unverbogen raus. Ich habe mir meine Unabhängigkeit bewahrt.
Was haben Sie für eine Meinung über unseren Berufsstand gewonnen. Sie lagen ja auch mit Journalisten im Clinch.
Man darf die Medien nicht über einen Kamm scheren. Ich habe viele aufrichtige Journalisten getroffen, die sich bei ihrem Handwerk von journalistischen Regeln leiten lassen. Ich habe aber auch andere getroffen, die nicht mit der gebotenen Objektivität ans Werk gegangen sind. Journalisten sollten sich nie mit einer Sache gemein machen, wie es der ehemalige Tagesthemen-Moderator Hanns Joachim Friedrichs mal gesagt hat, weder mit einer guten Sache noch mit einer in ihren Augen schlechten Sache. Ich wünsche mir, dass Journalisten keine Kampagnen machen, sondern ihrer Verantwortung gerecht werden. Viele tun das. Aber leider nicht alle.
 
Was meinen Sie konkret?
Wer immer gegen die Bahn schreibt, schreibt nach meiner Meinung damit wiederholt auch gegen Menschen. Gegen Planer oder Ingenieure, die für ihre Arbeit haften. Die Angriffe waren teils sehr persönlich. Nicht alles, was eine Schlagzeile bringt, ist am Ende vertretbar. Die Rolle des Prellbocks habe ich hier aber gerne übernommen.
 
Sie haben sich Scharmüzel mit Projektgegnern und Kritikern geliefert. Gibt es da Menschen, die Ihnen Respekt abnötigen?
Natürlich. Es gibt Gegner, die mit der gleichen Überzeugung, mit der ich für das Projekt bin, dagegen sind. Wenn jemand nach Abwägung aller Kriterien zu dem Ergebnis kommt, die Nachteile überwiegen, dann respektiere ich das. Es gibt ja auch auf der Soll-Seite des Projekts Argumente. Ich habe in meinem Freundeskreis Menschen, die gegen Stuttgart 21 sind, die habe ich als Freunde nicht verloren. Kein Verständnis habe ich, wenn ich persönlich angegriffen werde, auch unter der Gürtellinie. Phasenweise musste ich mit Polizeischutz rumlaufen.
Von Projektbefürwortern war immer wieder zu hören: Wenn es den Wolfgang Dietrich nicht gäbe, würde sich keiner für Stuttgart 21 einsetzen. Sind Sie über mangelnde Unterstützung enttäuscht?
So ein Projekt hat Phasen. Bis 2009 haben sich viele im Projekt gesonnt. Ich hätte mir schon gewünscht, dass in der anschließenden Phase, als es eng wurde, ein paar mehr da gewesen wären. Es reicht nicht, nur dann dafür zu sein, wenn man gefragt wird. Da hätte ich mir offenere, klarere Worte von dem ein oder anderen Befürworter gewünscht. Über die Schweiger bin ich mehr enttäuscht als über jene, die gegen Stuttgart 21 sind.
Sie sind mit 60 aus der Wirtschaft in ein hoch politisiertes Amt gekommen. Welche Einblicke haben Sie gewonnen? Ist Politik ein schmutziges Geschäft?
Politik ist ein hartes Geschäft, und ich habe manches erlebt, dass ich nicht für möglich gehalten hätte. Trotzdem: Politiker haben es nicht leicht. Sie müssen Leitplanken setzen, ihre Wähler bedienen, Entscheidungen herbeiführen, sich für Wahlen positionieren. Das sind Aufgaben genug. Die Aufgabe eines Politikers sollte es jedoch nicht sein, die Aufgaben von Behörden zu übernehmen. Die Politik muss dafür sorgen, dass Behörden, die man für solche Großprojekte braucht, nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ gut ausgestattet sind. Da werden Milliarden für den Bau freigegeben, aber gleichzeitig Behörden nicht in die Lage versetzt, die notwendigen Verfahren zügig abzuarbeiten. Wer für Infrastruktur ist, muss auch genügend Personal bereitstellen, um die Verfahren in angemessenen Zeiträumen umzusetzen.
Was lernt man aus Stuttgart 21?
Die Bahn hat gelernt, dass sie in ihren komplexen Strukturen ein solches Projekt nur schwer stemmen kann. Deshalb gibt es die Projektgesellschaft. Die Politik lernt hoffentlich, dem Thema unideologisch gerecht zu werden. Dass eine Partei ein Projekt nutzt, um Mehrheiten zu gewinnen, ist klar. Aber dabei sollte nicht jede Rationalität und Verantwortung verloren gehen. In den 90er Jahren hat sich vor allem die Politik, und allen voran die Stadt Stuttgart, für das Projekt verkämpft. Danach standen Bahnvorstand und Aufsichtsrat oft alleine da – und haben trotz strittiger Fragen um die Mehrkosten doch immer – zuletzt im März 2013 – großes Verantwortungsbewusstsein gezeigt.
Sie waren viereinhalb Jahre lang Mr. Stuttgart 21. Was wird Ihnen fehlen?
Mein Handy und die dauernde Erreichbarkeit wird mir jedenfalls nicht fehlen. Meine Arbeit war früher nicht im Licht der Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeitswirkung war ein Punkt, der mich mehr belastete, als ich dachte. Fehlen werden mir die Menschen, für die ich die Integrationsfigur war, aber auch mein Team und all die vielen Menschen, die sich für dieses Projekt aufreiben, von dem man nach meiner festen Überzeugung eines Tages sagen wird, dass es wichtig war für dieses Land.