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Zwei Bäume, in denen Fledermäuse Winterschlaf halten, dürfen vorerst nicht gefällt werden.

Stuttgart - Die Deutsche Bahn will für Stuttgart21 im Mittleren Schlossgarten 176 Bäume fällen oder verpflanzen. Das Vorhaben wird derzeit von zwei Fledermäusen und einer juristischen Hängepartie um den Naturschutz ausgebremst.

Sie sind keine zehn Zentimeter lang, haben eine Flügelspannweite von 40 Zentimetern und bringen kaum mehr als 30 Gramm auf die Waage. Zurzeit dämmern die beiden Fledermäuse von der Art Großer Abendsegler in zwei Baumhöhlen im Mittleren Schlossgarten im Winterschlaf vor sich hin. Trotzdem halten die beiden Tiere die Deutsche Bahn AG und etliche Naturschützer, Juristen und Beamte auf Trab.

Weil Fledermäuse EU-weit artenschutzrechtlich strengstens geschützt sind, dürfen Bäume, in denen Tiere überwintern, nicht gefällt werden. Für die Bahn bedeutet das konkret, dass sie zwei Bäume im Schlossgarten in diesem Winter für ihr Milliardenprojekt Stuttgart21 nicht fällen darf. Neben den beiden Fledermaus-Bäumen dürfen weitere acht Bäume nicht angerührt werden, weil sie vom ebenfalls streng geschützten Juchtenkäfer bewohnt werden.

Termin für Vollsperrung wird gesucht

Der ursprüngliche Plan der Bahn hatte vorgesehen, dass bis zum 29.Februar - dann endet die vegetationsarme Phase und Baumarbeiten sind bis zum 1.Oktober zum Ende Oktober nur noch mit einer Sondergenehmigung möglich - im Schlossgarten 176 Bäume gefällt oder verpflanzt werden, die dem Bau des Tiefbahnhofs im Weg stehen. An diesem Vorhaben will die Bahn bisher in groben Zügen festhalten.

"Wir gehen derzeit davon aus, dass wir unseren Zeitplan einhalten und die Arbeiten im Mittleren Schlossgarten bis Ende Februar durchführen können", sagte S-21-Sprecher Wolfgang Dietrich am Dienstag. Nach Informationen unserer Zeitung sind Bahn und Polizei bereits auf der Suche nach einem Termin für die nötige Vollsperrung des Parks Anfang Februar.

Die zwei großen Bäume, in denen sich die Fledermäuse einquartiert haben, können frühestens im Oktober gefällt werden. Um sie während der Bauarbeiten zu schützen, sollen sie bis zum Herbst mit einem Zaun abgesichert werden. Die acht Juchtenkäfer-Bäume, die nach neueren Plänen sowieso außerhalb des Baugrunds stehen, sollen ebenfalls einen Schutzzaun sowie eine Bewässerungsanlage erhalten. "Der Käfer soll nicht durch einen Trockenstress des Baumes unruhig werden und abwandern", erklärt ein Experte die Bewässerung.

Papst-Besuch und Volksabstimmung

Die Schutzmaßnahmen sind Teil eines sogenannten artenschutzrechtlichen Maßnahmekatalogs, den das für die S-21-Genehmigungen zuständige Eisenbahn-Bundesamt (Eba) konkret erstmals am 23.November 2010 im Nachgang an die umstrittene erste Baumfällung im Park von der Bahn angefordert hat. Doch die Auflage blieb im Konzern lange Zeit unbearbeitet - was Beobachter im Nachhinein mit der "Aufregung" rings um die Schlichtung, die Landtagswahl und den Stresstest zwischen Herbst 2010 und Sommer 2011 zu erklären versuchen.

Als die Bahn am 1.Oktober 2011 mit der Baumfällung beginnen wollte, musste die durch den Papst-Besuch in Freiburg bereits arg strapazierte Polizei passen. Als dann noch aus politischen Gründen die Volksabstimmung am 27.November abgewartet wurde, hatten die beiden Abendsegler die Gunst der Stunde genutzt und bereits ihr Winterquartier bezogen.

Neben diesem Fauxpas hätte es die Bahn aber auch nicht geschafft, rechtzeitig alle verlangten Unterlagen vorzulegen. Die Fledermauspopulation im Park war zwar im Sommer mit Utraschallmessgeräten - sogenannten Batcordern - erfasst worden. Trotzdem konnte die Bahn die letzten Unterlagen und Gutachten erst am 6.Januar 2012 dem Eba zur abschließenden Prüfung vorlegen.

"Vorgehen ist ein Witz"

"Im Grunde ist das ganze Vorgehen der Bahn ein Witz", kritisiert Ingrid Kaipf, Geschäftsführerin der am Verfahren beteiligten unabhängigen AG Fledermausschutz Baden-Württemberg. Hätte sich die Bahn früher ernsthaft um den Schutz der bedrohten Tiere gekümmert, hätte man viel mehr erreichen können, so Kaipf. Außerdem seien die Gutachten nicht vollständig.

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bemängelt "herbe methodische Defizite" der Fledermaus-Gutachten. Das mindestes, was man jetzt erwarte, seien "konkrete, überprüfbare Auflagen des Eba für die Bahn", betont BUND-Geschäftsführer Berthold Frieß. Außerdem behalte man rechtliche Schritte gegen weitere Baumaßnahmen im Park vor.

"Voraussichtlich kommende Woche" will das Eisenbahn-Bundesamt abschließend bewerten, ob der Natur- und Artenschutz bei den S-21-Arbeiten nunmehr genügend berücksichtigt ist - und ob die Bäume, in denen weder Fledermäuse noch Juchtenkäfer leben, gefällt oder versetzt werden dürfen.