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Die Weichen für eine Volksabstimmung zum Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 sind gestellt.

Stuttgart - Mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP hat der Landtag am Mittwochabend das Kündigungsgesetz der grün-roten Regierung zu Stuttgart 21 abgelehnt. Das Drama um das Projekt geht damit in die entscheidende Phase.

Es ist Spätsommer in der Landeshauptstadt. Die Straßencafés sind voll, auf den Wiesen genießen die Menschen das Bilderbuchwetter. Irgendwie scheint das Thema Stuttgart 21 an diesem Mittwoch keinen zu interessieren. Dabei ist dieser 28. September 2011 für Baden-Württemberg ein historischer Tag. Denn nun werden die Weichen für eine Volksabstimmung gestellt.

In einigem Abstand vom Landtag sorgt dann aber doch eine Gruppe Menschen für Aufmerksamkeit: Die 60 Abgeordneten der CDU-Landtagsfraktion, angeführt von Fraktionschef Peter Hauk, enthüllen ein überdimensionales rotes Kreuz auf schwarzem Grund. Die Botschaft für die Volksabstimmung am 27. November ist eindeutig: "Wir sind für Stuttgart 21 und sagen deshalb Nein zum Kündigungsgesetz."

Im Landtag wird heftig um das Thema Stuttgart 21 gerungen. Immerhin ist es das Ziel der grün-roten Landesregierung, ein eigenes Gesetz scheitern zu lassen. Vor Wochen hatte die Regierung das sogenannte Kündigungsgesetz zu Stuttgart 21 in den Landtag eingebracht. Nach dem Willen vor allem der Grünen soll es dafür sorgen, dass sich das Land aus der Mitfinanzierung des umstrittenen Bahnhofsumbaus zurückziehen kann und das Projekt damit zum Kippen gebracht wird.

Allein, die SPD sieht das anders, weil sie Stuttgart 21 in der Mehrheit unterstützt - genauso wie CDU und FDP, die zu ihrer Regierungszeit das Projekt stets vorangetrieben haben, weil es die Stellung des Industriestandorts Baden-Württemberg auf Dauer sichern soll. Weil sich aber Grüne und SPD nicht einigen können, hatten sie sich bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung auf den bisher einmaligen Weg geeinigt: Man lässt das Gesetz im Landtag scheitern, um dem Volk schließlich das letzte Wort zuzubilligen.

Verbale Giftpfele von links nach rechts und zurück

Kein Wunder, dass diese Art der Politik am Mittwoch noch einmal zu einem heftigen Schlagabtausch im Landtag führt. Die verbalen Giftpfeile rasen von links nach rechts und zurück. Im Visier stehen vor allem die Grünen: Sie werden von CDU, SPD und FDP gleichermaßen in die Zange genommen.

Wie könne es denn sein, fragt genüsslich CDU-Fraktionschef Peter Hauk, dass Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann erst kürzlich offiziell mitgeteilt habe, es gebe derzeit keine Kostensteigerungen bei dem Bahnprojekt. Gleichzeitig aber müssten explodierende Kosten als Begründung für das Ausstiegsgesetz herhalten. Hauk: "Irgendjemand lügt hier."

Bei der SPD regt sich während seines Beitrags keine Hand - auch dann nicht, als der Grünen-Abgeordnete Daniel Renkonen die Kostenentwicklung von S 21 in den schwärzesten Farben schildert. Das Projekt habe nichts mit den Grundsätzen ehrbarer Kaufleute zu tun, sei eine Mogelpackung, ein gesellschaftlicher Spaltpilz.

Als er schließlich befindet: "Stuttgart 21 bringt weniger Bahnverkehr für mehr Geld", hält es allerdings den ehemaligen Projektsprecher Wolfgang Drexler (SPD) kaum mehr auf seinem Sitz. Nur mühsam verkneifen sich auch andere Rote einen Zwischenruf - der fundamentale Konflikt in dieser Sache mit den Grünen ist mit Händen zu greifen.

SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel treibt die Sache schließlich auf die Spitze, als er mit einer wuchtig-witzigen Rede für Stuttgart 21 plädiert - und zwar unter dem donnernden Applaus von CDU und FDP. Das hat es im Landtag so noch nie gegeben. In einer fast kabarettreifen Vorstellung rechnet er dem Hohen Haus vor, weshalb er von dem Vorwurf der Kostensteigerung gar nichts hält. Dazu hat er eigens einen großen silbernen Taschenrechner mit ans Rednerpult gebracht: "Wir machen jetzt einen Zahlencheck." Dann zählt er Baukosten, Planungskosten und alle möglichen Posten mit großer Geste zusammen - um wie erwartet zum Schluss zu folgendem Ergebnis zu kommen: "Restrisikopuffer 390 Millionen Euro, wir sind nicht an der Obergrenze."

Es kommt wie geplant

Man spürt förmlich, wie er es genießt, die Grünen vorzuführen - war er doch erst jüngst von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für seine mit der CDU geplante Pro-S-21-Kampagne gerügt worden. "Ich würde das Projekt nicht so runtermachen", ruft er den Grünen jetzt zu, "es kann nämlich gut sein, dass wir das zusammen bauen." Erst zum Schluss, mit Blick auf die Volksabstimmung, wird er wieder konziliant: "Wenn man das respektvoll miteinander macht, können wir nur alle gewinnen."

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) lässt sich allerdings auf keinerlei Polemik ein. Er legt noch einmal die Kostenrisiken dar und mutmaßt, die Deutsche Bahn zweifle selbst am Sinn des Projekts, weil sie die Ausstiegskosten berechnen lasse. Wer wie die CDU meine, das Gesetz sei rechtlich angreifbar, müsse vor dem Staatsgerichtshof dagegen klagen: "Das tun Sie aber nicht." Hermann verspricht schließlich eine "informative Regierungsbroschüre zur Volksabstimmung, die klar Pro und Contra benennt".

So kommt es wie geplant. Mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP sagt der Landtag ein deutliches Nein zum Kündigungsgesetz. Das Gesetz ist damit gescheitert. Wenig später treffen sich die Abgeordneten draußen im Foyer des Landtags zum Unterschriftsmarathon, weil nunmehr ein Drittel der Abgeordneten die Volksabstimmung offiziell beantragen muss. Kaum ist das geschafft, trifft sich das Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu einer Sondersitzung. Denn die Regierung muss - zumindest offiziell - die Volksabstimmung freigeben, den Wortlaut der Frage beschließen und den Termin bestimmen.

Allein, das alles ist nur noch eine Formsache. Das grüne Licht der Regierung ist klar, der Termin 27. November steht auch fest. Und der Wortlaut der Frage ist inzwischen auch bekannt. Sie lautet: "Stimmen Sie der Gesetzesvorlage ,Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21' zu?" Die Bürger werden auf diese Frage mit Ja oder Nein antworten müssen, eine Enthaltung ist nicht möglich.

Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass viele Abgeordnete am Mittwoch den Kopf schütteln über die Formulierung der Frage. "Das ist doch viel zu kompliziert" oder "Wer hat sich nur das ausgedacht?" heißt es aus allen Richtungen. Fakt ist: Die Koalitionsspitzen haben tagelang über dem Fragetext gebrütet. Dass am Ende diese komplizierte Formulierung entstanden ist, wird regierungsintern vor allem den Grünen zugeschrieben. "Die spekulieren vielleicht darauf, dass viele Bürger die Frage nicht richtig lesen oder verstehen und einfach bei Ja ankreuzen, weil sie für Stuttgart 21 sind", meint ein führender Koalitionär. Aber ein Ja in ausreichender Mehrheit würde das Aus für Stuttgart 21 bedeuten. Kein Zweifel: Die Diskussion um das leidige Thema Stuttgart 21 wird auch nach diesem Tag weitergehen.