Der neue Tiefbahnhof – hier die Baustelle im Schlossgarten – wird nach heutigen Stand erst Ende 2023 in Betrieb gehen können. Das wären zwei Jahre später als geplant. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der neue Hauptbahnhof in Stuttgart wird Stand heute erst Ende 2023 und nicht 2021 fertig werden. Das Infrastrukturprojekt kratzt nach Berechnungen der Bahn bereits an der Kostengrenze.

Stuttgart - Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn wird sich in seiner Sitzung am 15. Juni erneut mit dem Projekt Stuttgart 21 befassen. Vorstandschef Rüdiger Grube und Infrastrukturvorstand Volker Kefer müssen den Kontrolleuren nach der Kostenexplosion im Jahr 2013 (von 4,5 auf 6,5 Milliarden Euro) weitere Hiobsbotschaften überbringen.

Die bei den Bahn-Kontrolleuren eingegangenen und als „streng vertraulich“ gezeichneten Unterlagen weisen auf 13 Seiten enorme Zeit- und Kostenprobleme aus. So kann das Herzstück des Projekts, der neue Tiefbahnhof, und damit auch das Gesamtsystem, voraussichtlich erst 2023 in Betrieb gehen. Als Hauptgrund für „24 Monate Gegensteuerungsbedarf“, wird die Änderung des Rettungskonzept mit der Verschiebung der bereits genehmigten Fluchttreppenhäuser im Durchgangsbahnhof genannt. Die Genehmigung der durch die Änderung auch nötigen neuen Statik für alle Baufelder der Halle mit den Nummern 9 bis 18 wird erst für Juni 2017 erwartet.

Die Bahn will sich nicht äußern

Bahn und die S-21-Projektgesellschaft in Stuttgart äußerten sich am Freitag mit Verweis auf die Vertraulichkeit der Unterlagen an den Aufsichtsrat nicht zu der kritischen Entwicklung. Neben dem Hauptbahnhof liegen die Abschnitte am Flughafen und der Tunnelbau nach Feuerbach außerhalb des bisherigen Zeitplans. Auf dem unterirdischen Weg vom Hauptbahnhof nach Feuerbach müssen die Mineure mit quellfähigem Anhydrit rechnen. Bei Wasserzutritt würden enorme Kräfte auf die Tunnelwände wirken.

Der Tunnelbau in diesem Abschnitt 1.5 wurde, nachdem der Bahn Erkenntnisse aus Untersuchungen im Engelberg-Autobahntunnel vorlagen, auf ein neues Verfahren umgestellt. Die zusätzliche Absicherung der beiden Röhren durch das Einspritzen von Harz in Bohrungen bis zu 25 Meter oberhalb der Tunnelröhren und eine deutlich verstärkte Tunnelsohle kostet laut Unterlagen allein 144 Millionen Euro zusätzlich. Die Bahn ist hier nun ein Jahr in Verzug. In Unterlagen an den Stuttgart-21-Lenkungskreis, in dem Verkerhsminister Winfried Hermann, OB Fritz Kuhn (beide Grüne) und Regionaldirektorin Nicola Schelling für die Projektpartner Land, Stadt und Region Stuttgart sitzen, wurde dieser Abschnitt Ende 2015 nicht als zeitkritisch dargestellt.

In der Auflistung für die Aufsichtsräte kommen weiter große Mehrkosten hinzu: 166 Millionen Euro zusätzlich wegen Verzögerungen bei der Genehmigung geänderter Pläne, 78 Millionen Euro für die Verbesserung der Fluchtmöglichkeiten im Schadensfall für Reisende, 65 Millionen für Lärmschutz sowie 45 Millionen für den Artenschutz. Weitere 77 Risiken, die von der Bahn bisher mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von weniger als 50 Prozent bewertet wurden, deren Eintreten nun aber offenbar erwartet werden muss, werden mit 125 Millionen Euro angegeben.

524 Millionen Euro sollen eingespart werden

In der Summe, die gegenüber dem Aufsichtsrat als „extern induzierte Risiken“ bezeichnet wird, hat sich das Projekt damit gegenüber 2013 um 623 Millionen Euro verteuert. Insgesamt werden nun Kosten von 6,511 Milliarden Euro genannt. Damit liegt das Bauvorhaben nur noch um 15 Millionen Euro unter der vom Aufsichtsrat im März 2013 maximal eingeräumten Summe von 6,526 Milliarden Euro. Das Kontrollgremium hatte für Grube und Käfer damals aber von der Gesamtsumme nur 5,987 Milliarden Euro freigegeben. Mit ihr waren alle damals bekannten Risiken mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent abgedeckt. Um die freigegebene Obergrenze wieder zu erreichen, müssen 524 Millionen Euro eingespart werden. Diese Summe wird als „Gegensteuerungsbedarf“ angegeben. Wie er bewältigt werden soll, darin bleibt die Vorlage vage. Auf Seite 10 werden zum Beispiel pauschal „100 Millionen Euro Baukostensenkung“ genannt. Dieses Vorgehen erinnert stark an die von Rüdiger Grube im Jahr 2009 nach der Unterzeichnung des Finanzierungsvertrags aufgegebene Kostenprüfung. Sie drückte das Projekt am Ende unter den von allen Partnern beschlossenen Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro.

Der Fertigstellungstermin

Es ist heute völlig ungeklärt, wer Stuttgart 21 weiter finanzieren würde, wenn die inzwischen zur Verfügung stehenden 6,526 Milliarden Euro nicht ausreichen würden.

Ein möglicher Zeitverzug war dem Aufsichtsrat vom Bahn-Vorstand bei der Kostenexplosion 2013 als wahrscheinlich angekündigt worden. Eine einjährige Verzögerung (auf 2022) wurde mit 80 Prozent bewertet. Finanziell sollten die Auswirkungen bei vergleichsweise bescheidenen 100 Millionen Euro liegen. Erstaunlich wirkt die Schlussfolgerung des Vorstands aus dem erneuten Desaster: Der Fertigstellungstermin soll offiziell weiter mit Ende 2021 angegeben werden.