Hermann kritisiert undurchsichtige Informationspolitik - Protokolle zeigen anderes Bild.

Stuttgart - Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bezweifelt das positive Ergebnis des S-21-Stresstests und wirft der Bahn ein "Foul" bei Bekanntgabe der Resultate vor. Der Konzern weist die Kritik zurück. Tatsächlich belegen Protokolle, dass es das Land längst besser wusste.

Die positiven Ergebnisse des Stresstests von Stuttgart21 sorgen weiterhin für hitzige Debatten. "Der Stresstest ist erst gültig, wenn überprüft wird, dass die Züge in guter Qualität fahren", schränkte Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Montag ein. Die Bahn verweigere nach wie vor Grundlagen des Tests. Stattdessen erhalte die Öffentlichkeit ein Ergebnis in der Interpretation der Bahn. "Das ist Foul gespielt", sagte Hermann.

Die Bahn wies die Kritik umgehend zurück. "Seit Wochen ist das Verkehrsministerium in einem Arbeitskreis zeitnah über die Ergebnisse und aktuelle Daten der Simulation informiert worden", sagte am Montag S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Der von Hermann geäußerte Vorwurf, ihm lägen "keinerlei überprüfbaren Daten" vor, sei nicht haltbar, meinte Dietrich.

"Ist der Fahrplan der Simulation auch sinnvoll?"

Am Wochenende hatten sich Informationen über ein positives Resultat des Stresstests verdichtet. Laut Computersimulation kann der geplante Tiefbahnhof im Bahnknoten Stuttgart21 demnach in der morgendlichen Spitzenstunde 49 Züge abfertigen und arbeitet auch bei Störeinflüssen in guter Betriebsqualität. Dazu sind zwei Ausbauoptionen nötig, die für 40 Millionen Euro realisiert werden können. Diese beiden Kernaussagen des Stresstests sind bereits im Umfeld des Konzerns bestätigt worden.

Das Ministerium Hermann kritisiert zweierlei: Zum einen müssten die von der Bahn erstellten Testate erst vom unabhängigen Schweizer Gutachterbüro sma geprüft und bewertet werden, ehe dessen Fazit mit allen Projektpartnern am 14.Juli öffentlich diskutiert wird. Zum anderen stört das Ministerium, dass die Bahn die Kunde vom bestandenen Test "über nicht nachvollziehbare Kanäle" an die Medien lanciert habe. "Bisher hieß es, die Ergebnisse seien nicht vor dem 11.Juli lieferbar", kritisierte am Montag Hermanns Pressesprecher Rolf Gramm. Er erinnerte auch daran, dass Hermann von der Bahn bereits mehrfach "die zu Grunde liegenden Fahrpläne, Gleisbelegungspläne und weitere Details" angefordert habe, die man benötige, um den Stresstest nachzuvollziehen. "Die Bahn behauptet nur, dass der Test funktioniert hat", so Gramm. "Wir wollen wissen: Ist der Fahrplan der Simulation auch fahrbar und sinnvoll?"

Hermann war über laufenden Stresstest informiert

Bisher ist davon ausgehen, dass Minister Hermann die abschließenden Stresstestergebnisse tatsächlich noch nicht übermittelt bekommen hat. Andererseits stellt sich nach Recherchen unserer Zeitung heraus, dass sein Ministerium in weitaus größerem Umfang als bisher bekannt über den laufenden Stresstest informiert war: Zur Vorbereitung und Begleitung der Prüfung hat es bisher mindestens fünf Sitzungen des sogenannten "Lenkungskreises Stresstest" gegeben, in dem in erster Linie die Arbeitsebene von Bahn, Land und Stadt Stuttgart vertreten ist. Aus dem Protokoll der bisher letzten Sitzung am 16.Juni, das unserer Zeitung samt Anlagen vorliegt, wird deutlich, inwieweit die Projektpartner informiert wurden: So erklärt die Firma sma in einem 31-seitigen Vortrag ausführlich, wie es gelungen sei, den in der Schlichtung geforderten Fahrplan für Stuttgart21 mit 49 Zügen zur fraglichen Stunde zu gestalten.

Ein guter Fahrplan ist nicht nur Grundvoraussetzung, sondern auch der Schlüssel für einen erfolgreichen Test. "Das Ministerium von Herrn Hermann war bereits am 16.Juni im Besitz von 95 Prozent der Informationen, die man braucht, um den Ausgang des Tests zu erkennen", wundert man sich im Umfeld der Tester. Das Ministerium wird die detaillierten Fahrplanangaben auch kaum übersehen haben - schließlich hatte es dazu am 27.Mai Nachforderungen in Form eines Fünf-Punkte-Katalogs gestellt. Auch diese Forderungen, teilt sma Mitte Juni dem Lenkungskreis Stresstest mit, seien "grundsätzlich erfüllt" oder mit "moderaten Abweichungen" erfüllt. Die Bahn hatte die Änderungen als sinnvoll akzeptiert.

Stresstest für den alten Bahnhof?

Im eigentlichen Stresstest, der 100 Betriebstage simuliert, hat sich Stuttgart 21 nach Informationen unserer Zeitung als ausreichend "robust" erweisen. Das heißt, dass sich die im Computerprogramm zufällig erzeugten Verspätungen einzelner Züge im Durchschnitt um nicht mehr als 60 Sekunden aufgeschaukelt haben. Wenn sich ein Fahrplan unter Störeinflüssen derart verhält, sprechen Experten von "optimaler Betriebsqualität".

Aus dem letzten Protokoll des Stresstest-Lenkungskreises geht auch hervor, dass die Bahn das in der Schlichtung geforderte Notfall-Szenario für die S-Bahn erst nach dem 14.Juli wird liefern können. Auch von einem Stresstest für den alten Bahnhof, wie ihn die S-21-Kritiker fordern, ist unter dem Punkt "Sonstiges" die Rede. Das verspätete S-Bahn-Notfallkonzept wird von unabhängige Experten moniert; auch die offenbar unterbliebene Betrachtung technischer Störfallszenarien - etwa eine defekte Weiche im Tiefbahnhof - stößt auf Misstrauen. "Davon abgesehen sind die geplanten Bahnanlagen von S21 aber in vielfältiger Hinsicht ideal", urteilt ein Verkehrswissenschaftler.