Bauleiter Georg Hofer dirigiert unter Tage den Bagger – seine Mineure aus Österreich trotzen dem Fels Meter für Meter, Sprengung für Sprengung Gestein ab. Foto: Lichtgut/Jan Reiser

Sie sind so etwas wie ein Exportschlager ihres Landes: etwa 70 Österreicher, die sich mit Wissen und Geschick durch jeden Fels unter Tage fressen. In Stuttgart graben sie sich von Wangen aus in zwei Richtungen vorwärts.

Stuttgart - „Im grauen Staub. Tief im Dunkel, kennst du dich aus, wenn’s drauf ankommt. Wenn’s passiert, bleibst du ruhig. Bist du routiniert.“ Die Zeile aus der Ode „Unter Tage“ hat Herbert Grönemeyer den Kumpels im Revier gewidmet. Die knappe, karge Sprache des Liedtextes passt zu diesen Männern. Auch sie sind hart, schnörkellos, kantig. Und wenn es passiert, bleiben sie ruhig. Seelenruhig.

Die Geschichten der Kumpels boten Stoff für Dramen. Es waren Erzählungen voller Leid. Von Typhus, von üblen Dämpfen, von Dynamitunfällen und Revolten. Der Mythos hält sich bis heute. Obwohl im Revier längst Schicht im Schacht ist. Aber die Arbeit unter Tage geht weiter. Weniger im Kohlebergbau, dafür umso mehr im Tunnelbau. Und überall, wo sich Bohrer oder Bagger durch das Gestein fressen, sind sie gefragt: die modernen Kumpels. Die harten Jungs, die ruhig bleiben, wenn’s passiert.

Mineure kämpfen sich unter dem Neckar durch

Weit unten, irgendwo zwischen dem Hauptbahnhof und Untertürkheim passiert es täglich. Mindestens viermal. Es kracht dumpf und grollt bedrohlich. Die Erde bebt. Die Luft vibriert. Die Mineure haben eine Ladung Emulexa von Austin Powder hochgehen lassen. Sprengstoff made in Austria, gezündet von Männern aus Österreich. Georg Hofer ist der Chef dieser Kompanie aus dem Alpenland. Zusammen mit etwa 70 Arbeitern hat der Bauleiter nur ein Ziel: Er will Licht am Ende des Tunnels sehen.

Im Rahmen des Bauloses 1b „Tunnel Ober- /Untertürkheim“ kämpfen sich Hofer und seine Arbeiter durch die Erde. Sogar weit unter dem Neckar, an zwei Fronten. Sie nennen es Zwischenangriff, weil sie sich vom Startpunkt an der Ulmer Straße in Wangen gleichzeitig Richtung Bahnhof und der Neckarvororte sprengen. „Geht schneller“, sagt Hofer trocken. Zeit ist knapp. Zeit ist Geld. Bis 2018 sollen die Eisenbahnröhren fertig sein. Daher klingt der nächste ferne Knall wie Musik in den Ohren des Mannes aus Linz. Wenn sich Pulverdampf und Staub im Stollen mischen, mischt sich auch Zufriedenheit unter die Mineure, Poliere, Vermesser, Geologen, Bagger- und Lkw-Fahrer. Denn jede Explosion bedeutet: Es geht voran. Meter für Meter dem Ziel entgegen.

Österreicher gelten weltweit als die Besten

Nur wenige beherrschen diese Arbeit unter Tage so gut wie die Österreicher. „Wir haben halt viele Berge, wo wir uns durchgraben müssen“, sagt Georg Hofer und grinst. Sein Eigenlob hört sich ein bisschen wie Ricola-Werbung an: „Wer hat’s erfunden?“ Diesmal nicht die Schweizer, meint Hofer, der im April 50 wird. „Die Schweizer haben zwar auch viel Know-how, aber wir Österreicher sind die Praktiker.“ Daher sind die Männer des österreichischen Schacht- und Tiefbauunternehmens gefragt. Weltweit. Erst recht aber bei Europas derzeit größtem Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 mit der Schnellbahnstrecke nach Ulm.

Hier geht es bekanntlich um mehr. „Dieses Projekt ist für mich auch aufgrund seiner Geschichte eine große Herausforderung“, sagt Bauleiter Hofer. Er weiß: Hier hat nicht nur sein Austrian Powder große Sprengkraft, sondern auch die gesellschaftliche und politische Dimension des Bahnhof-Projektes. Nirgendwo habe er bisher so sensibel arbeiten müssen. Sich unter einer Stadt und einem Fluss durchzugraben ist etwas anderes. Anders als viele andere Bauprojekte in Hofers 21-jährigem Berufsleben. „Hier kann man nicht nur stur geradeaus“, weiß der Experte. Die Stadt zwinge einen, um die Ecke zu graben. „Daher haben wir uns anders als beim Fildertunnel für den konventionellen Vortrieb entscheiden“, sagt Bauleiter Hofer. Beim Fildertunnel nagt sich ein 240 Meter langer Bohrer pfeilgerade durch die Erde. „Aber damit wären wir hier nicht so variabel“, sagt Hofer und schaut skeptisch auf die adrige Felswand, die sich vor ihm aufbaut. Diese Wand fordert allerhöchste Variabilität. Denn diese Wand hat etwas von einer Duschkabine. Wasser rinnt an ihr runter, als hätte jemand vergessen, die Brause abzustellen. Wäre es Neckarwasser, hätten die Kumpel ein Riesenproblem. Somit war zunächst höchste Vorsicht geboten. Aber gefühlte 1000 Tests hätten schließlich ergeben: „Es ist nur ein Grundwasserhorizont.“

Im Tunnel- und Stollenbau heißt es immer: Man muss die Natur kennen, wenn man sie bezwingen will. Sprengen, bohren, baggern, das Gewölbe mit Beton ausschalen: Hört sich einfach an, wäre aber ohne perfekte Planung und Erfahrung nicht möglich. Hofer weiß: Der kleinste Fehler hätte fatale Folgen. Deshalb verliert er seine charmante Art, wenn er mit dem Lift 40 Meter in die Tiefe fährt. Unter Tage herrscht bei ihm stets Alarmstimmung. Die Bagger und Laster mit ihren mannshohen Rädern wirken im Schummerlicht der Stollen nicht nur bedrohlich. Sie sind es auch für Unachtsame. Doch Hofers Baustelle ist seit 23 Tagen unfallfrei. Eine digitale Anzeigetafel zeigt die Ziffer an – als Erfolg der Wachsamkeit, aber auch als Mahnung vor Leichtsinn.

23 unfallfreie Tage

Andererseits dürfte es für die österreichische Kompanie ohnehin sehr schwer sein, auf dumme Gedanken zu kommen. Die meisten kennen Stuttgart nur von Postkarten. Ihr Doppelschichtrhythmus lautet: zehn Stunden malochen, im Container-Dorf am Ostkai schlafen, wieder malochen und schlafen, nach neun oder zehn Tagen heimfahren. Vier oder fünf Tage Heimaturlaub. Jahrein, jahraus. „Wer Heimweh hat, ist hier fehl am Platz“, sagt Hofer. So etwas könne man sich in diesem Beruf nicht leisten. Und bei diesem Projekt schon gar nicht. Die Baustelle ruht nur für wenige Tage an Ostern und Weihnachten sowie am 4. Dezember. Es ist der Feiertag der Bergleute. Sie ehren die heilige Barbara, ihre Schutzpatronin.

Auch Georg Hofer lebte viele Jahre in diesem Arbeitsrhythmus. Heute führt er eine Wochenendbeziehung. Von Montag bis Freitag trennen ihn 530 Kilometer von seinen Lieben. „Oft hat mir meine Frau am Telefon erzählt, dass die Kinder die ersten Schritte gegangen sind oder das erste Wort gesprochen haben“, erinnert er sich. Geschadet habe es aber niemandem. Weder dem Sohn (19) noch der Tochter (17). Und schon gar nicht seiner Ehe. Er sei 30 Jahre „glücklich verheiratet“. Sein Geheimnis laute: zu Hause die Gedanken an den Job abschalten und die Zeit intensiv mit der Familie verbringen.

Es ist offenbar keine Märchenstunde von der schönen heilen Welt in Oberösterreich. Georg Hofers Familienleben muss intakt sein. Wenn nicht, hätte sein Sohn eine tiefe Abneigung gegen alle Tunnel und Röhren. Stattdessen besucht der Filius bereits das berufliche Gymnasium für Bauwesen.

Genau so hat es bei Georg Hofer übrigens vor über 30 Jahren auch angefangen. Seitdem hat er den Tunnelblick und kennt sich tief im Dunkel aus.