Thomas Hochgürtel inmitten seiner Gesteinsproben – drei Mal täglich steigen die Geologen für ihre Untersuchungen in die Tunnelbaustellen Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wie sicher ist der Tunnelbau im komplexen Stuttgarter Untergrund? Viele Kritiker fürchten Probleme. Doch die zuständigen Geologen sehen keine unkalkulierbare Gefahr. Sie überwachen die Baustellen rund um die Uhr.

Stuttgart - Wenn Thomas Hochgürtel vom Gebirge spricht, meint er keinen Ausflug in malerische Alpenlandschaften. Auch wenn um ihn herum viel in österreichischer Mundart geredet wird, weil die Mineure auf den Baustellen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 vorwiegend von dort stammen. Hochgürtels Blick geht vielmehr in die Tiefe. In die gewaltigen Tunnel, die die Männer derzeit unter der Stadt graben und sprengen. Das Gebirge ist für ihn der Stuttgarter Untergrund. Das Gestein, durch das es rund um die Uhr vorwärtsgehen muss.

Der Bauingenieur steht im Tunnel irgendwo unter Wangen und Untertürkheim. „Hier sind wir schon unter dem Neckar durch“, sagt er und zeigt nach oben. Es ist heiß und staubig. Der Blick des 49-Jährigen richtet sich nach vorn, auf die Felswand, die es als Nächstes zu sprengen gilt. Denn Hochgürtel ist der Beauftragte des Weinheimer Ingenieurbüros WBI für den Stuttgart-21-Bau. Seinen Chef Walter Wittke nennen manche den Tunnelpapst. Die Aufgabe: die Geologie untersuchen, die Sicherheit der Baustelle und der Tunnel gewährleisten.

Eine heikle Aufgabe. Denn dass sich unter der Stadt Stuttgart überhaupt sichere Röhren graben lassen, bezweifelt seit Projektbeginn so mancher Kritiker. Immer wieder tauchen Szenarien auf von einem Bahnhofstrog, der sich in Bewegung setzt, von einem Fernsehturm, der instabil werden könnte, oder von Tunneln, die zusammengedrückt werden. Grund dafür ist der Gipskeuper, der stellenweise anhydrithaltig ist. Kommt eine solche Schicht mit Wasser in Kontakt, kann sie aufquellen und ihr Volumen dabei um bis zu 60 Prozent vergrößern.

Anhydrit als Risikofaktor

„Solche Bedenken teile ich nicht“, sagt Hochgürtel betont sachlich. Seine jahrzehntelange Tätigkeit hat ihn schon bis nach Israel geführt, aber die Baustelle in Stuttgart ist eine seiner kompliziertesten. „Der Baugrund in Stuttgart ist sehr komplex, es gibt zahlreiche unterschiedliche Formationen“, sagt er und deutet auf die Wand vor ihm. Dort zeigen sich auf wenigen Metern weiße, graue und braune Bänder. „Das ist nur eine geologische Formation von vielen – aber zum Glück unkritisch“, so der Experte.

Beim Anhydrit ist das anders. Da hilft es auch nicht, irgendeinen Puffer einzuplanen, falls sich der Untergrund ausdehnen sollte. Anhydrit kann man nur mit absoluter Trockenheit bändigen. „Also darf an solchen Stellen kein Wasser dran. Die Baustelle im Nachbartunnel zum Beispiel ist staubtrocken“, sagt Hochgürtel. Ohne eine gewaltige Absauganlage und Mundschutz könnte dort niemand arbeiten. Die Sicht liegt oft bei unter zwei Metern. Doch selbst wenn später irgendwo Gestein aufquellen sollte, habe man das im Griff, beteuert der Bauingenieur: „Die Innenschale ist stark genug. In Deutschland herrscht ein sehr großes Sicherheitsdenken.“

Während Hochgürtel erzählt, klopfen Geologen bereits die unterirdische Felswand ab und machen Fotos. Die nächste Sprengung muss sicher sein. Schon lange zuvor sind zahlreiche Probebohrungen gemacht worden, um den Untergrund zu erkunden. „Doch man weiß trotzdem nie, was einen erwartet“, weiß der Experte. Sofort nach dem Ausbruch des Gesteins muss der neue Abschnitt, in der Regel 1,30 Meter tief, mit Spritzbeton und Stangen gesichert werden. Je schwieriger die Geologie ist, desto schneller muss das gehen.

Von Wangen aus 2,7 Kilometer Tunnel gegraben und gesprengt

Zwischen drei und fünf Meter pro Tag geht es derzeit voran. Vom Eingriff Wangen aus sind inzwischen rund 2,7 Kilometer Tunnel in Richtung Hauptbahnhof, Ober- und Untertürkheim gegraben. Ob sich dort oder im Fildertunnel von der A 8 zum Hauptbahnhof etwas bewegt, wird auch mit Messanlagen überwacht. Alle paar Meter finden sich kleine Spiegel an der Decke, deren Position erfasst wird. Jeder Millimeter, der sich verändert, fällt auf.

Auf größere Schwierigkeiten sei man unter der Stadt bisher noch nicht gestoßen, bekräftigt Hochgürtel. Damit das in Zukunft so bleibt, nehmen die geologischen Baubegleiter auch Proben. Vor jeder Sprengung, meistens dreimal am Tag, geht es nach unten in die Tunnel und mit ein paar Handvoll Gestein wieder nach oben. Im WBI-Büro stapeln sich Hunderte Plastikbehälter voller Ausbruch in unterschiedlichen Farben und Formen. Daneben steht ein Ofen. Nach dem Wiegen der Brocken werden sie dort auf 105 Grad erhitzt und anschließend erneut auf die Waage gelegt. So bestimmen die Experten über Verdunstung den Wassergehalt. Daneben werden weitere Versuche damit gemacht. Handelt es sich um anhydrithaltiges Material, wird es in einem Stuttgarter Labor untersucht. Bisher, schätzen die Geologen, haben sie bereits mehrere Tausend Proben aus den Tunneln entnommen.

Ärger wegen Lautstärke der Arbeiten

„Die Aufgabe ist anspruchsvoll“, sagt Hochgürtel. Er denkt dabei auch an die Anwohner, deren Belange beim Vortrieb der Tunnel berücksichtigt werden müssen. Immer wieder löst die Lautstärke der Arbeiten Ärger aus. Anwohner werden tageweise vom Bauherrn Bahn in Hotels einquartiert, wenn sie das wollen, um dem Schlimmsten aus dem Weg zu gehen.

Hochgürtel und seine Leute können da nicht viel tun. Das Gebirge unter Stuttgart ist nun mal, wie es ist – komplex und immer wieder für Überraschungen gut. Der 49-Jährige will dafür sorgen, dass die nicht zu groß werden. „Man muss den richtigen Vortrieb machen“, sagt er – und schiebt nach: „Hier sind Experten am Werk.“