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Sprecher verteidigt die Rodung am Wagenburgtunnel: „War mit Polizei abgestimmt“.

Stuttgart - Etwa 600 Polizeibeamte haben in der Nacht von Samstag auf Sonntag eine illegale Protestaktion von S-21-Gegnern aufgelöst. Die Demonstranten hatten den Gebhard-Müller-Platz und die Zufahrt des Wagenburgtunnels besetzt, um Fällarbeiten von 30 Bäumen zu behindern.

Erst gegen 1 Uhr konnte der Einsatzleiter des SEK erleichtert melden: Lage unter Kontrolle. Der letzte Parkschützer, der sich auf einem Baum verschanzt hatte, wurde abgeführt. Es war das Ende eines spektakulären Polizeieinsatzes und einer illegalen Protestaktion der S-21-Gegner. Begonnen hatte alles ganz harmlos.

15.50 Uhr: Johannes Rockenbauch, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, beendet am Samstagnachmittag eine genehmigte Kundgebung gegen das Bahnprojekt am Hauptbahnhof. Zuvor hatte er darauf hingewiesen, dass möglicherweise noch in der Nacht im Auftrag der Bahn Bäume in einem 2500 Quadratmeter großen Areal am Nordportal des Wagenburgtunnels gefällt würden. Darauf marschiert der Großteil der 1200 Demonstranten in einem nicht genehmigten Demonstrationszug Richtung Tunnel und behindert stundenlang massiv den Verkehr auf dem Gebhard-Müller-Platz und an der Konrad-Adenauer-Straße.

16.30 Uhr: Die Aktivisten fordern per Megafon die Demonstranten auf, das mit jungen Platanen und Sträuchern bewachsene Areal zu besetzen. „Ihr könnt ja noch kurz nach Hause und euch etwas Warmes anziehen. Kann sein, dass wir die ganze Nacht hier bleiben“, erklärt eine Frau per Megafon.

18.00 Uhr: Der Straßenverkehr nimmt zu. Autofahrer, die entnervt im Stau rund um den abgesperrten Gebhard-Müller-Platz stehen, veranstalten ein Dauerhupkonzert und beschimpfen aus den Autos die Demonstranten. Einer fragt: „Wo endet eigentlich die Versammlungsfreiheit?“ Auch SSB-Mitarbeiter, die die Buslinien 40, 42 und 44 umleiten müssen, äußern Unverständnis.

19.00 Uhr: Die Polizei verstärkt ihre Präsenz und trennt durch den Aufbau eines Sperrgitters rund 130 Demonstranten am Gebhard-Müller-Platz von den etwa 70 Aktivisten, die sich mit Protesttransparenten vor dem Eingang des Wagenburgtunnels postiert haben. „Wir sind mit mindestens vier Hundertschaften im Einsatz. Wir verstärken diese Präsenz jetzt noch, um die Aktivisten dazu zu bewegen, doch noch freiwillig abzuziehen“, sagt Polizeipressesprecher Stefan Keilbach. Immer wieder fordert die Polizei per Lautsprecher auf: „Hier spricht die Polizei. Meine Damen und Herren, wir bitten Sie erneut, den Platz zu verlassen und den Ausgang an der Staatsgalerie zu nehmen.“ Die Demonstranten antworten per Megafon: „Hier spricht die Stadt Stuttgart. Die Versammlung der Polizei wird aufgelöst, bitte ziehen Sie sich in Ihre Einsatzfahrzeuge zurück!“

Polizei: "Aktion ist illegal"

21.50 Uhr: Die Polizei baut ihre mobilen Büromodule auf, um später die Personalien der Demonstranten aufnehmen zu können. Polizeisprecher Keilbach erklärt: „Hier greift das Recht auf Versammlungsfreiheit nicht. Es handelt sich hier um keine Versammlung, sondern eine Ansammlung.“ Damit sei die Aktion illegal.

22.00 Uhr: Aktivisten stellen zwei Sofas und einen Tannenbaum auf den Gebhart-Müller-Platz. Anschließend stecken sie einen entwendeten Mülleimer der Stadt in Brand. Ihre widerrechtliche Aktion legitimieren die Projektgegner mit einem angeblichen Rechtsbruch der Bahn. „Sie hat hier kein Baurecht. Das Areal gehört zum Planfeststellungsabschnitt 1.2, für den es substanzielle Änderungsanträge der Bahn gegeben hat. Darüber ist erst am 30. Januar eine Erörterung vorgesehen“, sagt Carola Eckstein, Sprecherin der Parkschützer-Initiative. Gegen die Änderungsanträge habe selbst die Stadt Einspruch eingelegt. Außerdem habe die Bahn keine verkehrsrechtliche Genehmigung, hier zu bauen. Auf den Einwand, das Baumfällen gehöre möglicherweise nicht zu den Bauarbeiten, sagt Eckstein: „Baumfällen gehört zur Baustelleneinrichtung.“

23.15 Uhr: Ganz anders sieht das Wolfgang Dietrich, Sprecher des Bahnprojekts. Er kommt unter Polizeischutz zum Ort des Geschehens. „Die Bahn hat das Recht und die Pflicht zu bauen. Sie muss das Jahr, das sie verloren hat, wieder aufholen. Für diesen Bereich sind die arbeitsrechtlichen Bestimmungen erfüllt“, sagt Dietrich. Der Termin samstagnachts sei mit der Polizei abgestimmt: „Das ist keine Nacht-und-Nebel-Aktion. Der Zeitpunkt ist ideal, weil wir jetzt am wenigsten den Verkehr behindern.“ Weiter sagt er: „Die Polizei unterstützt doch keine Aktion, die nicht genehmigt ist.“

Dietrich zeigt ein Dokument des Eisenbahn-Bundesamts vom 20. Januar vor. Es bestätigt, dass die artenschutzrechtlichen Auflagen erfüllt sind. Ausdrücklich betont er: „Die Genehmigung gilt nur für diesen Bereich, nicht für den Schlossgarten.“ Für die dortige Baustelle steht die Baumfällgenehmigung des Bundesamts noch aus. Als Dietrich sich den Demonstranten nähert, wird er übel beleidigt. Unter anderem muss er sich „Dietrich, verpiss dich, du Verbrecher!“ anhören. Aufforderungen einer Protestsprecherin per Megafon - „Bitte, bleibt doch höflich und friedlich“ - verhallt.

23.30 Uhr: Die Räumung des Areals hat begonnen. Die Besetzer, nach Polizeiangaben insgesamt 40, werden behutsam, aber mit Nachdruck einzeln weggetragen oder weggeführt. In speziellen Einsatzfahrzeugen nehmen Beamte ihre Personalien auf. Sie müssen mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs und Nötigung rechnen.

23.40 Uhr: Ein Aktivist der Umweltorganisation Robin Wood, der sich in etwa fünf Meter Höhe auf einem Baum verschanz hat, wird von einem Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei, das über Kletterausrüstung verfügt, mittels Hubwagen heruntergeholt. Ein Auto, das geparkt wurde, um die Arbeiten zu behindern, wird abgeschleppt.

00.50 Uhr: Baufahrzeuge rücken an, um die Bäume zu fällen und zu schreddern. Es gelingt zwei Aktivisten, erneut ins gesperrte Gelände einzudringen, Baufahrzeuge zu erklimmen und die Holzarbeiten für gut eine Stunde zu unterbrechen. Einer klettert nach einer Aufforderung freiwillig herunter und wird anschließend abgeführt. Den anderen, der auf einer fahrbaren Baumschere sitzt, holen die SEK-Beamten herunter. Die Polizei wird gegen beide Projektgegner wegen Hausfriedensbruchs, Nötigung und Verdachts auf Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte Anzeige erstatten.

5.45 Uhr: Die Arbeiten sind beendet. Bilanz: 30 gefällte und an Ort und Stelle geschredderte Bäume, ein Verkehrschaos sowie genervte Autofahrer. Zwei Blockierer wurden festgenommen, gegen 28 wurde Anzeige erstattet. Die Kosten für den Einsatz von 600 Polizeibeamten sind noch nicht bezifferbar.