Noch Vision: Dieser Handelskomplex könnten sich gegenüber der neuen Bibliothek auf dem A1-Areal hinter dem Hauptbahnhof entwickeln Foto: ECE

OB Schuster: Gemeinderat kann 43.000 Quadratmeter Handel hinter Bahnhof nicht verhindern.

Stuttgart - Das Hamburger Unternehmen ECE erhält für seine Pläne für ein Einkaufszentrum hinter dem Bahnhof Unterstützung von OB Wolfgang Schuster (CDU). "Wir brauchen den Gemeinderat dazu nicht", sagte Schuster am Freitag auf Anfrage. Der SPD-Baubürgermeister Matthias Hahn widerspricht.

ECE, das zum Otto-Konzern (Versandhandel) zählt, will 43.000 Quadratmeter Verkaufsfläche (so groß wie Breuninger), 8500 Quadratmeter Büros, ein Hotel, Gastronomie und 400 Wohnungen (31.000 Quadratmeter) in drei Blöcken entlang der Wolfram- und Heilbronner Straße bauen. Dazu kommen 2200 Stellplätze. Diese seien baurechtlich möglich, sagten der ECE-Projektentwicklungs-Chef Jens Jäpel und OB Schuster am Freitag bei der Vorstellung des Vorhabens im Rathaus. Laut einem Rechtsgutachten dürften es sogar 2455 sein.

Auch sonst halte man sich an alle Vorgaben des gültigen Bebauungsplanes, betonten Thomas Hohwieler und Uwe Jaggy vom Baukonzern Strabag (Wien). Dritter in dem Konsortium, das bis Ende 2014 rund 500 Millionen Euro investieren will, ist die Münchener Schörghuber-Gruppe mit der Firma Bayerische Bau und Immobilien Gruppe (BBIG). 400 Mietwohnungen sollen entstehen, 500 wären möglich, wenn der Gemeinderat ein weiteres Geschoss billige, sagte Bernhard Traubenberger von der BBIG.

Die Grünen als stärkste Fraktion im Gemeinderat hatten vor wenigen Wochen die Botschaft gesandt, dass sie den hoch umstrittenen Handels-Koloss unter Bedingungen gut heißen könnten: 35.000 Quadratmeter Handel dann, wenn sich dort bisher unterrepräsentierte Segmente, zum Beispiel Möbel, fänden, und maximal 1350 Stellplätze wollen sie billigen. Auch die CDU denkt in diese Richtung. Die SPD will die Grenze bei 20.000 Quadratmetern ziehen.

Streng juristisch betrachtet müsste die Bürgervertretung aber gar nicht beachtet werden. "Wir brauchen den Gemeinderat nicht", so OB Schuster auf Nachfrage. Doch Schuster will keine Konfrontation: "Es wäre unklug, so ein großes Projekt am Gemeinderat vorbei durchzusetzen", sagt er.

"Stuttgart braucht kein Handelsschlachtschiff"

Bei der Berechnung der Stellplatzzahl gibt es unterschiedliche Meinungen in der Verwaltungsspitze. "Jenseits von 1500 Stellplätzen braucht der Bauherr eine Befreiung durch den Gemeinderat", sagt Baubürgermeister Matthias Hahn entschieden. Stuttgart brauche "kein Handelsschlachtschiff". ECE müsse so behandelt werden wie zum Beispiel der Investor für das Quartier S an der Tübinger Straße (20.000 Quadratmeter). Hahn liegt auf einer Linie mit den Bestandswahrern, der City-Initiative und der IHK.

ECE und die Kanzlei Baumeister Rechtsanwälte kontern und erhalten Rückendeckung von Schuster und Wirtschaftsförderer Klaus Vogt. Eine Befreiung für die Stellplätze sei "nicht erforderlich" schreiben die Anwälte. Ein 15.000 Euro teures, von der Stadt bezahltes Handelsgutachten sehe zudem keine Gefährdung des Bestands. "In keinem der unterstellten Sortimente gäbe es selbst bei 47.500 Quadratmeter Handel mehr als fünf Prozent Kaufkraftabfluss", informiert Vogt. Weniger Verkaufsfläche reduziere nur die Fernwirkung des Zentrums, die möglichen "Auswirkungen im Nahbereich" - also in der und rund um die Königstraße - würden sich aber kaum ändern. ECE rechnet auf den 43.000 Quadratmetern mit rund 200 Millionen Euro Jahresumsatz - und lehnt laut Jäpel einen Möbelhändler als Großmieter ab. Es werde rund 220 Shops geben. In der City gebe es zurzeit 333.000 Quadratmeter Handelsfläche.

Bei den Stadträten im Unterausschuss Europaviertel konnte ECE keine Euphorie auslösen. Der bisher fehlende Wohnungsbau bringe eine "glasklare Verbesserung", sagt CDU-Fraktionschef Fred-Jürgen Stradinger, doch 2200 Parkplätze sein "nicht das letzte Wort". Stradinger fordert wie Grünen-Chef Werner Wölfle einen "belebten Raum mit vielfältigem Angebot. Wölfle befürchtet eine Doppelung des bestehenden Angebots. "Für ECE bleibt viel zu tun, nicht nur bei der Fläche und Parkplatzzahl. Die Gebäude müssen sich nach außen öffnen". Nur so könne der Mailänder Platz, an dem auch die Bibliothek steht, belebt werden.

Auch Jürgen Zeeb von den Freien Wählern fordert Abstriche. Er bezweifelt zudem, "dass in die Wohnungen Familien einziehen können". Mietpreise wollen die Investoren noch nicht nennen. "OB Schuster bekommt bei dem Projekt leuchtende Augen", sagt SPD-Chefin Roswitha Blind, und wolle für den "isolierten Standort" eine Sonderbehandlung. Das sei nicht im Sinne der SPD.

Voraussichtlich am 23. September wird der Gemeinderat Handelsgröße und Stellplatzzahl für einen Archtiektenwettbwerb beschließen.