Gerodet ... und inzwischen wieder zugewuchert: Die Röhre Foto: PPFotodesign.com

Vor dem Club "Röhre“ wuchert das Grün: Die Stadt sollte Mut zeigen und den Club wieder öffnen.

Stuttgart - Alles ist wieder grün. Und man könnte sich schwarzärgern. Vor dem einstigen Club Röhre wuchert ein Dschungel. Unbehelligt sprießen Büsche vor dem Wagenburgtunnel. Dabei hat die Bahn im Januar das Gelände roden lassen, weil sie dort mit dem Bau des Fildertunnels beginnen wollte. Deshalb sei ein sicherer Zugang in die Röhre „aus sicherheits- und haftungsrechtlichen Gründen nicht mehr möglich“, wie die Stadt sagte. Der Club musste nach 26 Jahren schließen. Und nun? Das Gras wächst. Sonst passiert nichts. Allein das ist schon ärgerlich genug. Doch es kommt noch besser: Die Bahn will den Fildertunnel anders bauen als geplant, womöglich wird der Platz vor der Röhre erst in Jahren vom Bau behelligt. Man hätte den Club nicht schließen müssen.

Das ist bitter. Nicht nur für die ehemaligen Betreiber und die Konzertveranstalter, sondern auch für die Menschen, die die Röhre mochten. Und für die Stadt. Denn damit bestätigt sie all jene, die sagen, die Bürokraten seien doof, Stuttgart spießig und keiner denke an die Szene. Sicher, mitunter fragt man sich schon, ob die Kreativität der Stuttgarter nicht die Verwaltung überfordert. Etwa wenn der Denkmalschutz sagt, klar dürften Künstler den Tunnel an der Wolframstraße rosa streichen. Wenn sie ihn hinterher wieder grau streichen. Betongrau. Doch das sind Ausnahmen. Mittlerweile hat man begriffen, dass Musiker, Schreiber, Gastronomen, Werber, Künstler nicht nur den Ruf der Stadt mehren, sondern auch das Bruttosozialprodukt. 25 000 Kreativschaffende gibt es in Stuttgart, sie erwirtschaften sechs Milliarden Euro.

So will man in Bad Cannstatt im Güterbahnhofareal Platz schaffen für Kreative. So ließ man das Wilhelmspalais nach dem Auszug der Bücherei nicht leerstehen, sondern bespielt das Gebäude, bis das Stadtmuseum einzieht. Das machen nun die Betreiber der Wagenhallen. Das ist jener Ort am Nordbahnhof, der nur dank Stuttgart 21 existiert. Ohne das lange Warten auf den Tiefbahnhof hätte man die Hallen abgeräumt und dort Büros gebaut. Doch weil keiner wusste, ob Stuttgart 21 kommt oder nicht, ergaben sich Räume, sich auszutoben, sich auszuprobieren. Heute denkt kein Mensch mehr daran, die Wagenhallen abzureißen. Selbst die Waggons nebenan mit ihren Ateliers, offiziell längst abgeräumt, gedeihen prächtig. Und das Ensemble strahlt aus ins Nordbahnhofviertel, dort siedeln sich zwischen Dönerläden nun Galerien an.

Kulturförderung sah lange Zeit so aus, dass die Verwaltung Anträge beschied und Geld verteilte. Doch das wird der Szene nicht mehr gerecht. Sie braucht Raum. Der knapp und teuer ist in Stuttgart. Der Künstler braucht ein Atelier, der Veranstalter eine Halle, der Galerist einen Laden, der Gastronom einen Keller – und von der Stadt weniger Geld denn Unterstützung. Parkplätze, Toiletten, Fluchtwege, wenn die Verwaltung will, kann sie mit Gesetzen jeden Gutwilligen so lange piesacken, bis er entnervt aufgibt. Es gilt den Weg zu ebnen, nicht zu versperren. So wie für jene Künstler, die vor dem Abriss des Quartiers Gerber die leeren Häuser bespielten. Da halfen Stadt und Investor nach Kräften. Solch Unterstützung wünscht man sich auch für die Röhre. Warum sie nicht wieder nutzen, bis dort gebaut wird? Findige Betreiber gibt es genug. Die dann weiterziehen an einen anderen Ort. Und so zeigen, eine Stadt muss sich wandeln, sonst erstarrt sie. Wer will schon in einem Freilichtmuseum leben?