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S21: Manche Juristen finden den Rechtsstreit spannend, andere sind nervlich am Ende.

Stuttgart/Mannheim/Bonn - Der jüngste beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangene Eilantrag datiert vom Dienstag. Natürlich war mal wieder Stuttgart 21 das Thema. Genauer: die Verhinderung des Polizeieinsatzes im Stuttgarter Schlossgarten. Die Gegner begründen ihren Antrag mit dem Verweis auf das von Schlichter Heiner Geißler propagierte Stuttgart 21 plus. Der Erhalt der gesunden Bäume sei Teil der Abmachung gewesen, sagen sie. Außerdem dürfe der Weiterbau nur erfolgen, wenn auch erwiesen sei, dass der neue Bahnhof die versprochenen 30 Prozent mehr Leistung bringe. Daran glaubt das Aktionsbündnis nicht – also zog man erneut vor Gericht.

Beim Verwaltungsgericht im Stuttgarter Westen muss man über den „täglichen Eilantrag“ schon schmunzeln. Seit 2010 hat das Gericht über neun Klagen und 14 Eilanträge gegen das Milliardenprojekt zu befinden gehabt. Einige sind noch anhängig. Mal geht es ums Grundwasser, dann um naturschutzrechtliche Belange, zuletzt um das Aufenthaltsverbot im Schlossgarten. Aktuell sind es die Bäume, die bald fallen sollen. Hinzu kommen immer wieder diverse Nebenkriegsschauplätze – wie die Frage, ob Beschäftigte der Stadt Stuttgart-21-Anstecker tragen dürfen oder nicht.

„Man kann aber nicht sagen, dass unter Stuttgart 21 die übrige Arbeit am Gericht leidet“, sagt Presserichterin Ulrike Zeitler. Pro Jahr arbeitet das Gericht über 4000 Verfahren ab, die meisten betreffen das Ausländerrecht. Für das Bahnprojekt ist in der Regel immer dieselbe Kammer zuständig, die fünfte. Im Falle eines Eilantrags werden andere Verfahren freilich hintangestellt. Gerade bei unmittelbar bevorstehenden Aktionen wie dem Fällen von Bäumen kann es um wenige Stunden gehen. Dann fällen die Richter einen Beschluss schon auch mal am Sonntag.

Dass die Juristen von dem Dauerthema genervt seien, will Zeitler nicht sagen. Im Gegenteil, die Verwaltungsrichterin findet den Streit um den neuen Bahnhof – aus juristischer Sicht – höchst interessant. „Die Verfahren sind sehr vielfältig. mit vielen spannenden rechtlichen Fragen.“ Ob zur erhöhten Feinstaubbelastung durch Baumaschinen oder die Versammlungsfreiheit im Park – stets geht es um den Bezug zum Grundrecht des Menschen.

Beleidigen und Duzen

Während sich das Stuttgarter Verwaltungsgericht eher mit Verfahren konfrontiert sieht, die den Protest oder den Widerstand betreffen, ist der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim als nächsthöhere Instanz für das Bauprojekt als solches zuständig. Dort habe sich die Arbeit wegen Stuttgart 21 „in den letzten Wochen ein bisschen gehäuft“, sagt die Sprecherin der obersten Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes. Drei Eilanträge hatten die Richter bereits in diesem Jahr auf dem Tisch – fünf im vergangenen plus eine Klage. „Das fällt angesichts von knapp 3000 Verfahren im Jahr aber nicht so sehr ins Gewicht“, meint die Sprecherin weiter. Es gilt dasselbe wie beim Verwaltungsgericht: Eilanträge schieben andere Verfahren auf. Und auch am VGH entscheiden meist die gleichen Richter über Stuttgart 21 – der Fünfte Senat, bestehend aus dem Vizepräsidenten und zwei Beisitzern.

Behördlich-nüchtern sieht man die Mehrarbeit durch das seit 16 Jahren in Planung befindliche Projekt beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA) in Bonn. Bedingt durch den großen Widerstand muss die Aufsichtsbehörde bei Stuttgart 21 besonders genau hinschauen. „Da wir auch noch andere Aufgaben haben, die abgearbeitet werden müssen, ist es ein zusätzlicher Aufwand“, heißt es bei der 1050 Mitarbeiter großen Behörde in Bonn . Aktuell kümmert sich die Außenstelle in Stuttgart um Belange wie Grundwasser, Fildertunnel und Bäume im Schlossgarten. Die Frage, ob ein vergleichbarer Aufwand bei anderen Bahnprojekten schon einmal betrieben wurde, will man beim EBA nicht bewerten.

Bevor man was Falsches sagt, prüft man sich lieber weiter durch Planfeststellungsverfahren und Planänderungsverfahren. Deutliche Worte findet dagegen Monika Rudolph. „Wir sind am Rand der zeitlichen und nervlichen Belastung“, klagt die Presserichterin am Stuttgarter Amtsgericht. Bereits zum dritten Mal habe man einen Bereitschaftsdienst einrichten müssen, der sich Tag und Nacht Widerständlern annimmt, die wegen Körperverletzung oder Nötigung aktenkundig geworden sind. Seit 2010 ist der Große Sitzungssaal für S-21-Verhandlungen blockiert. Die Vernehmungen ziehen meist viele Unterstützer an. „Wir könnten auch in die Schleyerhalle gehen“, sagt Rudolph, die kein gutes Haar an den Gegnern lässt. „In den Verhandlungen wird beleidigt und verhöhnt, die Justiz mit der Politik in einen Topf geworfen und geschrien: Wir sind das Volk!“

Weil oft Dutzende Beweisanträge eingebracht werden, würden sich die Prozesse sehr in die Länge ziehen. Oder w eil sich die Angeklagten bewusst deutscher Gerichtsordnungen verweigerten. Einmal, so berichtet die Gerichtssprecherin, habe einer vorgeschlagen, dass man im Kreis sitzt und sich duzt. Als der Richter die Anklageschrift verlesen wollte, hielt ihm der Angeklagte eine Parabel aus Mexiko entgegen.