Die Zahl der Demos sprengt wegen Stuttgart 21 alle Rekorde. Die Händler beklagen Verluste.

Stuttgart  - Die Zahl der Demonstrationen sprengt wegen Stuttgart 21 alle Rekorde. Das stellt die Stadt inzwischen vor große Probleme. Das Ordnungsamt sorgt sich um die Entwicklung in der Adventszeit - die Händler beklagen bereits jetzt Verluste und eine erhebliche Rufschädigung.

2007 war ein Jahr geradezu himmlischer Ruhe. Zumindest auf den Straßen. 310 Demonstrationen hat es damals gegeben. Ein Jahr später waren es 403. Danach 520. Und im laufenden Jahr hat es die Menschen in Stuttgart bereits sage und schreibe 970-mal auf die Straße gezogen. "Die 1000 werden wir locker schaffen", sagt Alfons Nastold vom Amt für öffentliche Ordnung. Das ist mehr als dreimal so viel wie noch vor drei Jahren.

Die Flut der Versammlungen und Aufzüge hat ausschließlich mit Stuttgart 21 zu tun. Wie die Stadt jetzt erstmals erhoben hat, gab es in diesem Jahr bisher 635 angemeldete Demonstrationen gegen das Bahnprojekt und in den vergangenen Wochen erstmals auch zehn dafür. Die Gegner haben es dabei nicht immer beim Reden belassen, sondern auch immer wieder spontan Strecken geändert oder Straßen blockiert.

Unstimmigkeiten zwischen Stadt und Aktionsbündnis

Das bereitet dem Ordnungsamt inzwischen große Sorgen. Am Freitag kam es deshalb zu Unstimmigkeiten zwischen der Stadt und dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Bei einem Ortstermin sollte geklärt werden, wo künftig dessen Kundgebungen stattfinden können, denn der Parkplatz vor dem Bahnhofs-Nordausgang steht an diesem Samstag zum letzten Mal zur Verfügung. Die Stadt hat die Cannstatter Straße vor dem Südflügel des Hauptbahnhofs, den Schlossgarten und sogar die Heilbronner Straße angeboten. Die Gegner allerdings bestanden auf der Schillerstraße, der Hauptstraße zwischen Bahnhof und Königstraße. Zum Schluss schalteten sie einen Anwalt ein. Die Stadt bekam bis zum späten Nachmittag keine Nachricht mehr. Übers Wochenende muss sich nun entscheiden, ob es doch noch eine Einigung gibt oder das Verwaltungsgericht entscheiden muss.

"Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut", sagt Nastold, "aber die Schillerstraße sehen wir sehr kritisch. Das würde zu großen Beeinträchtigungen führen." Man könne nicht zweimal pro Woche für Stunden einen Hauptabschnitt des Cityrings dichtmachen und damit nebenbei auch eine Zufahrtsmöglichkeit zum Katharinenhospital. Gerade in der Adventszeit drohe so Chaos auf den Straßen, zumal der Weihnachtsmarkt noch Hunderte Busse und zahlreiche Touristen in die Stadt locke. "Wir hoffen, dass die Demonstranten gerade in dieser Zeit vernünftig sind und auf Straßenblockaden verzichten", so Nastold.

Das sieht auch Citymanager Hans H. Pfeifer so. Er hat erst vor wenigen Tagen einen Brief an die Stadt geschrieben und um ein Gespräch über die Demo-Situation gebeten. Viele Händler beklagten bereits Umsatzeinbrüche, weil einerseits Straßen gesperrt und blockiert würden, andererseits viele Menschen die Innenstadt wegen der Kundgebungen bereits mieden. "Sie wollen nicht in Staus geraten und auch nicht mit den Demonstranten zusammenkommen", sagt Pfeifer, "mittlerweile gibt es bereits die reinste Rufschädigung der Stuttgarter City." Eine regelmäßige Sperrung der Schillerstraße bedeute, dass Teile der Innenstadt aus nördlicher und östlicher Richtung kaum noch zugänglich seien. "Demonstrationen sind wichtig", so Pfeifer, "aber sie müssen auch verhältnismäßig sein. So, wie sich das auch mit der Häufigkeit entwickelt hat, kann es nicht weitergehen."

An diesem Samstag um 15 Uhr können die Projektgegner zum letzten Mal am Nordausgang des Hauptbahnhofs ihre Kundgebung abhalten. Es spricht unter anderen der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi. Damit gibt es erstmals zeitgleich eine Pro- und eine Contra-Demonstration, zu denen Zehntausende erwartet werden. Die Befürworter treffen sich ebenfalls um 15 Uhr auf dem Schlossplatz. Zu den Rednern gehören Bahn-Chef Rüdiger Grube und der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel. Polizei und Ordnungsamt hoffen, dass die beiden Gruppen sich an ihre Versammlungsorte halten und es keine Störungen gibt. "Das wäre nicht im Sinne des Versammlungsrechts", so Nastold.

Selbst wenn das klappt: Das nächste Problem droht bereits am 13. November. An jenem Samstag plant der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Großkundgebung. Die noch zwischen den Stuttgart-21-Demonstrationen unterzubringen wird schwierig.