Archäologische Grabungen im Mittleren Schlossgarten Foto: Bahnprojekt

Auf sieben historischen Schichten hat sich die aktuelle Stadt Stuttgart entwickelt. Wenig dieser Schichten ist sichtbar, wenig von diesen wird bewusst sichtbar gemacht. Die Arbeiten für den neuen Tiefbahnhof bieten eine Chance, die Schichten neu zu identifizieren.

Auf sieben historischen Schichten hat sich die aktuelle Stadt Stuttgart entwickelt. Wenig dieser Schichten ist sichtbar, wenig von diesen wird bewusst sichtbar gemacht. Die Arbeiten für den neuen Tiefbahnhof bieten eine Chance, die Schichten neu zu identifizieren.

Stuttgart - Stadt in Schichten

Acht historische Schichten weist unsere Stadt zwischen der Schulstraße und der Wolframstraße auf. Jahrtausende benötigte der Nesenbach für die Ausräumung des rund drei Kilometer langen Tals als einzige Öffnung aus dem Stuttgarter Becken bis zum Neckartal. Eine sumpfige Wiesenaue mit zunehmendem Bewuchs bis zur umgebenden waldbekrönten Berg- und Hügelwelt. Her- zog Ludolf von Schwaben, Kurzzeit-Regent von 949 bis 954, entdeckte auf der Suche nach einem geeigneten Ort, wo er seine Pferde vor den Feinden verstecken, züchten kann, diesen Ort hinten im Tal. Das ist die erste Schicht, Geburtsstunde der heutigen Landeshauptstadt Stuttgart.

Theater auf Gestütgrund

Erst Mitte des 14. Jahrhunderts dachten die ersten Grafen von Württemberg daran, außerhalb ihrer introvertierten Wasserburg Gärten anzulegen – die zweite Schicht. Der Herzogingarten neben dem Schloss (heute Karlsplatz) ist zu nennen. Der kleinere Lustgarten bildet in Richtung Neckar mit dem Alten (1554–1563) und Neuen Lusthaus (1583–1593) die dritte Schicht. Das Zentrum der Herzogs-, der Königs-, der Landeshauptstadt mit seinen Bauten, Kirchen, Schlössern, Königsbau, Theatern steht auf dem Boden des Gestüts. Nach dem kleineren folgte als vierte Schicht der größere Lustgarten. Das 17. und 18. Jahrhundert hatte kein Interesse an dem Erhalt oder gar Erweiterung des Lustgartens. Kriege und ihre Nachwehen, die Verlagerung der Residenz nach Ludwigsburg und die Rückverlagerung nach Stuttgart standen im Mittelpunkt.

Schritte zur Hauptstadt

Balthasar Neumann, Nicolas de Pigage und R. F.  H. Fischer brachten sich mit Entwürfen für eine barocke Gartenanlage in Erinnerung. Keiner dieser Entwürfe wurde ausgeführt. Erst nach Ende der Napoleonischen Kriege und der Ernennung Herzog Friedrichs II. (1754–1816) von Napoleons Gnaden 1806 zum ersten König Württembergs wurde Stuttgart von der herzoglichen zur königlichen Residenzstadt um- und ausgebaut. Ausgehend von der von Retti begonnenen Schlossanlage wurde von Nicolaus Friedrich von Thouret (1767–1845) ein repräsentativer königlicher Park geplant – die fünfte Schicht. Wesentlicher Teil des Generalplans waren die Schlossanlagen im Zuge des Nesenbachtals bis zum Neckartor, bis zum „Kahlenstein“, dem heutigen Rosensteinpark, später bis zur Wilhelma, bis zum Park Berg. Teile davon für die Bevölkerung als offener Volksgarten. Villa und Park Berg, die zeitlich und stilistisch letzte königliche Parkgründung – in den eklektizistischen Stilen des Historismus – schlossen die Park-Kette in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ab.

Park als Baulandreserve

Welche Stadt hatte eine derartige Fülle, Spannweite von Gartenanlagen und - interpretationen zu bieten? Stuttgart gelangte deshalb bereits im 17., vor allem aber im 19. Jahrhundert zu großer Berühmtheit an den dynastischen Höfen, später auch beim Bürgertum und in der wissenschaftlichen Welt.

Doch mit der Industrialisierung und der explosionsartigen Vergrößerung der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert wurde dieser Schatz zunehmend vernachlässigt und aufgelöst. Das Königreich wie auch die demokratischen Länder Württemberg und Baden-Württemberg sowie die Stadt selbst bedienten sich der königlichen Park- und Gartenanlagen als Baulandreserve.

Obwohl der Obere Schlossgarten im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, blieben wesentliche Elemente der historischen Anlage erhalten. Trotzdem wurden diese durch die beiden Gartenschauen 1957 und 1977, sechste und siebte Schicht, restlos beseitigt. Das aktuelle Handeln kann als achte Schicht bezeichnet werden.

Später Schutz

Die Eindeutigkeit und Großzügigkeit der Stuttgarter Anlagen mit ihrem Kernstück des Thouret’schen Gesamtplans sind nicht mehr vorhanden. Ausdruck dieser Vernachlässigung ist die Tatsache, dass die Parkanlagen erst 1995 nach dem Denkmalschutzgesetz und nur nach Paragraf zwei in die Liste der Kulturdenkmale aufgenommen wurden.

Trotz dieser Einschränkungen und Eingriffe besitzt Stuttgart mit dieser, teilweise nur noch in Spuren vorhandenen landschafts-, gartenkünstlerischen und -typologischen Abfolge vom Schloss bis zum Neckar noch heute ein Gartenlesebuch von einma- ligem Reichtum. Nicht nur oberirdisch, auch unterirdisch, denn die sieben Schichten sind in Spuren noch vorhanden.

Dass diese noch vorhanden sind, wurde bei verschiedenen Bauvorhaben der vergangenen Jahrhunderte bestätigt, etwa beim Wiederaufbau nach 1945 oder auch beim Bau der Schillerplatzgarage. Aktuell wird nun, durch den Aushub für den Trog des neuen Tiefbahnhofs, erneut ein Schnitt durch die sieben historischen Schichten geführt. Die gegebene „Archäologische und Bodenkundliche Begleitung“ ist selbstverständlich. Zu wünschen aber wäre entlang der 20 Segmente im Trogbereich eine der jeweiligen Aushebung vorauslaufende Präventive Archäologie. Ihr Ziel: In einer Stadt, die arm ist an historischen Spuren, ebendiese sichtbar zu machen.