Voller Durchblick: Die Scheiben über den Bahnsteigen fehlen. Foto: Max Kovalenko/PPF

Reisende stehen im Stuttgarter Hauptbahnhof derzeit „oben ohne“ da: die Bahn hat „vorsorglich“ alle Glasscheiben des Bahnsteighallendachs ausgebaut. Bald sollen Folien die Fenster ersetzen.

Stuttgart - Die jüngste Kaltfront kam mit Blitz und Donner. Ohne Regenschirm holen sich Pendler und Fernreisende am Stuttgarter Hauptbahnhof nasse Füße. Denn seit Wochen gleicht das Bahnsteig-Hallendach einem Schweizer Käse. Durch die offenen Dachseiten pfeift bei ungemütlicher Witterung der Wind, Regenschauer trommeln auf die Bahnsteige. Etliche Jahre hatte der Schienenkonzern in Stuttgart die in der ersten Klasse reisenden Passagiere ungeschützt der Witterung ausgesetzt, weil die alten Dächer für lange Fernzüge zu kurz waren. Jetzt stehen alle Reisenden im Regen.

Ende Juli hatte die Deutsche Bahn damit begonnen, die über jedem Bahnsteig vertikal hängenden Glasscheiben aus dem Bahnhofsdach auszubauen. Von Hubsteigern in luftiger Höhe aus entfernten Arbeiter Hunderte Scheiben entlang der 17 Gleise. Die Demontage, die bis Ende der Sommerferien abgeschlossen war, erfolgte nach Auskunft des Kommunikationsbüros für das Projekt Stuttgart 21 „vorsorglich, um Schäden an den Scheiben durch baubedingte Erschütterungen zu vermeiden“.

Die Verglasung hatte jahrzehntelang den Schwingungen tonnenschwerer Züge unbeschadet standgehalten. Folgt man der Argumentation des S-21-Projektbüros, stellen die Scheiben offenbar ein Sicherheitsrisiko dar, sobald schweres Baugerät für den Aushub des Tiefbahnhofs anrückt. Für diesen müssen rund 3800 Bohrpfähle in den Untergrund gerammt werden. Erschütterungen sind dabei nicht zu vermeiden. Daneben sollen durch „die Entfernung der Scheiben Windkräfte auf die tragenden Strukturen reduziert werden“, heißt es in einer früheren Mitteilung des Kommunikationsbüros.

Bis zu 240.000 Reisende und Besucher täglich den Hauptbahnhof

Die alte Stahlkonstruktion des Dachs war beim Abriss des Südflügels im März an tragender Stelle beschädigt worden, der Wetterschutz hing durch, Bahnsteige mussten gesperrt, die Statik der gesamten Hallenabdeckung überprüft werden. Auf größerer Länge fixierte die Bahn das Dach schließlich im Bereich von Gleis 16.

Die Bahn verspricht nun, dass Reisende in absehbarer Zeit unabhängig von der Wetterlage wieder trockenen Fußes zum Zug kommen. Alle Glasscheiben sollen bis spätestens Jahresende durch Spezialfolien ersetzt sein. Für Gerhard Pfeifer dauert die Tauschaktion viel zu lang. „Es ist skandalös, dass die Bahn Reisende in einem der größten Bahnhöfe Deutschlands monatelang im Regen stehen lässt“, kritisiert der Regionalgeschäftsführer der Umweltorganisation BUND. Eine kompetente Bauablaufplanung sehe anders aus.

Laut Bahn nutzen bis zu 240.000 Reisende und Besucher täglich den Hauptbahnhof. Sie müssen sich auf weitere Einschränkungen gefasst machen. Als nächste größere Maßnahme für Stuttgart 21 sollen Querbahnsteig, Prellböcke und alle Bahnsteige um 120 Meter nach Norden verschoben werden. Damit wird Platz für den Aushub des Tiefbahnhofs und für eine Baustraße geschaffen. Laut S-21-Projektleiter Stefan Penn soll der neue Querbahnsteig, der über zwei Stege über die Baugrube mit dem Bahnhofsgebäude verbunden sein wird, erst Anfang 2013 eingerichtet werden. Dann wird auch das glaslose Dach im Bereich der Baugrube abgebrochen. Dies soll in Abschnitten parallel zum Baufortschritt geschehen.