Ohrenbetäubender Lärm raubt Anliegern einer Stuttgart-21-Baustelle in Untertürkheim den Schlaf – mit Ausnahme des Wochenendes jede Nacht bis zum 24. Oktober. Die Bahn sieht sich außerstande, Abhilfe zu schaffen. Begründung: Die Regularien sprächen dagegen.

Stuttgart - Die Kinder weinen und können nicht mehr schlafen, der Hund bellt, im Schrank scheppern die Teller. Kopfschmerzen, Zittern am ganzen Leib. An der Benzstraße und der Gaggenauer Straße in Untertürkheim ist das für rund 100 Menschen zurzeit Alltag. Die Bahn hat in der Nacht zum Montag damit begonnen, Spundwände in den Boden zu rammen – in unmittelbarer Nähe zur den nächstgelegenen Wohnhäusern. Beeinträchtigungen ließen sich „nicht gänzlich ausschließen“, heißt es in einer Wurfsendung der Bahn an 8500 betroffenen Haushalte auch weit jenseits der Bahngleise.

Nicht gänzlich heißt eigentlich: weitgehend.

Neben dem ohrenbetäubenden Lärm der Ramme raubt ein nervenaufreibendes Sicherheitspiepsen des schweren Geräts den direkten Anwohnern den Schlaf. Sie sollen das alles in dieser und in der nächsten Woche in jeweils fünf aufeinanderfolgenden Nächten erdulden. Jedes Mal legt die Ramme um 1 Uhr los, Ruhe gibt sie erst wieder um fünf. So sieht es der Ablaufplan der Baustelle vor, die Teil des Bahnprojekts Stuttgart 21 ist.

Zubringergleise zum neuen Hauptbahnhof tauchen hier in einen Tunnel ab. Um den vorgeschriebenen Rettungsweg unter den bestehenden Gleisen hindurch bauen zu können, muss eine Böschung entlang der Benzstraße mit Spundwänden abgestützt werden. Spundwände bedeuten – Lärm.

Thomas Stichler bewohnt eine Erdgeschosswohnung an der Gaggenauer Straße, die – praktisch gegenüber der Baustelle – von der Benzstraße abzweigt. Von seinem Schlafzimmer aus hatte er in den bisherigen Lärmnächten den direkten Blick auf die Ramme. An Schlaf war nicht zu denken. Er könne diesen nur nachholen, weil er momentan Urlaub habe. „Auch die anderen Leute hier sind berufstätig, manche arbeiten Doppelschicht“, sagt Stichler. Schulpflichtige Kinder wohnten zudem in der Nachbarschaft. „Was hier passiert, überschreitet jedes Maß an Menschlichkeit“, empört er sich. Er und seine Nachbarn können nicht verstehen, „dass Menschen beschließen, dass andere Menschen so etwas aushalten müssen“.

Bei der Bahn sieht man keine Möglichkeit, die Lärmbelästigung zu lindern. Der Baubeschluss mache „keine Vorgaben für zusätzliche Schallschutzmaßnahmen“, heißt es dazu im S-21-Sprecherbüro. Als öffentliches Unternehmen müsse man sich im Sinne der Gleichbehandlung an die Regularien halten, ergänzt eine Sprecherin. Würden Maßnahmen notwendig, würde das in solchen Fällen das Eisenbahnbundesamt als zuständige Genehmigungsbehörde festlegen. Auflage war, dass ein unabhängiger Immissionsschutzbeauftragter die Baustelle überwacht. Dieser bestätigt laut Bahn, dass die Arbeiten „zu erheblichen Lärmemissionen an den naheliegenden Gebäuden an der Benzstraße führen“. Diese seien „unter Berücksichtigung des Stands der Technik unvermeidbar und müssen den Anliegern zugemutet werden“.

Das kleine Quartier mit etwa einem Dutzend mehrgeschossiger Häuser gilt nicht als Hochburg der Stuttgart-21-Opposition. Seine Bewohner machen auch nicht den Eindruck, als bildeten sie eine Ansammlung von Querulanten. „Die Stadt ist kein Museum, sie muss sich immer erneuern“, sagt einer. Soll heißen: Eigentlich hat man Verständnis für Beeinträchtigungen – auch im Zuge Stuttgart 21, aber eben mit Maß.

Die Baustelle hatte schon mehrfach wegen überbordenden Lärms Aufsehen erregt. Die Anlieger vermissen deshalb vor allem ein Signal der Verantwortlichen. Sie fühlen sich allein gelassen. Ins Bild passt für sie, dass versäumt wurde, das Info-Faltblatt in ihrem Quartier rechtzeitig zu verteilen. „Es lag bei uns hier erst heute im Briefkasten“, sagte Thomas Stichler am Dienstag.