Bei der ersten Tunneltaufe hoffte die Bahn noch, den S-21-Tunnelbau problemlos über die Bühne zu bringen. Foto: Max Kovalenko

Bei Meißelarbeiten für das Projekt Stuttgart 21 in Untertürkheim hat es offenbar zu hohe Werte geben. Die Gestattungsverträge der Eigentümer regeln nicht alles.

Stuttgart - Beim Bau der Bahntunnel für das Projekt Stuttgart 21 von Unter- nach Obertürkheim arbeitet die Bahn in geringer Tiefe unter Wohnhäusern. Tagsüber wird gesprengt, ab 22 Uhr sind nur Meißelarbeiten zulässig. Bei beiden Vortriebsarten kam es im Mai und Juni zu teils deutlichen Überschreitungen der zulässigen, in einer DIN-Norm geregelten Erschütterungswerte.

Zwei Klägerinnen hatten die Überschreitungen für ihr Gebäude an der Türkenstraße 7/1 durch von ihnen beauftragte Messungen eines Ingenieurbüros dokumentieren lassen. Vor dem Landgericht Stuttgart klagten sie am Mittwoch, dass die Baugenehmigung, der so genannte Planfeststellungsbeschluss für die Tunnel, eingehalten werden müsste, Erschütterungen müssten also ausgeschlossen werden. Die Schwingungen verunsichern die Anwohner und können zu Gebäudeschäden führen.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte wenige Tage vor dieser Verhandlung eine Klage, bei der es den Anwohnern um das Verbot nächtlicher Sprengungen ging, eingestellt. Trotz der Einstellung gaben die Mannheimer Richter in ihrer Begründung einen interessanten Hinweis: Für den Senat sei beim Studium des Planfeststellungsbeschlusses „hinreichend deutlich“ geworden, dass die maßgeblichen DIN-Anhaltswerte zu Grenzwerten erhoben worden seien. Werte darüber sollten also gar nicht auftreten.

Bahn bestreitet Überschreitungen zunächst

Die Bahn bestritt zunächst Überschreitungen. Vor dem Landgericht zog der in ihrem Auftrag arbeitende Anwalt Peter Schütz die Messwerte der Klägerinnen in Zweifel. Es sei unklar, ob sie „unbeeinflusst“ erhoben worden seien. Alle Referenzmessstellen der Bahn, die es in umliegenden Gebäuden gebe, hätten keine so hohe Werte erfasst. Der nächste Messpunkt der Bahn lag, als vom 5. bis 7. Juni unter einer Ecke des Hauses der Klägerinnen gearbeitet worden war, 18 Meter entfernt. Die Zahl der Messstellen, kritisierte Bernhard Ludwig, der Anwalt der Eigentümerinnen, sei zu gering.

Dann lenkte Schütz überraschend ein. Die Baufirma habe Ende Mai den Meißelvorsatz ihres Tunnelbaggers getauscht, um ihre Mitarbeiter von Lärm zu entlasten. Nachdem Beschwerden bei der Bahn eingegangen seien, habe man die Firma angewiesen, wieder den alten Vorsatz aufzusetzen. Es könne also sein, das der nächtliche Anhaltewert in dieser Zeit überschritten worden sei, so Schütz. Nach dem Wechsel des Meißels am 24. Mai sei das aber nicht mehr wahrscheinlich.

Richter fragt sich, ob Klage zulässig ist

Der Gutachter der Klägerinnen hatte bis 4. Juni zu hohe Erschütterungen beim Meißeln registriert. Sie lagen um zehn bis 420 Prozentpunkte über dem Anhaltewert. Die Überschreitungen dauerten teils nur wenige Minuten, zogen sich aber bis zu vier Stunden durch die Nacht. Bei den Sprengungen lagen die Erschütterungen laut Gutachter bis zu 48 Prozentpunkte über dem Zulässigen.

Die Sachlage schien damit geklärt. Richter Markus Haas stellte sich allerdings die Frage, ob die Klägerinnen mit der von ihnen unterschriebenen Erlaubnis zur Untertunnelung ihres Grundstücks überhaupt auf die Einhaltung des Planfeststellungsbeschlusses klagen könnten. Dass der Beschluss beachtet werden müsse, hatten die Frauen als extra Passus in ihren Gestattungsvertrag schreiben lassen. Er tue sich schwer damit, sagte Haas. Sei die Bahn damit vertraglich an die Anhaltewerte gebunden?

Das Verfahren wird beendet

Die Überlegungen des Richters konnten weder Anwalt Ludwig noch die zahlreichen Zuhörer aus den Netzwerken nachvollziehen, die sich im Kampf gegen Stuttgart 21 oder für eine gute Absicherung möglicher Schäden gebildet haben. Wenn man Haas richtig verstehe, dann müsse man als Eigentümer in Gestattungsverträge künftig wohl viel mehr Regelungen aufnehmen. Zum Beispiel, dass sämtliche möglichen Grenzwerte eingehalten werden müssten und die Bahn bei Überschreitungen eine Entschädigung zu zahlen habe, hieß es im Publikum.

Bahn und Klägerinnen einigten sich am Mittwoch darauf, das Verfahren zu beenden. Die Bahn wird Messwerte nachliefern und erklärte, dass sie annimmt, das es künftig zu keinen Überschreitungen mehr kommen wird. Inzwischen arbeite man ja auch schon 42 Meter vom Haus entfernt.