April 2009: Garber, Oettinger und Tiefensee signieren die Stuttgart-21-Finanzierung Foto: dpa

Jetzt ist es raus: Die Bahn hat schon 2008 gewusst, dass Stuttgart 21 deutlich teurer wird.

Stuttgart - Über die Finanzierung des Bahnprojekts Stuttgart 21 ist jahrelang hart gerungen worden, vor allem zwischen der Bahn und dem Land. Im Juli 2007 wurde in Berlin die erste Finanzierungsvereinbarung mit Projektkosten von 2,8 Milliarden Euro unterzeichnet. Am 2. April 2009, unmittelbar vor dem Rausschmiss des Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn, passten alle Zahler das Werk auf 3,076 Milliarden Euro an. Die Bahn AG aber wusste schon damals, dass das Projekt vier Milliarden kosten würde.

Der von der Bahn im April 2009 zur Vertragsunterzeichnung nach Stuttgart geschickte Vorstand Stefan Garber erweckte im Staatsministerium einmal mehr den Eindruck, beim Tiefbahnhof mit seinen langen Tunnelstrecken und der Verbindung Wendlingen-Ulm sei alles bestens. Er sei überzeugt, so Garber an jenem sonnigen 2. April 2009, "dass wir die 120 Kilometer im Budget schaffen".

Die Bahn nahm für Stuttgart 21 schon damals offenbar ein ganz anderes Budget an als die Mitzahler. Dem Konzern lag Ende 2008 eine aktuelle Kostenschätzung der Fachplaner vor. Die veranschlagten für Stuttgart 21 insgesamt 3,927 Milliarden Euro. Die in der Stuttgart-21-Schlichtung mit der Kostenprüfung beauftragten Gutachter haben diese Zahl entdeckt.

Die Bahn-Planer hatten Ende 2008 nicht die alten Werte von 2004 übernommen, sondern anhand der neuen Entwurfs- und Feststellungsplanungen Mengen zum Beispiel für Baustahl und Beton ermittelt und mit Einheitspreisen multipliziert. Zwischen ihrer aktuellen und der alten Kalkulation tat sich eine Lücke von 850 Millionen Euro auf.

Die Bahn verteidigt die Geheimhaltung

Die Bahn AG ließ dennoch vier Monate später 3,076 Milliarden Euro Baukosten in die Finanzierungsvereinbarung schreiben. Die seien akkurat berechnet, immerhin habe man die alte 2004er-Zahl (2,8 Milliarden) mit einem Inflationsaufschlag versehen, hieß es. Aktuelle Kosten sollte bis Ende 2009 die vollständige Entwurfsplanung bringen. Im Dezember ließ die Bahn die Katze aus dem Sack: Stuttgart 21 kostete, diverse Abschläge einkalkuliert - 4,088 Milliarden Euro. Die Fachplaner lagen damit Ende 2008 gar nicht schlecht. Um die neue Summe zu stemmen, wurde ein Risikotopf bis auf 450 Millionen Euro geleert.

Was wusste das Land, das fast 1,3 Milliarden Euro für Stuttgart 21 zahlt, was die Stadt (Anteil bis heute: 239 Millionen Euro)? "Wir wussten nichts", sagt der städtische Pressesprecher Markus Vogt. Man habe das Verhandlungsmandat ja an das Land abgegeben. Die Stadt sehe auch "keinen Anlass, zum jetzigen Zeitpunkt mit der Bahn" über die aufgedeckte Zahl zu sprechen. Man wolle den Vorgang "nicht bewerten". Das ist erstaunlich, immerhin sicherte sich die DB mit der Kostenerhöhung Ende 2009 Zugriff auf 207 von 260 Millionen Euro, die die Stadt in den Risikotopf gab.

Und das Land? "Die 3,9 Milliarden von Ende 2008 waren uns nicht bekannt", sagt der Sprecher des Verkehrsministeriums. Man habe aber im April 2009 damit gerechnet, "dass es teurer wird". Die Bahn AG verteidigt heute die Geheimhaltung des Ende 2008 ermittelten Betrages. "Die vollständige Entwurfsplanung lag noch nicht vor", sagt ein Sprecher. Und: "Zwischenstände mitzuteilen ist nicht sinnvoll." Immerhin einer wunderte sich darüber, dass beim "bestkalkulierten Projekt" 2009 Zahlen von 2004 in den entscheidenden Vertrag gelangten. "Das habe ich mich gefragt", sagt Bahn-Chef Rüdiger Grube." Er habe sich "sehr wohl Gedanken gemacht, dass das nicht der richtige Preis sein kann". Garber musste daraufhin das Unternehmen Bahn verlassen.

Werner Wölfle, Fraktionschef der Grünen im Gemeinderat, sieht in dem Vorgang "einen weiteren Beweis in der unendlichen Geschichte geschönter Kosten". Parlamente seien auf diese Weise über die wahren Summen getäuscht worden.