Wie steht es um Stuttgart 21? Im Eventcenter der Sparda-Bank am Hauptbahnhof diskutieren, von links, Projektchef Manfred Leger, Moderator Jörg Hamann, Bürgermeister Dirk Thürnau und S-21-Sprecher Wolfgang Dietrich. Foto: Leif Piechowski

Der neue S-21-Projektchef Manfred Leger will „schnell bauen“ - doch auf den Fildern werden noch bis zu 60.000 Einsprüche erwartet.

Der neue S-21-Projektchef Manfred Leger will „schnell bauen“ - doch auf den Fildern werden noch bis zu 60.000 Einsprüche erwartet.

Stuttgart - Es ist selten, dass ein Mitarbeiter den Chef auf offener Bühne korrigiert. Manfred Leger tut es. „Die Klage über den sogenannten behördlichen Schwergang wird den dortigen Mitarbeitern nicht gerecht. Da ist unakzeptabel“, sagt der Chef der Stuttgart-21-Projektfirma. Dass er damit Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer widerspricht, in dessen Augen die Behörden mit Schuld sind an den Mehrkosten von Stuttgart 21, nimmt Leger in Kauf. Er sieht die Dinge eben anders: „Politischer Schwergang. Das ist besser.“

Der 59-jährige Leger, der seit August 2013 die Realisierung von Stuttgart 21 managt, redet nicht um den heißen Brei herum. Das wird am Donnerstagabend bei der Podiumsdiskussion Forum Stuttgart 21 unserer Zeitung im Eventcenter der Sparda-Welt noch mehrmals deutlich. 400 Zuhörer sind gekommen, um sich ein eigenes Bild zu machen, wie die Bahn – vertreten durch Projektsprecher Wolfgang Dietrich und Leger – und die Stadt Stuttgart – vertreten durch Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD) – das umstrittene und von Kostenexplosionen erschütterte Milliardenprojekt endlich in den Griff bekommen wollen.

Es wird knapp mit Zeit und Geld

„Nichts ist explodiert“, sagt Leger. Wie aus der Pistole geschossen reagiert er auf die kritische Frage von Moderator Jörg Hamann, Ressortleiter Stuttgart und Region, nach den Kosten. „Nach der jüngsten Kostenanalyse, die wir vor zwei Wochen erstellt haben, liegen wir voll im Finanzrahmen“, erklärt Leger. Auch der geplante Fertigstellungstermin zum Jahreswechsel 2021/2022 sei zu schaffen. „Zeit und Budget – das ist unsere Bibel“, sagt der Bayer. Doch auch in der Bibel gibt es Sündenfälle.

Dass es knapp wird mit Zeit und Geld, wird zum Beispiel auf den Fildern deutlich. Dort ist beim Flughafen ein neuer Bahnhof an der ICE-Neubaustrecke Stuttgart-Ulm geplant. Doch das löst große Widerstände aus. „Das Regierungspräsidium rechnet mit 30 000 bis 60 000 Einwänden gegen unsere Pläne“, sagt Leger. Diese abzuarbeiten könnte die Behörde Monate kosten – und den Terminplan der Bahn ins Wanken bringen.

Ob er deshalb den Flughafenbahnhof abkoppeln und später bauen wolle, fragt Hamann. „Technisch geht das“, sagt Leger. „Wenn wir die Idee bringen, kündigt der Flughafen jedoch unser finanzielle Übereinkunft auf.“ Dabei geht es um Zuschüsse von 350 Millionen Euro. Leger hat darüber bereits zwei Mal mit dem Flughafen-Chef gesprochen. Ergebnis: Das Abkoppeln ist vom Tisch. „Wir wollen das nicht“, sagt Leger.

Auch das Thema Erdaushub und Transporte ist ein Kostentreiber. Bei Stuttgart 21 müssen Millionen Kubikmeter Ausbruch aus dem rund 30 Kilometer langen Tunnelring bewältigt werden. „Die Kosten der Deponierung haben wir völlig falsch eingeschätzt“, bekennt Leger. „Es geht da um den Faktor vier.“ Exakte Summen nennt er nicht.

Technikbürgermeister Thürnau: „Brandschutz ist kein Scherz, es geht um Menschenleben“

Um Zeit und Kosten – und um die Zustimmung des Architekten Christoph Ingenhoven und der Stuttgarter Feuerwehr – ringt die Bahn auch beim Brandschutz für den neuen Tiefbahnhof. Hier haben sich seit 2010 wichtige Vorschriften verändert, also verschärft. „Für dieses Thema ist nicht die Stadt verantwortlich“, betont Thürnau und verweist als Beleg auf eigene Brandschutzprobleme beim Fernsehturm und beim Neubau des Klinikums. „Wir sind guter Dinge, im Laufe des kommenden Jahres eine Lösung zu schaffen“, verspricht Leger. Die Stadt will bei diesem Thema hart bleiben. „Brandschutz ist kein Scherz, es geht um Menschenleben“, betont Thürnau. „Wir müssen diese Forderungen erfüllen“, sagt Leger. Die Voraussetzungen seien jedoch schwierig: „Der Bahnhof ist kombiniert mit vier Tunneln. Das hat es in dieser Komplexität in Deutschland noch nicht gegeben.“

Der Brandschutz ist für Dietrich nur ein Punkt, bei dem die Projektpartner Land, Stadt, Region, Flughafen und Bahn künftig besser und konstruktiver zusammen arbeiten sollten. „Man wundert sich schon, dass der Gemeinschaftsgeist für dieses Projekt abhanden gekommen ist“, sagt Dietrich und beklagt die „kleinteilige Diskussion“ über einzelne Kritikpunkte, zum Beispiel über die im Jahr 2011 gefällten Bäume im Schlossgarten. „Die Bahn hat einigen Mitbürgern ein Zeltlager weggenommen – und nicht den Bürgern eine tolle Parkfläche“, meint Dietrich. Solche Debatten würden den Blick auf die großen Chancen des Projekts verstellen. Thürnau sieht das ähnlich. „Bäume sind wertvoll – aber wenn ich jeden Baum erhalte, gibt es in der Stadt gar keine Entwicklung mehr“, gibt er zu bedenken. Wenn Stuttgart 21 eines Tages fertiggestellt sei, erhalte die Stadt 20 Hektar neue Parkanlagen und die grüne Lunge der Stadt wachse, freut sich der Bürgermeister mit dem grünen Daumen. Thürnau ist gelernter Landschaftsgärtner.

„Jetzt wird richtig gebaut. Das macht uns stolz“

Apropos Grüne. Ob Fritz Kuhn, der grüne OB und bekennender S-21-Kritiker das Projekt torpediere, will Moderator Hamann wissen. „Fritz Kuhn anerkennt die Verträge, da wird kein Einfluss genommen“, versichert Thürnau. Im Gemeinderat spiele das Projekt nicht mehr die zentrale Rolle wie zur Hochzeit der Proteste 2010 und 2011. Von der Grundsatzdiskussion komme man weg; man könne ein so großes Projekt nicht auf Dauer „kontrovers fahren“, sagt Thürnau.

Bald drei Jahre nach dem offiziellen Baustart an einem Prellbock im Hauptbahnhof kommt das Projekt in Fahrt. „Wir arbeiten derzeit an 14 Baustellen im Stadtgebiet gleichzeitig, und das nicht mehr in homöopathischen Dosen“, sagt Projektsprecher Dietrich. „Jetzt wird richtig gebaut. Das macht uns stolz.“

Die Bautätigkeit hat aber auch Schattenseiten, mit Lärm, Dreck, Erschütterungen. Die vorgeschriebene Baustraße auf dem Bahngelände, über die der Aushub aus der City in den Stuttgarter Norden abtransportiert werden soll, ist noch nicht fertig. Erst 2018 oder 2019, räumt Leger ein, werde die Belastung für die Anwohner im Norden nicht mehr so gravierend sein. Thürnau rät in der Diskussion zum Transport in geschlossenen Containern. Leger strahlt: Man habe bereits 750 Container beschafft, mit denen die Bahn die Erde von den Baustellen-Lkw direkt auf Züge umlade.

„Wichtig ist, dass wir jetzt schnell bauen“, sagt Leger. „Dann hoffe ich, dass der politische Gegenwind weniger stark bläst.“.