Wohnhäuser neben der Bahnlinie: Hier war der Lärm besonders brutal Foto: Bahn AG

Die Anwohner an der Stuttgart-21-Baustelle in Untertürkheim müssen auch 2015 mit Baulärm durch Rammen rechnen. Allerdings erwägt die Bahn zusätzlichen Lärmschutz. Wie dieser aussehen könnte, ließ der Schienenkonzern bei einer Bürgerveranstaltung offen.

Stuttgart - Im Oktober hatte stundenlanger brachialer Lärm einer Vibrationsramme etwa 100 Bürgern in Untertürkheim eine Woche lang den Schlaf geraubt. Etwa ebenso viele haben am Dienstagabend zu dem Thema auf befriedigende Erklärungen der Bahn gehofft.

Nachtarbeiten seien unvermeidlich, weil dadurch der Zugverkehr kaum beeinträchtigt werde, erklärte wortreich Bahn-Anwalt Peter Schütz bei einer Bezirksbeiratssitzung im Wirtemberg-Gymnasium. „Die Aufrechterhaltung des Bahnverkehrs ist ein hohes Schutzgut“, so der Jurist weiter. Man bewege sich im Rahmen dessen, was die Planfeststellung – also die Baugenehmigung – erlaube. Aber der Lärm sei natürlich „eine Zumutung. Deshalb überlegen wir intern, wie wir auf die spezielle Belastungssituation reagieren.“

Konkreter wurde Schütz nicht und verwies auf den Gleichbehandlungsgrundsatz. Sprich: Bringt man die einen für ein paar Tage im Hotel unter, könnten das andere ebenfalls von der Bahn fordern. Für die Anwohner an der Benzstraße brächten zusätzliche Schutzmaßnahmen jetzt natürlich wenig, denn die Hauptbelastung sei vorüber, „aber das ist ja auch nichts Schlechtes“.

Gesundheitsgefährdend seien die Rammarbeiten jedoch nicht, stellte Peter Schütz fest. Ein Anwohner hatte nach ein paar Nächten Rammlärm seinen Hausarzt aufgesucht. Dieser schrieb seinen Patienten wegen Übelkeit und Kopfschmerzen infolge von Schlafmangel krank. In der Rechtsprechung, sagte Schütz, würden, wenn es um Gesundheitsgefährdung gehe, stets dauerhafte Fälle von Lärmbelästigung betrachtet, etwa an einer viel befahrenen Straße. Bei einigen Nächten Baulärm bestehe „noch keine Gesundheitsgefahr“.

„Theoretisches Geschwätz“, nannte einer der Zuhörer die Ausführungen des Anwalts. Bezirksbeirat Werner Feinauer von der SPD empfahl, Überlegungen zum Anwohnerschutz vorher anzustellen, „denn diesen Lärm kann man Kleinkindern nicht zumuten“. Viele der Anwesenden fühlen sich mit ihren Sorgen offenbar alleine gelassen – von der Bahn, vom Eisenbahnbundesamt, das derartige Arbeiten genehmigt, von der Stadt, die nach Ansicht der Bürger dem Treiben untätig zusehe. Letzterem widersprach die städtische Bürgerbeauftragte Alice Kaiser: „Die Stadt tut sehr viel für die Bürger, aber die Bauüberwachung obliegt nur dem Eisenbahnbundesamt.“

Eine Mutter, die in dem Quartier an der Benzstraße wohnt, hatte im Oktober berichtet, dass ihr Kind weinend aufgewacht sei, als die Ramme nach Mitternacht angeworfen worden war. Bezirksbeirätin Sabine Reichert von Bündnis 90/Die Grünen berichtete, „dass die Vibrationen die Betten durchschüttelt“.

Die Rammarbeiten, die im Oktober nach einer Woche unterbrochen wurden, sollen im Dezember für kurze Zeit tagsüber weitergehen. In größerem Maße gerammt wird dann nochmals im nächsten Frühjahr, so die Ankündigung von Projektabschnittsleiter Sebastian Glöckner von der Bahn. Im Gleisfeld an der Benzstraße tauchen später Züge Richtung Hauptbahnhof in den Untergrund. Die Baugrube für den dort offen gebauten Tunnelabschnitt müsse ebenfalls mit Spundwänden abgestützt werden.

Deutlich wurde bei der Sitzung am Donnerstagabend auch, dass die Flugblattinformation der Anwohner durch die Bahn mehr Lücken aufweist, als bisher angenommen. Zwar bestritt eine Mitarbeiterin des Stuttgart-21-Kommunikationsbüros, dass wiederholt Pannen passiert seien. Doch nicht nur die Bewohner des Quartiers an der Benzstraße wurden im Oktober von dem vom Verkehrskonzern beauftragten privaten Verteildienst offensichtlich vergessen.

Er habe nie eine Bauinfo in seinem Briefkasten gefunden, berichtet auch ein Bewohner des Ortskerns von Untertürkheim im Wirtemberg-Gymnasium.