In der City sind bisher 198 Meter Bautunnel gegraben Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Bahn verändert ihre zum Bau von Stuttgart 21 nötigen Grundstücksverträge mit privaten Eigentümern. Die Betroffenen haben künftig Bedenkzeit und können auch nach fünf Jahren die Entschädigung vor Gericht in Frage stellen – das Geld fließt dennoch vorab.

Stuttgart - Von insgesamt 3000 Grundstücken, die die Bahn vor allem für den Tunnelbau beim Projekt Stuttgart 21 benötigt, kann sie inzwischen rund 800 nutzen. Die Vertragsverhandlungen mit den Eigentümern gestalten sich dennoch zum Teil zäh.

Peter Sturm, Geschäftsführer der DB-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm, und Vertreter des Stuttgarter Haus- und Grundbesitzervereins haben am Dienstag einen neuen Gestattungsvertrag für die Bauarbeiten vorgestellt. Damit soll den Eigentümern die Unterschrift künftig leichter fallen. Für die Neubaustrecke vom Flughafen bis Ulm nimmt die Bahn weitere 3000 Grundstücke in Anspruch. Bei Stuttgart 21 sind laut Sturm von rund 60 Kilometer Tunnel bisher rund 1500 Meter im Rohbau fertig. Im Internet-Infosystem www.biss21.de hat die Bahn die Lage der Tunnel dargestellt.

„Wir haben verschiedene Anregungen aufgenommen, wir wollen für unser Projekt eine breite Basis der Unterstützung, es hilft uns, wenn der Verein Haus und Grund künftig empfiehlt, die Verträge abzuschließen“, sagte Sturm bei einer Pressekonferenz im Bahnhofsturm.

Die Rechenbasis für die Entschädigungshöhe liefert das von der Bahn beauftragte DIA-Verfahren. Entschädigt wird ein Teil des Wertes: zum Beispiel von einer Fläche, die direkt von einem Tunnel unterquerten wird. Die Bahn hält sich an die Bodenrichtwertkarte der Stadt, nicht den Verkehrswert, und berücksichtigt auch nicht den Gebäudewert. In diesen Punkten „bleiben wir uneinig“, sagte Vereinsgeschäftsführer Ulrich Wecker. „Das Landesentschädigungsgesetz regelt klar, dass der Verkehrswert anzusetzen ist“, so Wecker. Außerdem wolle man auch bei einer Teilnutzung die Entschädigung für das ganze Grundstück.

Sowohl der 20 000 Mitglieder starke Verein als auch die Bahn seien an einem Musterprozess interessiert, mit dem Grundsatzfragen geklärt würden, sagten Wecker und Sturm. Allerdings findet sich kein Kläger.

Neu in den Verträgen ist die Regelung, dass die Bahn künftig 100 und nicht nur 80 Prozent der von ihr errechneten Entschädigung auszahlen wird. Auch dann, wenn – diese Möglichkeit ist neu – sich die Privatpersonen eine maximal fünfjährige Bedenkzeit zum Widerspruch offen hält. Der Klage vorgeschaltet wäre eine so genannte Besitzeinweisung durch das Regierungspräsidium (RP). Weil die Bahn Baurecht hat, muss das RP dieses durchsetzten, auch wenn über die Entschädigungshöhe gestritten würde.

Von den 100 Prozent, die die Bahn bezahlt hat, kann sie sich, würde ein Gericht die Zahlung als zu hoch ansehen, keinen Cent zurückholen. „Wir sprechen von einer Mindestentschädigung“, so Sturm. Für Wecker, selbst Rechtsanwalt, unterliegt die Bahn dem „Verbot der Verböserung“.

Der Verein habe sich lange um Interessenausgleich bemüht, sagte Vorsitzender Klaus Lang. „Der neue Vertrag gibt jetzt eine sichere Basis, und er verbaut nichts, wenn sich durch Rechtsprechung etwas ändern sollte.“ Die Änderungen werden allen zugestanden, die schon Verträge unterschrieben haben.

Auch als neu präsentiert, von unserer Zeitung bereits vor Monaten berichtet, ist die Umkehr der Beweislast bei möglichen Schäden durch den Bahnbau. Bisher mussten Eigentümer beweisen, dass die Bahn Schuld ist, jetzt muss die Bahn beweisen, dass sie keine Schuld trägt. Würden zum Beispiel an einem Haus Risse entstehen, „dürfte es für uns schwer sein, den Anscheinsbeweis zu erschüttern“, sagt Sturm. Er rechne aber nicht mit Schäden, auch wenn „minimale Setzungen“ beim Tunnelbau normal seien. Bisher habe es keine Schäden gegeben, so Sturm.

Das allerdings ist nicht richtig. Die Landeswasserversorgung (LW) hat an ihrem Bürohaus in der Schützenstraße 4 Risse durch den nur wenige Meter darunter gegrabenen Bahntunnel. „Diese sind der Bahn auch bekannt“, sagt LW-Pressesprecher Bernhard Röhrle. Der siebenstöckige Bürobau hat sich laut Messung von Dienstag um inzwischen 18,9 Millimeter gesenkt. Die LW ringt außerdem um die Höhe der Entschädigung für die Grundstücksnutzung, will per Gutachten festgestellte 77 392,66 Euro und nicht nur die von der Bahn bezahlten 49 744,16 Euro. Der Fall ist noch nicht beim RP angelandet. Er könnte vor Gericht gehen.

Die Stadtverwaltung hat die Änderung der Vertragsbedingungen begrüßt. Über die Höhe der Entschädigung gebe es zwischen Stadt und Bahn aber noch „Abstimmungsbedarf zur Berechnungsmethodik“.