Deutsch im Alltag decken die Sprachkurse für Flüchtlinge ab. Schwieriger wird es für diejenigen, die an die Uni wollen – dafür fehlen häufig die geeigneten Angebote. Foto: dpa-Zentralbild

Experten warnen: Die flächendeckenden Deutschkurse für Flüchtlinge sind ungeeignet für diejenigen, die studieren wollen. Wird der Uni-Start hoch qualifizierter Flüchtlinge verzögert, verschwendet der Staat Zeit und Geld.

Berlin - Ein Flüchtling, der bei seiner Ankunft schon Deutsch kann? Das scheint im System kaum vorgesehen. „Mir wurde gesagt, dass es für mich kein Angebot gibt, weil ich schon Grundkenntnisse hatte“, sagt Alaa Abo Aoun.

Der 27-jährige Syrer ist im März 2015 nach Deutschland gekommen und beantragte in Berlin Asyl. Deutsch konnte er da nach eigenen Angeben schon auf B1-Level. Das Ziel der sogenannten Integrationskurse, mit denen der Bund Migranten und Flüchtlingen flächendeckend Deutschkenntnisse vermittelt, hatte Aoun also schon erreicht. B1 entspricht der „fortgeschrittenen Sprachverwendung“. Das reicht für den Alltag – aber nicht für die Uni. Doch dort will Aoun für einen Informatik-Master dringend hin.

Gute Programmierer sind in Deutschland Mangelware. Aber Kurse, die Leute wie Aoun schnell an die Uni bringen, sind es auch. Denn die meisten Hochschulen fordern von Ausländern einen Deutschzugangstest, der einem höheren Level als B1 entspricht. Nach dem Integrationskurs, das zeigt Aouns Beispiel, fallen qualifizierte Flüchtlinge häufig in ein Loch: Was sich an den Integrationskurs anschließt, gleicht einem Flickenteppich aus verschiedenen Angeboten und Fördermöglichkeiten, die sich zum Teil je nach Bundesland oder sogar je nach Kommune unterscheiden. Aoun „ist kein Einzelfall“, sagt die Stuttgarter Sprachlehrerin Simone Henke, die über 20 Jahre Berufserfahrung hat und in einem Beratungsgremium für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) saß. Eine flächendeckende Lösung für die Lücke zwischen Integrationskurs und Uni-Sprachprüfung fehle. Was nach dem Integrationskurs kommt, seien „alles Einzellösungen“.

Immer mehr Universitäten bieten nun zum Beispiel selbst Kurse an, die auf ein Studium vorbereiten sollen. In den meisten Bundesländern gibt es studienvorbereitende Kurse auch an sogenannten Studienkollegs. Wie viele solcher Plätze es bundesweit gibt, ist aber unklar, weil sich das Angebot je nach Bundesland unterscheidet. Außerdem stehen diese Kurse nicht nur Flüchtlingen offen, sondern auch anderen Menschen, die zum studieren nach Deutschland kommen.

Bundesforschungsministerium will sich der Problematik annehmen

Das Bundesforschungsministerium hat im November angekündigt, in den kommenden vier Jahren 2400 zusätzliche Plätze pro Jahr speziell für Flüchtlinge in solchen Kursen zu finanzieren – also rund 10 000 neue Plätze insgesamt. Jürgen Zöllner von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung schätzt aber, dass allein bis Oktober 2015 rund 50 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, die studieren wollen. Es sei „nicht auszuschließen, dass die jährlich 2400 zusätzlichen Plätze mittelfristig nicht ausreichend sein werden“, sagt ein Sprecher des Baden-Württembergischen Wissenschaftsministeriums. Seine Kollegin vom Bundesministerium entgegnet, dass der zukünftige Bedarf derzeit nicht seriös beziffert werden könne.

Alaa Abo Aoun hat sich den Weg zu seinem flüssigen Deutsch selbst zusammengeschustert – mit Sprachkursen an einer privaten Schule in Berlin. Kostenpunkt: 230 Euro im Monat. Als anerkannter Flüchtling erhält Aoun rund 400 Euro Arbeitslosengeld im Monat. Zuletzt habe er sich für den Deutschkurs Geld geliehen, sagt Aoun.

Doch die Lücke nach dem Integrationskurs, in die Aoun rutschte, ist nicht das einzige Problem. Wer mit Betreuern an Hochschulen spricht, die Flüchtlinge als Gasthörer aufnehmen, hört immer wieder das Gleiche: In den Integrationskursen seien die Gruppen oft sehr heterogen. Menschen mit nur wenig Schulbildung pauken zusammen mit anderen, die studiert, schon andere Fremdsprachen gelernt haben und deshalb schneller Fortschritte machen könnten. So lernten qualifizierte Flüchtlinge oft langsamer, als sie könnten, kritisieren Experten. Sie lerne nichts Neues, berichtet etwa Rashof Ad-Daoud, 18 Jahre, aus ihrem vom Bamf bezahlten Sprachkurs in Berlin. „Wir gehen ständig zurück im Stoff und wiederholen Zahlen oder wie wir uns vorstellen.“

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, fordert, die Integrationskurse spezifischer zuzuschneiden. Die Kurse seien ein sehr wichtiges Instrument zur Integration von Migranten. „Aber inzwischen sind die Gruppen tatsächlich so heterogen, dass es erfolgversprechender für den Spracherwerb scheint, wenn die Angebote zielgruppenspezifisch angeboten werden“, sagte Hippler unserer Zeitung. Jens Kemper von der Uni Bremen wird noch deutlicher: „Leute mit hoch qualifizierten Perspektiven brauchen getrennte Kurse. Sonst verlieren sie Zeit.“ Speziell auf studienbefähigte Flüchtlinge ausgerichtete Deutschkurse in Ergänzung zu den Integrationskursen fordert auch das Wissenschaftsministerium in Baden-Württemberg. Bereits im Frühjahr 2015 habe Ministerin Theresia Bauer (Grüne) einen Brief mit dieser Forderung an die Bundesministerin Johanna Wanka (CDU) geschrieben, sagte ein Sprecher unserer Zeitung.

Viele Experten sind sich einig: Qualifizierte Flüchtlinge, die an die Uni wollen, brauchen speziell darauf ausgerichtete Kurse – und Förderung aus einem Guss statt Einzelfallregelungen. Nach einem Jahr, sagt Sprachlehrerin Henke, könnten Schüler ohne Vorkenntnisse die Uni-Zugangsprüfung schaffen. Aber nur, „wenn man in einem Rutsch einen Kurs durchziehen könnte. So könnte man viel Zeit und Geld sparen.“

Sollte sich in Zukunft etwas ändern: Für Alaa Abo Aoun kommt das zu spät. In wenigen Wochen steht die Deutschprüfung an, die er für den Uni-Eintritt braucht. Wenn alles klappt, hoffte Aoun darauf, zum Herbstsemester 2016 mit seinem Informatik-Master anzufangen. Seine Ankunft in Deutschland läge dann eineinhalb Jahre zurück.