Das Studium als Maßstab für den Bildungserfolg: Höhere Hürden für Migranten Foto: dpa

Haben es Studenten mit Migrationshintergrund schwerer als andere? Die Antwort: Kommt ganz drauf an. „Es wäre falsch, höhere Abbruchraten allein auf den Migrationshintergrund zu reduzieren“, sagt die Bremer Wissenschaftlerin Chripa Schneller im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten.

Stuttgart. Durch die Flüchtlings-Problematik rücken auch sie wieder ins Zentrum des Interesses: Studierende mit Migrations-Hintergrund. Chripa Schneller, Migrationsforscherin an der Uni Bremen, wünscht sich an den Hochschulen einen regelmäßigen und unvoreingenommenen Diskurs über die Problemstellungen dieser Gruppe. -
Frau Schneller, wie definieren Sie den Studierenden mit Migrationshintergrund?
Als eine heterogene Gruppe, aus der man keine allgemeingültigen Rückschlüsse ziehen kann.
Aber es gibt statistische Erhebungen.
Ja, sie zeigen zum Beispiel, wie die Verteilung über die Studiengänge ist, oder dass Studierende mit Migrationshintergrund häufiger aus sozial schwächeren Verhältnissen stammen als solche ohne. Aber es gibt nicht den einen, gemeinsamen Nenner. Gemeinsam haben sie eigentlich nur, dass sie gesellschaftlich alle der gleichen Gruppe zugeordnet werden.
Kann man sagen, wie groß diese Gruppe an den deutschen Hochschulen ist?
Aktuell sind es 23 Prozent der Studierenden, das ist die Zahl des Deutschen Studentenwerks. Aber man muss vorsichtig sein, die Zahl schwankt je nach Definition. Vor drei Jahren – und bei leicht unterschiedlicher Definition – waren es elf Prozent.
Die soziale Ungleichheit ist von Kindesbeinen ein Problem. Setzt sich das an der Universität linear fort?
Ja, natürlich. Bildungserfolg ist eng mit der sozialen Herkunft verbunden.
Haben es Studierende mit Migrationshintergrund naturgemäß schwerer?
Naturgemäß nicht. Die Bedeutung der Bildungsherkunft gilt für Studierende mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen. Statistisch gesehen, stammen Studierende mit Migrationshintergrund öfter aus sozial schwachen Familien und brechen auch öfter ihr Studium ab. Es wäre aber falsch, das allein auf den Migrationshintergrund zu reduzieren.
Es könnte auch sein, dass sie schlicht keine Lust mehr oder andere berufliche Perspektiven entwickelt haben ?
Genau. Oder sie haben keine finanziellen Möglichkeiten. Wie andere Studierende eben auch.
An der Uni Konstanz gibt es eigens Sprachfördermaßnahmen für Studierende, die häufiger als andere Probleme mit dem akademischen Formulieren haben. Ist das hilfreich?
Fördermaßnahmen sind grundsätzlich richtig und wichtig, weil ja nicht alle mit den gleichen Voraussetzungen an die Hochschulen kommen. Wichtig ist aber auch, dass Ansätze zur Förderung nicht ausschließlich über Defizite definiert werden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir nur mal die Muttersprache. Es ist doch kein Naturgesetz, dass jemand nur deshalb schlechter Deutsch spricht oder schreibt, weil er oder sie eine andere Erstsprache hat. Je nachdem, aus welcher sozialen Schicht man stammt, kann man es schwerer oder leichter haben, in die Bildungssprache der Hochschule hineinzuwachsen.
Sie befürchten eine Stigmatisierung?
Das Wort haben Sie gewählt, aber so ähnlich würde ich es auch beschreiben. Die Gefahr ist, dass man gewisse Eigenschaften automatisch mit bestimmten Gruppen von Menschen koppelt.
Wie lässt sich dieses Schubladendenken verhindern?
Ein Ansatz wäre sicherlich, wenn sich die Universitäten intensiver als bisher damit beschäftigen, welche Rolle sie als Teil der Gesellschaft bei der Konstruktion solcher Gruppen spielen. Sie müssen sich die Frage stellen: Welche Machtverhältnisse und Zustände werden dadurch legitimiert und zementiert?
Sprich, wo leisten sie dem alltäglichen latenten Rassismus Vorschub?
Ich will es so sagen: Die Universität versteht sich als neutralen Raum, kann es in migrationsgesellschaftlicher Hinsicht aber nicht sein. Dort treffen Menschen aufeinander. Die Prozesse untereinander entwickeln sich dabei ähnlich wie die außerhalb der Universität.
Was wünschen Sie sich diesbezüglich von den Hochschulen?
Ich würde mir mehr Möglichkeiten wünschen, um über Erfahrungen in diesen Bereichen unvoreingenommen sprechen zu können. Wir brauchen mehr Austausch untereinander. Und wir müssen in den Universitäten weg von der Defizit-Orientierung und von Verallgemeinerungen, wenn wir über Studierende mit Migrationshintergrund sprechen.