In der Beratungsstelle im Stuttgarter Westen hat auch der Vaihinger Student Thomas Komp Hilfe gesucht und bekommen. Foto: Rebecca Beiter

In den vergangenen Jahren suchten immer mehr Studierende die psychologische Beratungsstelle im Stuttgarter Westen auf, im vergangenen Semester rund 700.

Vaihingen - Als würde er einen Ferrari mit angezogener Handbremse fahren und dabei Vollgas geben – so beschreibt Thomas Komp seine Krankheit. „Der Motor heult auf, aber ich komme nicht voran“, sagt der 28-jährige Student. Komp, dessen echter Name anders lautet, hat die psychische Störung ADHS. Ein schlechtes Zeitgefühl und Konzentrationsprobleme kennzeichnen seinen Studienalltag. Trotz seiner Krankheit ist er an der Universität Stuttgart eingeschrieben, er wohnt und studiert auf dem Campus Vaihingen. Sein viertes Semester ist jetzt angebrochen, er macht einen Master in Umweltschutztechnik.

Studierende mit psychischen Störungen sind keine Seltenheit. „Untersuchungen zeigen, dass jeder vierte bis fünfte Student während seines Studiums durch eine psychische Belastung beeinträchtigt ist“, sagt Petra Kucher-Sturm. Doch davon wage nur ein Bruchteil den Gang zu ihr. Kucher-Sturm ist eine von zwei Psychotherapeuten der psychologischen Beratungsstelle des Studierendenwerks Stuttgart und versucht zu helfen, wenn die jungen Menschen psychische Probleme haben.

Ein beiger Therapieraum erwartet die Studierenden

Seit 30 Jahren finden Studierende mit emotionalen Problemen bei ihr Rat und Hilfe. „Damit wir schnell ansprechbar bleiben, bieten wir aber keine mehrstündigen Therapien von zwanzig oder vierzig Stunden an“, erklärt Kucher-Sturm. Stattdessen sei sie eine erste Ansprechpartnerin. Die Beratungsstelle an der Rosenbergstraße 68 im Stuttgarter Westen liegt in einem bunt gestrichenen Wohnheim. Das Studierendenwerk finanziert das Angebot von den Semesterbeiträgen, die jeder Studierende zu Semesterbeginn zahlt. Die Beratung selbst ist daher kostenlos.

Wer in den Therapieraum kommt, wird von warmen Beigetönen empfangen. Zwei Sessel stehen im Zimmer, getrennt durch einen Tisch mit einer Taschentuchpackung darauf. Auch der Vaihinger Student Komp saß dort. Seit seiner ADHS-Diagnose im Jahr 2002 geht er regelmäßig in Therapie. Er nimmt Medikamente, dank derer er sich besser konzentrieren kann. Geheilt ist er nicht. „Zu Beginn meines Studiums hatte ich einfach Angst, es nicht zu schaffen und ging zur Beratungsstelle. Das Gespräch mit dem Psychotherapeuten hat meine Angst definitiv gelindert“, sagt Komp. Mittlerweile weiß er, dass Studieren auch mit psychischer Störung möglich ist, solange er den Stoff intensiver nacharbeitet als seine Kommilitonen. „Aber trotzdem muss man selbst aktiv werden und sich Hilfe suchen“, rät er jedem Betroffenen.

Die Beratungsstelle ist stark nachgefragt

Im vergangenen Wintersemester, also zwischen September 2015 und Februar 2016, gingen rund 700 Studierende aus dem Großraum Stuttgart zu der psychologischen Beratungsstelle. 1986, im Gründungsjahr der Einrichtung, waren es noch 40. „Der Anstieg der Ratsuchenden liegt hauptsächlich an den deutlich höheren Studierendenzahlen“, stellt Kucher-Sturm klar. Eine höhere Belastung der Studierenden speziell durch das Bachelor- und Mastersystem sieht sie nicht: „Es ist eher so, dass sich die gesamte junge Generation belasteter fühlt.“ Trotzdem sind die angestiegenen Zahlen für die Psychotherapeutin ein erstes Anzeichen dafür, dass mit psychischen Problemen offener umgegangen wird. Die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen oder darüber zu sprechen, sei nichtsdestotrotz hoch.

Komp kann dieser Aussage zustimmen. „Mit meinen Studienkollegen habe ich über meine Krankheit gesprochen, aber meine Dozenten und Professoren wissen nicht Bescheid. Ich sage es ihnen nur, wenn es für eine Prüfung wichtig ist“, so der Student. Er geht teilweise offen mit seiner Krankheit um, aber nur unter Gleichaltrigen, denn junge Menschen zeigen seiner Erfahrung nach mehr Verständnis für psychische Probleme. Auf dem Vaihinger Campus habe er viele positive Erlebnisse gehabt, wenn er von seiner Krankheit berichtete. Doch die Sorge um die Reaktion des Gegenübers bleibt auch bei ihm: „Man möchte ja auch nicht in die Mitleidsecke kommen oder seine psychische Störung als Ausrede benutzen.“

Viele leiden an Depressionen oder Lernstörungen

Die beiden häufigsten psychischen Belastungen, denen Kucher-Sturm in den Sitzungen begegnet, sind einerseits Lern- und Leistungsstörungen wie das Aufschieben von Aufgaben oder Prüfungsangst, andererseits Depressionen. „Im studentischen Umfeld gehören Lernstörungen natürlich dazu. Ich kann aber nicht sagen, was die Ursache einer Depression ist“, sagt sie. Eine Aufmerksamkeitsstörung wie bei Komp behandle sie eher selten.

Die Leidenschaft der Psychotherapeutin für ihren Beruf ist ungebrochen: „Es ist eine wichtige Arbeit, und ich finde sie sehr sinnstiftend.“ Auch Komp hofft, nach seinem Studium einen Beruf zu finden, der ihn begeistert. Dann falle ihm auch die Konzentration leichter. Wenn alles gut geht, beendet er in einem Jahr sein Studium.