Hochspannungsmasten stehen bei Ludwigsburg im Sonnenuntergang. Foto: dapd

Erneuerbare Energien: Tausende Kilometer neuer Stromleitungen müssen gelegt werden.

Stuttgart - Windkrafträder wachsen waldgleich in Landschaften, Fotovoltaik-Anlagen stillen den Energiehunger von immer mehr Haushalten. Mit dem Ausbau der alternativen Energien ist es nicht getan. Die vorhandenen Transportwege reichen nicht für die neuen Energieströme.

1,6 Millionen Kilometer. Auf diese Länge summieren sich die Verteilnetze in Deutschland, die Strom von Meilern zu den Kunden leiten. Allein 36.000 Kilometer nehmen die Höchstspannungsnetze ein, auch Stromautobahnen genannt. Doch sie genügen auf Dauer nicht. Im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien und der steigenden dezentralen Stromversorgung müssen die Netze immer mehr Strom aus Solar- und Windkraftanlagen, aus Biomasse und aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen aufnehmen. Bis 2020 soll der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von heute 17 auf dann 39 Prozent klettern, bis 2050 soll er 80 Prozent betragen.

Dazu braucht es aber auch eine passende Infrastruktur. Floss Strom früher in einer Einbahnstraße von den Übertragungspunkten über Verteilnetze bis zum Verbraucher, müssen die Netze auch einen Gegenverkehr beim Stromtransport bewältigen. Auch die Distanzen für den Transport werden größer. Stehen ältere Kraftwerke nah an dicht besiedelten Industriestandorten, so drehen sich die riesigen Rotoren der neuen Offshore-Windparks an der bevölkerungsarmen Nordseeküste, wohingegen ihre Energie in südlichen Ballungsgebieten gebraucht wird.

Bedarf an 4500 Kilometern

Eine Herausforderung an die Netzbetreiber sind die nicht eben verlässlichen Lieferungen der alternativen Stromproduzenten, die beispielsweise vom Wetter abhängig sind. So bestimmt die jeweilige Windstärke, ob und wie viel Strom ein Windrad erzeugt. Und versteckt sich die Sonne hinter dicken Wolken, sinkt auch die Leistung der Fotovoltaik-Anlagen. An Hochsommertagen wiederum produzieren diese zu viel Energie für den regionalen Bedarf, und der Überschuss überlastet die Netze. Kurz: Das Stromnetz bei volatiler Stromerzeugung flexibel und für Extremfälle gerüstet sein.

"Die Anforderungen an die Verteilnetze ändern sich grundlegend", erklärt Stephan Kohler, Vorsitzender der Geschäftsführung bei der Deutschen Energieagentur (Dena). "Der dezentral erzeugte Strom wird immer häufiger den regionalen Bedarf übersteigen. Für diese Einspeisung sind die Netze auf den mittleren und niederen Spannungsebenen nicht ausgelegt."

In einer Studie will die Dena nun untersuchen, wie vor allem Verteilnetze in Deutschland bis 2015, 2020 und 2030 ausgebaut und weiterentwickelt werden müssen. Allein auf der Höchstspannungsebene wird der Bedarf laut einer früheren Erhebung mit weiteren 4500 Kilometern berechnet, auf der Mittel- und Niederspannungsebene dürfte es in die Hunderttausende Kilometer gehen. Da sind auch Kommunen und Bürger gefordert. "Die Energieerzeugung wird mit ihren Kraftwerken und Anlagen, Netzen und Speichern näher an die Menschen rücken, das Landschaftsbild beeinflussen, Fragen über Auswirkungen auf Natur und Umwelt aufwerfen", sagt Kohler.

Strommastgegner favorisieren Erdkabel

Für die Studie werden die Netz-, Erzeugungs- und Laststrukturdaten anhand von sechs Regionen analysiert. Im Zentrum stehen die Einbindung von Strom aus erneuerbaren Energien, Maßnahmen zur Flexibilisierung der Netze und zur Vermeidung von Versorgungsengpässen. Beteiligt sind Netzbetreiber, Wissenschaftler und Prüfgutachter. Mit von der Partie ist auch die EnBW Regional AG. In deren Verteilnetz sind derzeit rund 100.000 erneuerbare Energien-Anlagen eingebunden, die meisten davon speisen Fotovoltaik ein. Zusammen erbringen sie eine Leistung von 2300 Megawatt.

Allein 2010 lieferten die alternativen Anlagen etwa 3,5 Milliarden Kilowattstunden Strom für 900.000 Haushalte. "Jeder einzelne Antrag zum Anschluss einer erneuerbaren Energien-Anlage macht eine Netzberechnung erforderlich", erklärt eine EnBW-Sprecherin. "Solche Berechnungen ergeben immer häufiger, dass ein Stromnetzbereich zunächst verstärkt werden muss, ehe die Anlage Strom einspeisen kann."

Die Bundesnetzagentur will bis Oktober 2012 einen Bedarfsplan zum Ausbau der überregionalen und grenzüberschreitenden Stromnetze vorlegen. Die Kieler Landesregierung ist bereits aktiv. Sie hat jetzt mit zwei Netzbetreibern eine Beschleunigungsvereinbarung zum Bau von 700 Kilometer neuer Stromautobahnen bis 2020 unterzeichnet. Ein Streitpunkt bei der Bürgerbeteiligung könnten Transporttechnologien sein. Strommastgegner favorisieren Erdkabel statt der hochragenden Metallkonstruktionen.