Die Bäume tragen dieses Jahr reichlich Obst - doch die Streuobstpreise im Land sind wenig erfreulich. Darunter leiden auch mittelständische Keltereien. Foto: StN

Mit interaktiver Grafik - Eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Die Apfel- und Birnenbäume hängen voll wie selten. Die schlechte Nachricht: Besitzer können sich darüber wenig freuen, denn Mostobst ist dieses Jahr kaum etwas wert.

Eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Die Apfel- und Birnenbäume hängen voll wie selten. Die schlechte Nachricht: Besitzer können sich darüber wenig freuen, denn Mostobst ist dieses Jahr kaum etwas wert.

Stuttgart - Das Mosten und Apfelsaftmachen hat in Baden-Württemberg eine lange Tradition – ablesbar auch an vielen Leserreaktionen, wenn die Sprache auf die traditionelle Apfelverwertung kommt. So schreibt Gisela Schmid aus Eberdingen-Nußdorf: „Solange ich denken kann, hat mein Vater gemostet, und zu dem frischen süßen Apfelsaft gab es dann immer Zwiebelkuchen. Mein Vater war mächtig stolz auf seinen Most, der wie Sekt perlte. Jedem Besucher bot er ein Glas an und sagte: ,Wenn mein Mosch mogsch, no mogsch au mi.‘“

Dieser persönliche Bezug zu dem Streuobst und seinen Verwendungsmöglichkeiten verblasst langsam. Die neueste Entwicklung, auf die der Bundesfachausschuss Streuobst des Naturschutzbundes (Nabu) am Wochenende aufmerksam machte, könnte diese Entwicklung noch beschleunigen. In einer Stellungnahme des Fachausschusses, die unserer Zeitung vorliegt, beklagt dieser „ein sich abzeichnendes massives Preisgefälle beim Mostobst in Deutschland“. Sprecher Markus Rösler, der auch Grünen-Landtagsabgeordneter ist, berichtet von Keltereien in Süddeutschland, die nur noch 3,50 Euro je 100 Kilogramm Äpfel bieten, während in Hessen oder Nordrhein-Westfalen für die gleiche Menge zehn bis zwölf Euro bezahlt würden. Hintergrund seien die überdurchschnittliche Streuobsternte in Süddeutschland, die hohen Bestände an Tafelobst und Apfelsaft und das Einfuhrverbot von EU-Obst nach Russland.

„Für die mittelständischen Keltereien ist die Lage schwierig“, sagte Rösler. „Der Preis für Direktsaft im 25 000-Liter-Tanklastzug ist seit dem vergangenen Jahr von 35 Cent auf jetzt 16 Cent je Liter gesunken. Wir befürchten, dass sich der Preis dem historischen Tiefstand von 2008, nämlich zehn Cent je Liter, zubewegt.“ Damit breche der Saftmarkt zusammen und die Keltereien blieben auf ihren Vorräten sitzen, sofern sie nicht direkte, unabhängige Absatzwege hätten.

Speziell am Bodensee wird nach Angaben von Rösler in diesem Jahr „eine gigantische Obsternte erwartet“. Dort seien auch einige der bundesweit größten Keltereien und Apfelsaft-Händler angesiedelt. Die Folge: „In Baden-Württemberg und in Teilen Bayerns purzeln die Schamgrenzen: Denn bei 3,50 Euro für 100 Kilogramm zahlen die Streuobstbewirtschafter noch drauf.“

Das könnte sich auch in dem für Teile des Südwestens charakteristischen Landschaftsbild widerspiegeln. Nach Ansicht Röslers führen die Tiefpreise beim Mostobst dazu, dass die Bäume nicht gepflegt und im schlimmsten Fall gerodet werden. Das sei allerdings weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll: „Ein Hochstamm ist in wenigen Minuten abgesägt, aber es braucht 15 Jahre, bis ein neu gepflanzter Baum in den Vollertrag kommt“, sagte der Streuobst-Experte.

Tatenlos will der Nabu der Entwicklung nicht zusehen. Die Naturschützer denken über einen ungewöhnlichen Schritt nach: „Wir diskutieren gerade über einen Lieferboykott gegenüber Keltereien, die weniger als sechs Euro pro 100 Kilo anbieten“, sagte Rösler. Das Druckpotenzial ist demnach nicht zu unterschätzen: „Beim Nabu gibt es Hunderte von Gruppen, die Streuobstwiesen besitzen und pflegen. Viele Tausend der mehr als 500 000 Mitglieder tun dasselbe auf ihren Privatgrundstücken.“

Zugleich weisen die Naturschützer auf andere Vermarktungsformen hin: Keltereien, die das angelieferte Obst selbst vermarkten oder Qualitätssäfte mit getrennt erfasstem Streuobst anbieten würden, seien von der „Malaise am Mostobstmarkt“ nicht betroffen. Gute Perspektiven hat Rösler zufolge auch das Bio-Streuobst. Inzwischen würden 14 000 der rund 300 000 Hektar an Streuobstbeständen nach der EU-Bio-Richtlinie bewirtschaftet.

Und was sagt das zuständige Agrarministerium dazu? „Streuobst hat in Baden-Württemberg eine wichtige Bedeutung. Um die verantwortlichen Besitzer und Gemeinden zu unterstützen, hat das Land eine Streuobstkonzeption erarbeitet.“ An diesem Montag wird sie vorgestellt.