Kein Facebook, dafür Joggen und Spazierengehen in der Natur: Der Hirnforscher Manfred Spitzer erklärt, wie man stressfrei den Urlaub verbringt.

Es sollen die schönsten Wochen im Jahr werden: Urlaub. Doch oft ist die wohlverdiente Auszeit nicht frei von Stress: Die Kinder nörgeln, der Strand ist voll, das Essen schlecht, auf dem Smartphone trudeln unentwegt Mails aus dem Büro ein. Wie kann man gesund Urlaub machen? „Indem man einfach mal sein Handy ausschaltet“, sagt der Hirnforscher Manfred Spitzer. Der Ulmer Hochschullehrer hat mit seinen Thesen über den Medienkonsum von Jugendlichen in den vergangenen Jahren für Aufsehen gesorgt, sein letztes Buch „Digitale Demenz“ polarisierte die Öffentlichkeit.

Die großen Säle füllt der streitbare Autor bei seinen Vorträgen zwar nicht mehr, doch seine Meinung ist weiter gefragt. Vor Publikum zeigt Spitzer gern ein Nasa-Bild des Saturnmonds Titan, auf dem man schemenhaft die Oberfläche des Himmelskörpers erkennt. Der Betrachter glaubt zunächst einen Strandabschnitt mit Meer zu sehen, auf dem man sich Hotels, Liegestühle und Surfer vorstellt. Das Gehirn assoziiert automatisch eine Strandlandschaft. „Man kann gar nicht anders, als einen Saturnmond mit unserem Weltbild zu betrachten“, so Spitzer. „Die Landschaft wurzelt tief.“

Sie ist so fest in unserem Gedächtnis verankert, dass wir sie sogar auf fremde Himmelskörper projizieren. Das Landschaftsbild sei evolutionär entstanden, erklärt Spitzer. Selbst in Shopping-Malls würden sich die Menschen am liebsten bei den Springbrunnen aufhalten - es gibt eine innere Verbundenheit zur Natur. Spitzer zitiert eine Studie, in der Versuchsteilnehmer die Führerscheinprüfung in einem Raum mit und ohne Zimmerpflanzen ablegten. Das Ergebnis: Die Prüflinge, die in dem Zimmer mit Grünzeug saßen, erzielten durchschnittlich bessere Resultate.

„Wir leben in einer Betonwüste“

Für Spitzer dient das als Beleg dafür, dass Menschen in Pflanzenumgebung konzentrierter sind und klarer denken können. Auch die Genesungsphase etwa nach einer Gallen-OP sei kürzer, wenn der Patient in seinem Krankenzimmer auf einen grünen Park anstatt einer Betonwand blicke. Daraus folgt für Spitzer, dass man sich im Grünen besser erholen kann. „Das Landschaftserlebnis reduziert den Stress.“ Allein, die überwiegende Mehrheit der Menschen lebt heute nicht mehr auf dem idyllischen Bauernhof mit Bergkulisse und weidenden Kühen, sondern verbringt den Tag in fensterlosen Büroräumen oder im Auto sitzend im Stau. „Wir leben in einer Betonwüste“, konstatiert Spitzer. Man müsse vieles aktiv inszenieren: den Park oder Dachgarten („Urban Gardening“) als Naturersatz in der Stadt.

Für Spitzer gibt es nur eine Option: raus aus der Betonwüste, rein in die Natur. Berge, Wälder, Seen, das seien die Orte, an denen sich Städter am besten erholen könnten. Die Farben Blau und Grün wirkten beruhigend und machten kreativ - hier könne man Kraft schöpfen. Interessanterweise sind das auch die Motive, die Menschen von Amerika bis Frankreich mit Erholung in Verbindung bringen. Von Städteurlaub hält Spitzer nichts. „Wir sitzen tagsüber vor dem Bildschirm und setzen uns abends vor den allergrößten Bildschirm.“ Damit ist er bei seinem Leib- und Magenthema angelangt, den digitalen Medien.

„Es gibt nichts Dümmeres, als über eine eigenschaftslose Oberfläche zu wischen“, sagt er in gewohnt polemischer Zuspitzung. Wenn ein Zuhörer im Saal nach dem dritten SMS-Gebimmel an seinem Handy herumspielt, kommt es schon mal vor, dass ihn der Redner rüffelt: „Machen Sie’s aus. Das stört.“ Handys haben im Urlaub nichts verloren, mahnt der Hirnforscher. „Wer sein Smartphone mitnimmt, braucht gar nicht erst wegzufahren.“ Studien belegen, dass die Smartphone- oder Tabletnutzung vor dem Zubettgehen die Schlafqualität massiv beeinträchtigt.

Kann man einfach abschalten?

Der Grund: Die blauen Wellenlängen des Lichts, mit dem LEDs von Tablets, Laptops oder Handys beleuchtet werden, machen wach. „Wenn man den Schlaf auch noch im Urlaub zerschießt, ist man selbst schuld.“ Für Spitzer gibt es nur eine Konsequenz: Das Smartphone müsse im Urlaub ausgeschaltet bleiben. Doch das bleibt wohl eine Illusion. Auch im Urlaub tippt man auf dem Smartphone und rennt zum Wi-Fi-Hotspot in freudiger Erwartung neuer Facebook-Nachrichten. Überhaupt Facebook. Das ist das Schlimmste, befindet Spitzer. Wie Rauschgift. Und das führt zu der in Spitzers Ausführungen unbeantworteten Frage, ob der Mensch Erholung neu lernen müsse. Kann man so einfach abschalten, so wie man einen Knopf drückt?

Professor Michael Stark, Leiter des Instituts für Verhaltenstherapie und innovative Behandlungsformen in Hamburg, sagt: „Natürlich müssen wir Erholung neu lernen. Digitale Medien sind verführerisch, sie haben Suchtcharakter. Unser Gehirn ist so konstruiert, dass es immer mit einem Ohr darauf lauert, ob das Handy klingelt. Wir zucken ja schon zusammen, wenn die Nachbarn am Strand oder im Restaurant den gleichen Klingelton haben. Das kostet unbemerkt Kraft.“ Es ergebe freilich keinen Sinn, wie die Amish People mit Pferdekutschen zu leben. Doch man brauche einen vernünftigen Umgang mit digitalen Medien. „Unser biologisches System ist 40 000 Jahre alt und nicht ausgelegt auf die Welt, die wir uns in den letzten 100 Jahren erschaffen haben“, so Stark.

„Wir reagieren auf Stress, wie wenn wir einen Säbelzahntiger sehen - Kampf oder Flucht.“ Die heutige Gesellschaft ist von modernen Säbelzahntigern umzingelt - der Krankenwagen, der lärmende Nachbar, die Hoteldisco. Dabei sei der Mensch auf Natur programmiert. Stark rät im Urlaub zu Abwechslung - mental und physisch. „Gesundheit ist die gute Schwingungsfähigkeit. Der Journalist braucht im Urlaub ein Buch und nicht Kontakte. Die Krankenschwester braucht das Gegenteil, dass man sich um sie kümmert.“ Auch Spitzer empfiehlt, im Urlaub aktiv zu bleiben.

Im Wald zu joggen sei deutlich besser, als im Fitness-Studio aufs Laufband zu gehen. Das Gehirn muss sich anstrengen, Hindernissen wie Wurzeln ausweichen. Dabei bilden sich neue Hirnzellen. Diese neu gewachsenen Zellen müssten mit Informationen versorgt werden, um sie mit alten zu vernetzen - sonst sterben sie gleich wieder ab. Das Gehirn muss trainiert werden. „Kreuzworträtsel oder Sudokus bringen nichts“, erklärt der Hirnforscher. Am besten seien Enkelkinder, „die halten einen auf Trab.“