Im Fury Room (Wut-Raum) lassen gestresste Pariser gegen Geld Dampf ab. Damit sie sich beim Zerdeppern von Möbeln und Elektrogeräten nicht verletzen, tragen sie Schutzausrüstung. Foto: Furyroom

Im Fury Room können gestresste Pariser Dampf ablassen. Aus Kellertiefen dringt hier ungehemmt empor, was andernorts Nachbarn und Polizei auf den Plan rufen würde. Die Zusammensetzung der Kundschaft überrascht.

Paris - Und hier soll blindwütiges Zerstören angesagt sein? Nach heiler Welt sieht das doch aus. Der Ort und die Frau, die über ihn gebietet, machen einen aufgeräumten Eindruck. Aurélie Bezard (30) thront auf einem Barhockerhöhe erreichenden Bürostuhl, begrüßt Eintretende mit der Andeutung eines Lächelns. Der Schreibtisch der Geschäftsführerin ist beneidenswert leer. Tastatur, Bildschirm, Smartphone, Mineralwasserflasche und Zigarettenpackung – mehr hat sich da im Lauf der Woche nicht angesammelt.

Aber das hier ist ja auch erst der Anfang, genauer gesagt: der Empfangsraum des kürzlich in Paris eröffneten Fury Room (deutsch: Wut-Raum). Zur Sache geht es eine Etage tiefer. Unten im Gewölbekeller fliegen die Fetzen oder vielmehr: fliegen die Scherben, Splitter, Stuhlbeine, Lampenfüße, Laptoptasten. „Wir bieten den Menschen dieser extrem stressigen Stadt einen Ort an, wo sie Frust und Wut ausleben, alles klitzeklein schlagen können“, erläutert Bezard das Geschäftskonzept.

Die Preise für den Stressabbau liegen zwischen zehn und hundert Euro. Die Kundschaft hat die Wahl zwischen mehreren Menüs. Das 60 Euro teure Menü „Chaos“ etwa richtet sich an zwei Personen, die mit vereinten Kräften 30 Flaschen, zwei Backsteine, zehn Gläser, zehn Teller, zwei Computer, einen Drucker und ein Möbelstück zertrümmern dürfen. Als Schlaginstrumente stehen Baseballschläger, Vorschlaghammer und Schürhaken zur Verfügung, als Schutzkleidung Helme, Handschuhe und Overalls.

Aus dem Keller dringen Schreie, dumpfe Schläge und das ersten von Glas

Aus Kellertiefen dringt empor, was andernorts Nachbarn und Polizei auf den Plan rufen würde: Schreie, gefolgt von keuchendem Stöhnen, dumpfen Schlägen, dem Klirren berstenden Glases, neuerlichen Schreien. Benjamin, Antoine und Romain wüten dort.

Benjamin, der stämmigste der drei, wirft soeben eine leere Weinflasche Richtung Kellerdecke. Einer der Kumpel schwingt den Baseballschläger, zerschmettert das Flugobjekt mit einer Wucht, der wohl auch widerstandsfähigeres Material nicht getrotzt hätte. Dass Trio quittiert den Scherbenregen mit aus tiefsten Bauchhöhlen aufsteigenden Urschreien. Es folgt ein Finale furioso. Gemeinsam machen sich die drei über bereits reichlich Zerlegtes her. Hier trifft es einen halben Teller, dort ein Tischplattenfragment, da einen Blechrest.

Arbeitskollegen sind die Männer, Angestellte einer Werbeagentur. In sportlich-elegantem Outfit waren sie gekommen. An Robocop erinnernde Helme tragen sie nun, Kampfanzüge aus von Malermeistern geschätztem, reißfestem Baumwollstoff, darüber Schulter-, Ellbogen-, Handgelenks-, Knie- und Schienbeinschützer.

Schweißnass steigen die Männer die Kellertreppe hinauf

Der Schlachtenlärm verstummt. Den Helm in der Hand, das Gesicht schweißnass, steigen die Männer die Kellertreppe hinauf. Vor dem Gang in die Unterwelt waren sie knapp angebunden gewesen, nun sprudelt es aus ihnen heraus. Von ihrem Großraumbüro erzählen sie, wo jeder jeden beobachte, jeder jeden kontrolliere. „Du frisst da eine Menge Dreck in dich hinein, bist irgendwann randvoll mit Ärger und Aggressionen“, sagt Benjamin. „Hier laden wir’s ab, ziehen anschließend unbeschwert weiter.“ Eine Fußballkneipe ist an diesem Abend das Ziel, wo die drei den nächsten Sieg von Paris Saint-Germain live erleben wollen.

Aggressionen abladen? Die Jurastudentinnen Suzin (24) und Morgan (22), die den Fury Room als nächste betreten, wirken überhaupt nicht aggressiv. Gewiss, auch sie schreiten zur mit Baseballschläger, Vorschlaghammer und Schürhaken bestückten Wand, folgen der dort prangenden Aufforderung: „Wähle deine Waffe!“ Aber die zwei Frauen plaudern, lachen, kichern. „Nein, aggressiv bin ich nicht“, bestätigt Suzin, einen Baseballschläger in der Hand. Angespannt, total nervös sei sie. „Ich stehe kurz vor dem Examen“, fügt sie hinzu.

Frauen stellten den Großteil der Kundschaft

Charles, der sich im Auftrag Bezards ums Grobe kümmert, hat den Keller bereits entsprechend ausstaffiert. Auf einem Holzblock liegt ein Laptop. Aus Lautsprechern dringen Anfeuerungsrufe eines Rap-Sängers. Im Schein einer Neonröhre schlägt Suzin zu, immer und immer wieder.

Frauen stellten den Großteil der Kundschaft, erzählt Bezard. Aber auch Paare nutzten das Angebot. Kürzlich sei ein total zerstrittenes Paar gekommen in der Hoffnung, über einen gemeinsamen Tobsuchtsanfall wieder zusammenzufinden.

Das zur Zerstörung gereichte Material stamme vom Sperrmüll, aus Gaststätten oder Elektronikläden, wo es anschließend auch wieder entsorgt werde, stellt die Geschäftsführerin klar. Das Telefon klingelt. „Frühestens in einer Woche ist wieder etwas frei“, bescheidet Bezard den Anrufer. Die Nachfrage sei enorm, erzählt sie. Gut einen Monat nach der Eröffnung schmieden die Besitzer Expansionspläne. Im Nachbarhaus wolle man hundert Quadratmeter anmieten, das Konzept im In- und Ausland Franchisenehmern anbieten.

Bezard gibt Charles ein Zeichen. Neue Kundschaft naht. Es gilt Flaschen um den Holzblock zu gruppieren, Tellerberge aufzuschichten, das Ganze mit Möbeln und Computern zu garnieren.

Wuträume auch in Deutschland

Dem Vergnügen, einen Fernseher oder Computer zu zerschlagen, kann man übrigens auch in Deutschland nachgehen. Wuträume gibt es unter anderem in München, Halle und Berlin. In der deutschen Hauptstadt lockt der sogenannte Crashroom mit ganz unterschiedlichen Angeboten. Ausdrücklich werden Geburtstage und Scheidungspartys erwähnt. Das Berliner Etablissement bietet neben dem Klassiker „Büro zerdeppern“ auch Tortenschlachten und kreatives Malen (Action Painting) an. Dazu kommt ein mobiler Wutraum.