Ein argumentierender Sebastian Turner (rechts) und ein skeptischer Fritz Kuhn (links): Die OB-Kandidaten, hier mit ihren Mitarbeitern, sind sich im Streitgespräch in der Redaktion der Stuttgarter Nachrichten nicht oft einig. Foto: Leif Piechowski

Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für den Stuttgarter-OB-Sessel sind sich besonders bei der Gemeinschaftsschule uneinig.

Bei der Schulpolitik ticken Sebastian Turner, der Kandidat von CDU, FDP und Freien Wählern, sowie der Grüne Fritz Kuhn ganz unterschiedlich. Das hat der zweite Teil des Streitgesprächs gezeigt, das die aussichtsreichsten OB-Kandidaten in der Redaktion der Stuttgarter Nachrichte führten.

Herr Turner, Ihr Kontrahent plakatiert „Für Stuttgart bauen, nicht für Investoren“. Ist das eine Formel, die Sie übernehmen können?
Turner: Der Satz hat einen gewissen logischen Bruch, aber tatsächlich ist es so, dass in Stuttgart in den letzten Jahren viele Häuser entstanden, die die Stadt nicht schmücken. Große Kästen, die aussehen wie Schuhkartons, die irgendein Gulliver da abgeworfen hat. Das ist nicht die Lösung. Die Stadt der Architekten muss als solche erkennbar sein. Wir brauchen klare Spielregeln für Ästhetik, wenn sich jetzt diese riesige Gestaltungschance des Rosensteinviertels eröffnet. Wir brauchen eine andere Urbanität. Wenn sich der Stil des LBBW-Gebäudes durchziehen würde, hätten wir eine historische Chance verschenkt. Dann würde man uns später sagen, dass wir die zweite Zerstörung der Stadt nach jener im Krieg zu verantworten hätten.

Herr Kuhn, wie kriegt man das hin, dass Investoren dennoch nach Stuttgart kommen?
Kuhn: Mein Satz „Für Stuttgart bauen, nicht für Investoren“ zielt darauf, dass die Stadt erst mal im Sinne einer neuen Baukultur eine Bauleitplanung für ganze Quartiere auf den Tisch legen muss. Daraus folgt, was gebaut wird, nicht umgekehrt. Man muss nicht Sachen machen, weil es einen Investor gibt, sondern ich muss mit Bürgern, Gemeinderat und Verwaltung definieren, was wir haben wollen. Mehr Wohnungen in der Innenstadt zum Beispiel. Und dann sucht man Investoren. Ich werde das als OB so handhaben. Das bedeutet im Innenstadtbereich: nicht immer die gleichen Banken- und Versicherungsfassaden. Das haben die Leute satt. Mit Gerber und Milaneo sind die letzten großen Einkaufszentren genehmigt. Was wir jetzt brauchen, sind urbane Wohnquartiere.

Herr Turner, die SPD-Kandidatin Bettina Wilhelm versuchte mit den Themen Wohnungsmarkt und Gemeinschaftsschule zu punkten. Von ihren knapp 30 000 Wählern müssen Sie die meisten gewinnen, um OB werden zu können. Wie machen Sie das?
Turner: Es gibt auch noch die Nichtwähler, das ist die größte und momentan für mich wichtigste Zielgruppe. Aber zum Thema Wohnungsmarkt: Da müssen wir viel tun. Die Menschen, die den Erfolg der Stadt überhaupt erst ermöglichen, können sich das Wohnen hier kaum noch leisten. Bei der Gemeinschaftsschule aber bin ich anderer Auffassung als Frau Wilhelm. Sie ist ein Schritt in Richtung Einheitsschule. Die grün-rote Landesregierung zerstört zuerst das Gymnasium durch die Aufhebung der Grundschulempfehlung, dann baut sie daneben eine aufgewertete Realschule, die zum Abitur führt. Am Ende steht eine leistungsschwache Einheitspampe. Ich bin für das Gymnasium und eine Mittelschule wie in Sachsen, die hervorragend die Kinder betreut, die nicht ins Gymnasium streben. Ich halte nichts davon, dass das Land die Richtung zur Einheitsschule unter dem Deckmantel der Gemeinschaftsschule fördert. Dafür wird die Regierung die Quittung bekommen, die sie schon im Gesamtschulstreit vor 20 Jahren kassierte.

Kuhn: Grün-Rot hat vor 20 Jahren hier nicht regiert.

Turner: Das Konzept der Gesamtschule kommt aus Nordrhein-Westfalen und Hessen, und da haben die Sozialdemokraten Experimente gemacht, die wir in Baden-Württemberg nie gemacht haben.

Kuhn: Doch, es gab in Baden-Württemberg auch Gesamtschulen, zum Beispiel in Tübingen, zur CDU-Zeit.

Turner: Ja, es gab ein paar, weil man sich nicht dagegen wehren konnte. Aber Gott sei Dank haben Baden-Württemberg und Bayern dieses Experiment nicht mitgemacht. Deswegen sind das Bildungsniveau in Baden-Württemberg und die Pisa-Ergebnisse deutlich besser als in Norddeutschland. Das zu gefährden, halte ich für absolut ruinös, da gibt’s einen klaren Gegensatz zwischen uns. Ich glaube auch nicht, dass die Wähler der Sozialdemokratie ernsthaft eine Einheitsschule wollen. Für die ist das Thema Wohnungsmarkt wichtig, das Thema günstiges Leben in der Stadt von Bedeutung, und da haben sie recht, das ist mir auch ein wichtiges Anliegen.