Die S21-Baustelle am Hauptbahnhof Foto: dpa

Hauseigentümer aus dem Stuttgarter Norden erheben schwere Vorwürfe gegen die Deutsche Bahn: „Die Bahn baut hier ohne Genehmigung, das ist ein Skandal“, sagt der von ihnen beauftragte Anwalt Armin Wirsing. Die Bahn indes widerspricht dieser Aussage vehement.

Stuttgart - Die Bahn hat bei Stuttgart 21 viel Zeit verloren. „Vor diesem Hintergrund drücken wir jetzt mächtig auf die Tube, um es salopp zu sagen“, verkündet Projektchef Manfred Leger in der neuesten Infobroschüre der Bahn „jeden Monat 1000 Meter Tunnel.“ Im Stuttgarter Norden scheint Legers Ehrgeiz eigentümliche Blüten zu treiben. „Die Bahn baut hier ohne Genehmigung, das ist ein Skandal“, sagt der Anwalt Armin Wirsing. Die Bahn spricht dagegen von einer „haltlosen Unterstellung“.

Wirsing vertritt Eigentümer, die in der Nähe der Werner-Siemens-Schule wohnen und dort Haus- und Grundbesitz haben. Am Donnerstag sei seinen Mandanten von einem Vermesser eröffnet worden, „dass man schon unter dem Grundstück ist“. Und ein Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft für den Tunnelbau habe dies bestätigt. Für den Bau hat die Bahn aber keine Erlaubnis. Die Besitzer, beide Architekten, sind nicht einverstanden mit den Regelungen, die die Bahn ihnen im Gestattungsvertrag für zwei Flächen an der Frühlingshalde vorgelegt hat.

Bei Uneinigkeit müssen sich die Parteien vor dem Regierungspräsidium Stuttgart (RP) treffen, das vermitteln soll. Lenken die Eigentümer nicht ein, kann die Behörde auf Antrag der Bahn eine vorzeitige Besitzeinweisung verfügen. Die Bahn hat sie für den 26. Juli beantragt, das Gespräch beim RP wurde auf den 14. Juli terminiert. Entscheidet das RP im Sinne der Bahn, dann kann der Schienenkonzern weiterwerkeln. Entschädigung und womöglich Änderung der Vertragsmodalitäten folgen später.

„Meine Mandanten haben sich einen guten Draht zu den Vermessern aufgebaut“, sagt Wirsing. Am Donnerstagmorgen sei ihnen eröffnet worden, dass man jetzt die Arbeiten unter dem Grundstück begonnen habe. Der Tunnel liegt dort 42 Meter tief und wird vom Hauptbahnhof nach Bad Cannstatt führen. Weil das Gelände offenbar nicht sehr standfest ist, müssen die Arbeiter die Häuser darüber zunächst mit einem Bohrschirm (Einspritzen von Beton ins Erdreich über Metalllanzen) und die Tunnelwände später mit Erdankern sichern. Damit rücken sie dem Gelände darüber näher als die von der Bahn genannten 42 Meter.

An den Nachbargrundstücken seien bereits Senkungen aufgetreten. „Noch liegen die im Rahmen des Erwarteten“, sagte Wirsing. Der Anwalt hat die Bahn-Projektbaugesellschaft am Donnerstag aufgefordert, jegliche Bauarbeiten sofort einzustellen.

Zwei Tage zuvor hatte er der Bahn die Bedingungen zur Unterzeichnung des Gestattungsvertrags zugeschickt. Die Bahn sollte für Schäden durch Senkungen ohne Einschränkungen haften und die mögliche Neubebauung der Grundstücke zusichern. Im vierten und letzten Punkt warnte Wirsing ausdrücklich davor, ohne Gestattung unter dem Grundstück zu arbeiten. Das gelte auch „für die dem Bohrschirm vorausgehenden etwa acht Meter langen Vortriebsanker“.

Neben der Bahn sei auch die Aufsichtsbehörde Eisenbahn-Bundesamt (Eba) informiert. „Wenn die Bahn nicht stoppt, ist es Aufgabe des Eba, den Vortrieb anzuhalten“, sagt Wirsing. Auch die Staatsanwaltschaft sei mit einer Strafanzeige gegen unbekannt wegen Sachbeschädigung informiert worden, außerdem das RP.

Die Bahn widerspreche entschieden der Aussage, man habe beim Bau des Tunnels das Grundstück an der Frühlingshalde bereits unterfahren, sagt ein Projektsprecher. Das werde „deutlich nach dem anberaumten Verhandlungstermin liegen“. Es gebe unter dem Grundstück keinerlei Bauarbeiten.

Die Bahn musste am 21. November 2013 Bauarbeiten in der Stadtmitte neben dem Wagenburgtunnel einstellen, weil sie es versäumt hatte, eine Genehmigung der Landeswasserversorgung für die Unterquerung deren Bürohauses einzuholen. Die Bagger waren damals erst 15 Tage an der Arbeit.