Der türkische Präsident Erdogan is not amused – doch Ministerpräsident Kretschmann hat die Kritik an einer Schulbuch-Karikatur scharf zurückgewiesen. Erdogan solle lieber lernen, mit den Kritikern im eigenen Land anständig umzugehen Foto: dpa

Eine Karikatur in einem baden-württembergischen Schulbuch zeigt einen Hund, der an eine Hütte mit der Aufschrift „Erdogan“ gekettet ist. Ankara ist empört. Kretschmann weist die Kritik zurück.

Istanbul/Stuttgart - Seit dem Wochenende bekommt das Kultusministerium in Stuttgart viel Post von türkischstämmigen Einwanderern. Freundliche Schreiben sind allerdings die Ausnahme. Die Landesregierung beleidige den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Türkei und die hier lebenden Türken, heißt es in Mails und Briefen. Anlass für den Unmut der Schreiber ist eine Karikatur in einem baden-württembergischen Schulbuch, das seit 2012 im Gemeinschaftskunde-Unterricht an Gymnasien eingesetzt werden kann: Vor einem Alpenrestaurant sitzen zwei Männer in bayrischer Tracht, der eine raucht Wasserpfeife, der andere ist – wohl wegen des scharfen türkischen Essens – rot angelaufen. Vor einer Hundehütte mit dem Schild „Erdogan“ fletscht ein angeleinter Hund seine Zähne.

Bei der türkischen Regierung findet man die Zeichnung alles andere als witzig. Nach ihrer Entdeckung bestellte Erdogans Außenministerium umgehend den deutschen Botschafter in der türkischen Hauptstadt ein. Die Karikatur beleidige den Staatspräsidenten und belege wachsenden Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in Deutschland, hieß es dort. In Stuttgart beschwerte sich der neue türkische Generalkonsul Ahmet Akinti beim Kultusministerium über die Zeichnung.

Doch weder Kultusminister Andreas Stoch noch der Verlag sehen einen Grund dafür, das kritisierte Arbeitsbuch zurückzuziehen. „Wir bedauern, dass diese Darstellung zu Irritationen bei Teilen der türkischstämmigen Bevölkerung geführt hat“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag nach einem kurzfristig anberaumten Gespräch mit dem Generalkonsul. Er halte die Kritik an dem Schulbuch allerdings „in ihrer Heftigkeit für überzogen“. Das Thema „Einwanderung nach Deutschland“ sei ausdrücklich im Bildungsplan für die Gymnasien vorgesehen, erklärte Stoch. Die Karikatur sei in einen größeren Zusammenhang eingebettet, das Thema werde aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Dadurch sollten die Schüler befähigt werden, die Möglichkeiten und Probleme der Integration in einer pluralistischen Migrationsgesellschaft darzustellen und zu beurteilen.

Georg-Westermann-Verlag ist überrascht

Noch deutlicher wird Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). „Es ist mir unerfindlich, wie man sich darüber so echauffieren kann“, sagte er am Dienstag vor Journalisten. „Eine Karikatur ist eine Karikatur, und sie karikiert, deshalb heißt sie so.“ Seiner Ansicht nach will Erdogan mit der Kritik von Rechtsstaatsverletzungen in der Türkei ablenken. „Wir wissen, wie Erdogan mit Leuten umzugehen pflegt, die ihn kritisieren, das ist uns bekannt und missfällt uns außerordentlich.“ Als Beispiel nannte Kretschmann die Aleviten, die sich nicht vom regulären Religionsunterricht abmelden dürften, um ihren eigenen Unterricht abzuhalten.

Die Karikatur war erstmals im November 2011 in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erschienen. Seinerzeit hatte der damalige Ministerpräsident Erdogan bei einem Deutschland-Besuch die deutsche Integrationspolitik attackiert und seine Landsleute vor einer „Assimilation“ gewarnt. Diese sei ein „Vergehen an der Menschheit“. Vor allem störte er sich daran, dass türkische Angehörige vor dem Zuzug nach Deutschland die deutsche Sprache erlernen sollten. „Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte“, so Erdogan.

Beim Georg-Westermann-Verlag in Braunschweig, der das Schulbuch mit Genehmigung der Landesregierung im Südwesten vertreibt, ist man über die heftige Reaktionen aus der Türkei überrascht. „Die Karikatur wurde ausgewählt, weil sie auf besonders originelle Art den Prozess des fünfzigjährigen Zusammenlebens türkischer und deutscher Mitbürger aufs Korn nimmt und weil sie viel eher als integrationsverstärkend interpretiert werden kann als umgekehrt“, sagte Herausgeber Wolfgang Mattes. Schließlich zeige sie, wie normal der Umgang zwischen deutschen und türkischen Mitbürgern inzwischen geworden sei. „Die Absicht einer Beleidigung oder der Verletzung der persönlichen Ehre, mit welcher das Grundgesetz im Artikel 5 die Grenzen des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit setzt, kann hierin nicht gesehen werden. Schon gar nicht liegt sie in der Absicht der Verfasser des Buches“. Das wollen nicht alle glauben. Am heutigen Mittwoch wird die Union Europäisch-Türkischer Demokraten vor dem Kultusministerium protestieren.

„Das ist nicht der erste Streit mit der Türkei, und es wird wohl auch nicht der letzte sein“, befürchtet Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD). „Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland knapp drei Millionen Türkeistämmige leben und wir mit diesen Menschen ein gutes Miteinander wollen, sollte sich die Bundesregierung fragen, ob sie nicht einen Türkei-Beauftragten benennen will.“ Vorbild könnte der Russland-Beauftragte sein.

Mit Karikaturen hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan häufiger Probleme. Kürzlich ließ er über seine Anwälte den Zeichner einer Istanbuler Oppositionszeitung wegen Beleidigung vor Gericht stellen. Regierungstreue Medien in der Türkei verdammten jetzt die Karikatur aus Deutschland als Respektlosigkeit und erklärten, dass Erdogan schon seit einiger Zeit im Ausland unfair behandelt und unter anderem als Politiker mit Sultans-Ambitionen dargestellt werde.

Der Präsident fühlt sich zunehmend von Feinden umringt. Erst vor wenigen Tagen beklagte der 60-Jährige zum wiederholten Mal eine angebliche Lügenkampagne der internationalen Presse gegen sein Land. Die Türkei werde sich aber weder den Verrätern im Innern noch den von außen kommenden Rufmord-Kampagnen beugen, sagte er.

Selbst im Alltag entdeckt Erdogan immer häufiger Zeichen des mangelnden Respekts seiner Person und seinem Amt gegenüber. Während eines Besuchs im Istanbuler Stadtteil Esenler vor einigen Tagen bemerkte er von der Straße aus einige Café-Besucher, die sich trotz Rauchverbots eine Zigarette angesteckt hatten. Wütend über die „Unflätigkeit“, in seiner Anwesenheit gegen das Rauchverbot zu verstoßen, wies Erdogan die örtlichen Behörden an, den Café-Betreiber zu bestrafen, was prompt geschah: Ein Bußgeld von mehr als 2000 Euro wurde gegen den Unternehmer verhängt.

Kritiker beobachten beim machtbewussten Erdogan, der die politische Szene der Türkei seit mehr als zehn Jahren beherrscht und seit August der erste direkt gewählte Staatspräsident seines Landes ist, eine Tendenz zu Selbstherrlichkeit, Intoleranz und Autokratie. Sein neuer Präsidentenpalast in Ankara hat rund eine halbe Milliarde Euro gekostet, sein neues Dienstflugzeug etwa 150 Millionen. Der Karikaturenstreit lenkt den Blick davon weg – zumindest vorerst.