Wappentiere des Landes hissen die Regenbogenfahne Foto: dpa

Der Streit über Homosexualität als Unterrichtsstoff hat auch die Stuttgarter Kirchen erreicht. Das Thema polarisiert Pfarrer und Gemeindeglieder – nur in einem sind sich alle einig: Die Diskussion braucht mehr Sachlichkeit.

Stuttgart - Der Ton an der Kirchentür wird rauer, die Diskussionen hitziger. Seit bekannt ist, dass der Umgang mit sexueller Vielfalt in den Bildungsplan soll, scheiden sich in manchen Gemeinden die Geister. Die konservativen Christen unterstützen die Petition, die sich gegen das Vorhaben des Kultusministeriums richtet. Die Liberalen schlagen sich auf die Seite der Gegenpetition. Hier heißt es: „Das ist ideologische Umerziehung.“ Auf der anderen Seite meint man: „Es ist gut, dem Thema Homosexualität einen höheren Stellenwert im Unterricht einzuräumen.“

Es tun sich Gräben auf. Diese Erfahrung hat auch Prälat Ulrich Mack gemacht. Der Regionalbischof, dessen Kanzel in der Stiftskirche steht, hörte zuletzt Stimmen wie: „Das kann man doch nicht machen, unseren Kindern so etwas beizubringen, ist nicht gut. Und auch nicht durchdacht.“ Mack spürte auch die Dankbarkeit der Gemeindeglieder in der Stadt, nachdem die Landeskirchen zusammen mit der Katholischen Kirche offiziell Stellung bezogen hatte. Doch für jemanden, der es ganz genau wissen wollte, bot jenes Papier wenig Orientierung. Der etwas kryptisch formulierte Text hielt kaum das, was die Überschrift versprach: „Die Kirchen kritisieren den Bildungsplan.“ Auch der evangelische Stadtdekan Søren Schwesig rümpfte die Nase: „Ich war ja zuletzt Schuldekan und bin eigentlich mit der Materie vertraut, aber selbst ich habe diesen Text nicht verstanden.“ Weiter sagte er: „Ich bin unglücklich mit dem Statement der vier Landeskirchen zur aktuellen Diskussion um den württembergischen Bildungsplan.“

Sein katholischer Kollege, Christian Hermes, strahlt ebenso wenig vor Glück. Ihm missfällt der Umgang mit dem Thema unter Christen: „Dass diese Diskussion geführt wird und dass auch über die verbindlichen Bildungsziele unserer Schulen diskutiert und gestritten wird, ist in einer offenen Gesellschaft selbstverständlich, wichtig und gut. Wir wollen ja Bürgerbeteiligung. Die Diskussionskultur scheint mir hier allerdings noch verbesserungsfähig. Denn die Art, wie gestritten wird, ist ja selbst bereits Ausweis der jeweiligen Fähigkeit zur Toleranz, übrigens auf allen Seiten. Bin ich bereit, überhaupt die andere Meinung zu hören? Und wie polemisch oder konstruktiv bringe ich meine Überzeugung ein?“

Ein evangelischer Pfarrer, der ungenannt bleiben will, spürt vielmehr Angst und Sorge bei seinen Schäfchen. Die Angst vor Veränderung, vor dem Fremden und Anderen. „Woher kommt diese Angst der Petitions-Unterzeichner?“, fragt er und hat eine von mehreren Antworten: „Ich glaube, dass sich gerade viele Eltern vom Staat nicht vorschreiben lassen wollen, welche Leitbilder von Partnerschaft und Familie ihren Kindern vermittelt werden. Sie empfinden das als unsachgemäße Einmischung.“ Unabhängig davon spielten auch religiöse Motive eine Rolle: „Es führt kein Weg daran vorbei, dass aus Sicht der Schöpfungstheologie und der Anthropologie des Alten und Neuen Testaments sich Gottebenbildlichkeit in Zuordnung von Mann und Frau vollzieht, die dann gemeinsam den Auftrag erhalten, fruchtbar zu sein und sich zu mehren. Diese Verbindung erhält im Rahmen von Verbindlichkeit und Treue den Segen Gottes.“ Aus diesem Grund werde er als Pfarrer „nur segnen können, was Gott segnet, also nur die Verbindung von Mann und Frau“. Hier sei er seinem Gewissen verpflichtet.

Als Pfarrerin Ursula Wilhelm aus Birkach das hört, schüttelt sie nur den Kopf. „Dieser Meinung bin ich nicht. Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind. Schließlich hat schon Luther gesagt: Die Ehe ist ein weltlich Ding und hat keinen sakralen Charakter. Ich kann doch nicht sagen, du bist als Mensch wertvoll, aber meinen Segen bekommst du nicht.“ Im Übrigen werde über Partnerschaften in der Bibel nichts ausgesagt. „Wenn man die Bibel wortwörtlich nehmen würde, dann dürften sich die Männer nicht mehr die Bärte schneiden.“

Ursula Wilhelm hält es daher für wichtig, dass sich die neuen Leitprinzipien im Bildungsplan niederschlagen: „Es ist doch wichtig, dass junge Menschen sehen, was es gibt – und dass es Grenzen gibt.“ Vermutlich liegen ihre Gemeindeglieder in der Meinungsbildung nicht weit von der Pfarrerin entfernt. Denn bislang hat das Thema Bildungsplan in Birkach noch keine großen Wellen geschlagen. Dennoch sei die Diskussion wichtig – wie ihre Erfahrungen aus dem Konfirmandenunterricht zeigten: „Wie soll ein junger Mensch damit umgehen, wenn er als Opfer, als Schwuler oder Behinderter beschimpft wird?“, fragt sie und fügte eine zweite Frage an: „Oder wie soll ein Jugendlicher beispielsweise seine Erlebnisse beim Christopher Street Day einordnen, wenn er so einen grell-bunten Wagen sieht?“ In solchen Fällen sei es doch gut, dass Schüler Informationen bekämen.

Damit würde Ursula Wilhelm die Diskussion um die Bildungsrichtlinien und den Umgang mit sexueller Vielfalt in ihrer Kirche gerne beenden: „Wir wissen doch gar nicht, was der liebe Gott will. Ich glaube, der hat ganz andere Probleme mit uns. Es gibt doch wirklich brisantere Themen.“ Sie meint die Armut und Not an allen Ecken der Welt. „Es wäre wichtiger, wenn wir uns an der Kirchentür damit beschäftigen.“