BWIHK-Präsident und Familienunternehmer Peter Kulitz Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Beschneidung der Privilegien von Firmenerben gefährdet die Familienbetriebe, sagt Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK). Er fordert die Politik zum Handeln auf.

Stuttgart - Herr Kulitz, werden Sie angesichts der Reform der Erbschaftsteuer Ihre Firma jetzt früher als geplant auf Ihre Kinder übertragen?
Das kann schon sein. Vier meiner fünf Kinder sind ja bereits Teilhaber unserer Firma. Ich sehe ein, dass die Reform sein muss. Das hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet. Wenn ich allerdings beobachte, was Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble aus dem Urteil des Verfassungsgerichts macht, spüre ich eine erhebliche Unruhe.
Was beunruhigt Sie so sehr?
Zum Beispiel, dass nach Schäubles Plänen bereits ab einem Wert von 20 Millionen Euro je übertragenem Unternehmensanteil geprüft werden soll, ob es bei einer Vererbung überhaupt Erleichterungen geben soll. Die Grenze von 20 Millionen hat Schäuble völlig überraschend ins Spiel gebracht, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Unterscheidung zwischen kleineren und Großunternehmen klar mit 100 Millionen umrissen hat. Hinzu kommt, dass der Unternehmenswert vollkommen unrealistisch mit dem 18,21-Fachen des Jahresgewinns ermittelt wird und demzufolge nach Schäuble bereits jedes Unternehmen mit einem Jahresgewinn ab 1,1 Millionen der Bedürfnisprüfung unterliegt.
Schäuble argumentiert, dass 98 Prozent der Unternehmen ohnehin unter den 20-Millionen-Grenzwert fallen.
Es trifft aber gerade die Familienunternehmen, welche sehr viele Arbeitsplätze schaffen. Sie sind das Rückgrat von Baden-Württemberg. Schäuble hat darauf verwiesen, dass die Erbschaftsteuer in Deutschland viel geringer ist als in Amerika zum Beispiel. Das ist ein merkwürdiger Vergleich. Denn dort gibt es eine ganz andere Unternehmensstruktur als bei uns. Entweder wir wollen die mittelständische Struktur in Deutschland erhalten, oder wir entscheiden uns für eine kapitalmarktgetriebene Firmenstruktur, wie wir sie aus Amerika kennen. Dabei haben unsere Familienunternehmen erst in den jüngsten Krisen wieder bewiesen, wie widerstandsfähig sie sind.
Aber genau diese Struktur soll in der Reform doch gar nicht angetastet werden. Stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel, können Unternehmensvererbungen immer noch von der Steuer befreit werden. Die Reform geht nur zulasten von reichen Unternehmenskindern.
Ein Familienunternehmen zu führen bedeutet nicht in erster Linie, sich eine Villa zu bauen und teure Autos zu fahren. Ein Unternehmen zu führen bedeutet, jede Menge Verantwortung zu tragen, und das ist bisweilen auch eine Belastung. Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, dass die Firmenerben 50 Prozent ihres Privatvermögens aufwenden sollen, um die Erbschaftsteuer zu zahlen für einen Betrieb, bei dem die Mittel wohlgemerkt gebunden sind. Ich höre in letzter Zeit von immer mehr Familienunternehmern, dass sie ihren Kindern die Übertragung der Firma unter diesen Umständen nicht zumuten wollen.
Das heißt: Der baden-württembergische Familienbetrieb stirbt aus?
Zumindest schüren Schäubles Pläne den Anreiz, einfach Kasse zu machen. Kommt die Reform, werden immer mehr Unternehmer erwägen, ihre Firma meistbietend an eine Investmentgesellschaft zu verkaufen. Dann kommen unangenehme Themen wie die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Spiel und Berufsmanager, die primär auf Quartalsergebnisse und Umsatzrendite achten und weniger eine ortsgebundene Langfriststrategie verfolgen. Und ich frage mich, warum Schäuble das will und derart über den Rahmen einer zulässigen Verschonung, die das Verfassungsgericht ausdrücklich anerkennt, hinausgeht. Was glauben Sie, was ich für Briefe bekomme? Jede Woche erhalte ich Schreiben von Interessenten aus aller Welt, die meine Firma kaufen wollen. Ich lasse sie bisher von meiner Sekretärin in den Mülleimer werfen.
Sie gehören also zu denjenigen, die seine Wirtschaftskompetenz infrage stellen?
Nein. Ich halte ihn für zu klug, um solche Fehler zu machen. Meiner Meinung nach sieht er in der Erbschaftsteuer schlicht ein Instrument, um das Steueraufkommen zu erhöhen. Wenn das bei Unternehmenskindern passiert, die mit der Firma nichts zu tun haben und sich zulasten des Gemeinwohls in Luxus dem Müßiggang hingeben wollen, bin ich damit auch einverstanden. Aber nicht, wenn es um den Fortbestand des Familienunternehmens geht. Es gibt so viele Einschränkungen, die es unmöglich machen, einfach Geld aus einer Firma rauszuziehen.
Dafür ist in der Vergangenheit aber viel Privatvermögen zu Firmenvermögen erklärt und heimlich steuerfrei mitvererbt worden.
Dass dies künftig erschwert werden soll, halte ich für richtig. Für falsch halte ich, dass das Privatvermögen der Erben herangezogen werden soll, um die Steuern zu bezahlen. Das Privatvermögen ist ja schon einmal versteuert worden. Und jetzt soll aus diesem Topf ein zweites Mal geschöpft werden, um die Steuern für eine Vermögensmasse zu bezahlen, die nicht verfügbar ist. Am abenteuerlichsten finde ich Schäubles Vorschlag, dass die Erben einer gut gehenden Firma einen Kredit aufnehmen sollen, um die Steuern zu bezahlen. Wenn eine Firma in einem Jahr gut läuft, kann das im nächsten Jahr schon wieder ganz anders sein. Ein zuvor erfolgter Liquiditätsentzug oder gar Schulden können dann bedrohlich werden. Wenn es so problemlos ginge, hätte das Verfassungsgericht die Steuerbefreiung für Firmenerben einfach als mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar erklärt und verfügt, dass alle gleichermaßen Steuern zahlen müssen. Mit seiner Entscheidung einer grundsätzlichen Zulässigkeit von Steuerverschonung hat es aber ausdrücklich die besondere Schutzwürdigkeit der Familienunternehmen anerkannt.
In Baden-Württemberg legt der SPD-Mann Nils Schmid das Urteil des Verfassungsgerichts wesentlich wirtschaftsfreundlicher aus als der CDU-Mann Schäuble.
Nils Schmid hat sofort Schulterschluss mit den Familienunternehmen im Land gezeigt und gefordert, dass 100 Millionen als Untergrenze angesehen werden und nicht 20 Millionen. Schäubles Reform ist eindeutig darauf ausgerichtet, mehr Steuern zu generieren. Damit steht er im Widerspruch zu vorherigen Aussagen. Von einem „minimalinvasivem Eingriff“ kann da nicht mehr die Rede sein.
Wird die CDU das bei der nächsten Landtagswahl spüren?
Das glaube ich schon. Ich fordere Thomas Strobl als Landesvorsitzenden der CDU dazu auf, sich entschlossen für eine Änderung der Eckpunkte von Wolfgang Schäuble einzusetzen. Ich sage das im Interesse der mittelständischen Familienunternehmen in Baden-Württemberg, und er weiß, wie viele das sind.
Weil sich sonst der baden-württembergische Mittelstand bei der nächsten Wahl hinter Nils Schmid stellt?
Es gibt auch noch andere Alternativen. So will Winfried Kretschmann die Grünen derzeit als „die neue Wirtschaftspartei“ in Position bringen. Und die FDP würde als Koalitionspartner sicherlich keine existenzbedrohliche Steuerbelastung mittragen. Ich frage mich, ob der CDU auf Bundesebene klar ist, in was für eine schwierige Lage sie die baden-württembergische CDU mit den Plänen von Schäuble bringt. Und das so kurz vor einer Wahl.