Ein Plakat am Litzelstetter Ortseingang weist auf den freien Blick zur Mainau hin. Foto: Wein

In Litzelstetten soll in exponierter Lage ein Wohnheim für Asylberechtigte entstehen. Das Dorf am Bodensee ist gespalten, Rechtsradikale polemisieren, und ein Grundstückseigentümer steht besonders im Zentrum.

Konstanz - Gleich nach dem ersten Haus macht Litzelstetten eine Pause, und die Autofahrer schauen nach rechts. Über eine Wiese geht es sanft 50 Höhenmeter hinab bis zum Bodensee. Segelboote schwanken im Wind. Davor stehen Obstbäume. Rechts schiebt sich die Mainau als bewaldetes Eiland in den See.

„Am schönsten ist es eigentlich, wenn man aus der Tiefgarage herausfährt“, sagt Alfred Spicker. Der alteingesessene Litzelstetter betreibt auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Hotel Volapük: 60 Zimmer, die Übernachtung für zwei Personen ab 125 Euro in der Hauptsaison.

Der Hotelier stört sich an starrenden Asylanten

Dass der Blick demnächst durch ein Bauvorhaben verstellt sein soll, kann Spicker als Hotelier nicht egal sein. Noch weniger passt ihm, wer dort den Mainaublick genießen könnte: In drei Mehrfamilienhäusern sollen zwölf anerkannte Flüchtlingsfamilien unterkommen. Er bestehe nicht auf den Seeblick, und er habe auch nichts gegen Asylanten, sagt Spicker. „Aber ich will nicht so viele von ihnen an dieser Stelle.“ Bei schönem Wetter säßen sie vor der Tür und starrten zu seinen Gästen herüber. „Das passt sozial überhaupt nicht.“

Eigentlich steht der Name Volapük für Völkerverständigung. Ein katholischer Pfarrer namens Johann Martin Schleyer, der in Litzelstetten begraben ist, erdachte die Kunstsprache und brachte sie bis zum Jahr 1900 zu einer erstaunlichen Verbreitung. Doch diese Geschichte spielt für Spicker momentan keine Rolle. Mit zwei großen Bannern am Ortseingang macht der gut vernetzte Hotelier Stimmung gegen das Projekt und bittet an die Rezeption. Dort haben sich Touristen wie Einheimische in Listen eingetragen. Die meisten Unterschriften stammten von Litzelstettern, behauptet Spicker. „Tausend habe ich schon.“

Im voll besetzten Litzelstetter Ratssaal wagt Irene Mohn einen Witz. „Es wäre schön, wenn immer so viele Leute zu unseren Sitzungen kämen“, sagt die kommissarische Ortsvorsteherin des 4000 Einwohner großen Konstanzer Stadtbezirks. Sie hat einen heißen Abend vor sich und ist am Ende froh, dass es einigermaßen sachlich zugegangen ist. Vieles, was sie in den vergangenen Tagen im Dorf gehört habe, habe sie regelrecht entsetzt, sagt die SPD-Lokalpolitikerin. „Dieser Protest nimmt Formen an, die ich bedenklich finde.“ Da werde mit dem Schlagwort „Flüchtlingsheim mit Seeblick“ Stimmung gemacht. „Wenn so etwas für Flüchtlinge grundsätzlich nicht drin sein soll, heißt das ja nichts anderes, als dass Flüchtlinge weniger wert sind.“

Ein Häuslebauer scheitert zweimal

Tatsächlich wünscht sich der Ortschaftsrat schon lange eine Bebauung für die 120 Meter breite Baulücke am Ortseingang. Zweimal stellte ein privater Häuslesbauer einen Bauantrag. Doch aus dem Konstanzer Rathaus kam jeweils ein Nein. Planerisch handle es sich um einen Außenbereich, der als wichtiger Grünzug und Frischluftschneise gelte, hieß es.

Auf der einen Straßenseite ein Hotel, auf der anderen eine unbebaubare Wiese? Der Eigentümer wollte dies nicht glauben, zog vor Gericht, verlor und könnte nun zusammen mit zwei Grundstücksnachbarn doch noch Erfolg haben. Nicht für Eigen-, wohl aber für Flüchtlingsheime gilt nämlich dank einer Neuregelung im Baugesetzbuch eine Ausnahmeregelung. Demnach dürfen solche Projekte ausnahmsweise auch im Außenbereich realisiert werden, sofern er an die bestehende Bebauung anschließt.

Die Ortsvorsteherin ist entsetzt

Einer der drei Grundstückseigentümer ist Harald Nops. Auch er ist ein alteingesessener Litzelstetter. Nops ist aber auch Verwaltungsdezernent im Landratsamt und als solcher für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Selbst Irene Mohn hält diese Kombination für unglücklich, andere sprechen von einem „Gschmäckle“. Dass sich Nops mit dem Bauprojekt quasi selbst Amtshilfe leiste, sein Herrschaftswissen um eine eher unbekannte Fußnote im Baugesetzbuch nutze und damit ein bisher unbebaubares Grundstück versilbere, weist der Betroffene jedoch weit von sich. Es gehe ja gar nicht um sein Geschäft, die Erstaufnahme, sondern um die Anschlussunterbringung von Asylberechtigten. „Dafür ist die Stadt zuständig“, sagt Nops.

Der Dezernent als „Krisengewinnler“?

In den sozialen Foren im Internet spielen solche feinen Unterschiede keine Rolle. Als „skrupelloser Krisengewinnler“ muss sich der Dezernent dort beschimpfen lassen. Er betreibe „Vetternwirtschaft im großen Stil“, und dass die untere Naturschutzbehörde im Gegensatz zur Stadt Konstanz die Bebauung für unproblematisch halte, sei kein Wunder. Schließlich sei sie ebenfalls im Landratsamt angesiedelt. Sogar nächtliche Drohanrufe erhielt Nops. Auf einer rechtsradikalen Homepage waren seine Kontaktdaten veröffentlicht worden. Bei seiner Suche nach Asylunterkünften für das Landratsamt habe er schon einiges erlebt, sagt der Dezernent. Doch das habe ihn vergleichsweise kaltgelassen. „Es ist ein Unterschied, ob man dienstlich oder privat angegangen wird“, gesteht der 53-Jährige.

Der Ortschaftsrat bemüht sich derweil um einen Kompromiss. Vielleicht sei es möglich, auf dem Gelände integratives Wohnen zu verwirklichen, so dass dort nicht nur Flüchtlingsfamilien angesiedelt würden, meint Mohn. Die drei Grundstückseigentümer wären damit wohl einverstanden, zumal dies dem Wert der Grundstücke zuträglich wäre. Doch dann würde die Ausnahmeregelung des Baugesetzbuches nicht mehr greifen.

Proteste gibt es auch ohne Seeblick

Für den Konstanzer Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn (parteilos) liegt der Fall klar. Er will das Flüchtlingsheim mittels eines Bebauungsplans verhindern. Darin werde er die Nichtbebauung festschreiben. Ob das gerichtsfest ist, bleibt abzuwarten. „Es gibt in Litzelstetten bessere Standorte“, lautet sein Befund. Ein Flüchtlingsheim im Ortsteil sei in Planung, ein anderes erstellt die städtische Wohnbaugesellschaft (Wobak) gerade im Nachbarort Egg. Proteste gab es allerdings auch dort – ganz ohne See- und Mainaublick.