Hundedame Leni wohnt mittlerweile in Köln und Stuttgart. Sie kaut gerne Socken und isst Schuhe, sie schnarcht und spricht nur sehr schlecht Deutsch. Foto: Setzer

Es sollte ein ganz normaler Urlaub werden. Sonne, Meer, Strand und gutes Essen. Dann kam doch alles anders. Unser Autor traf eine Straßenhündin.

Den Weg nicht gefunden, dafür aber eine verlassene Bergstraße und plötzlich auch eine kleine Hündin. Völlig verwirrt, abgemagert und halb verdurstet stürzte sie mit letzter Kraft auf die Straße vors Auto. Der Unterschied zwischen Selbstmordversuch und Hilfeschrei war kaum auszumachen. Ihr Fell war stumpf, übersät mit Läusen, die Rippen einzeln sichtbar, ständig knickten ihre Beine um. Sie sah aus wie Goofy, nur eben ohne Lebenslust. Dann brach sie am Straßenrand zusammen - und „liegen lassen“ war keine Option. „Ein Tag noch, höchstens. Dann wäre sie tot gewesen“, sagt Sotiris in fast beängstigender Beiläufigkeit, als er das verstörte Hundemädchen inspiziert.

Er schiebt ihr eine Tablette tief in den Rachen, äfft ihren doofen Blick dabei nach, gibt ihr nach überstandener Prozedur einen Klaps auf den dürren Hintern: „In zwei bis drei Tagen sollte sie wieder einigermaßen auf dem Damm sein.“ Sotiris ist Tierarzt mit einer kleinen Praxis in der südostkretischen Stadt Irapetra. „Berühmt für nichts und auch nicht sonderlich schön“, steht im Reiseführer, und das ist noch nicht einmal gelogen. Aber wahrscheinlich kannten die lediglich Sotiris nicht. Eigentlich wollte der Mittfünfziger etwas mit seiner Mutter unternehmen - aber Notfälle kannten noch nie einen guten Zeitpunkt. Weil beide eh gerade in der Nähe waren, beschloss er, einen Hausbesuch am späten Sonntagnachmittag einzulegen, um nach der Straßenhündin zu sehen.

„Erste Hilfe, erst mal. Dann können wir immer noch schauen, wie’s weitergeht“, sagt Jutta Tewes, eine Tierschützerin aus dem Ruhrgebiet, die seit einigen Jahren schon auf Kreta lebt und deren Tierliebe gottlob im Internet publiziert ist. Sonst hätte man sie weder finden, noch um Hilfe bitten können. Die 51-Jährige hatte nicht nur den Tierarzt alarmiert, sondern der kleinen Hundedame auch noch eine vorübergehende Bleibe beschafft - bei ihrem Bekannten Kuriakos, einem kauzigen Griechen, Mitte fünfzig mit kleinem Häuschen, großem Garten und geräumiger Terrasse. Denn viele Hoteliers auf Kreta dulden keine Tiere auf ihrem Anwesen - schlecht für Touristen, denen unverhofft ein Straßenhund ins Leben und in den Urlaub tölpelt.

Fortan heißt sie Leni

„Na gut, eine Nacht kann sie bleiben“, sagt Kuriakos, lächelt und bringt Eiskaffee für alle, die auf zwei Beinen gehen. Seine vier Katzen haben auch nichts gegen die neue Mitbewohnerin einzuwenden, teilen mit dem Hundemädchen sogar bereitwillig Fressen und Wasser. Zum vermutlich ersten Mal kann sie ohne Angst einschlafen. Warum auch immer: Fortan heißt sie Leni. „Ich will gar nicht wissen, was die Kleine durchgemacht hat“, sagt Jutta Tewes. Als sie anfängt, von der Insel zu erzählen, auf der man lieber nicht in Mülltonnen schaut, weil jemand achtlos Hundewelpen darin entsorgt haben könnte, wünscht man sich, sie würde sofort wieder damit aufhören.

Doch da sind Geschichten von Hunden, auf die geschossen wurde, die an Ketten in der Hitze verdursten oder zum Zeitvertreib mit Stöcken halb totgeschlagen, an Seilen hinter Autos hergezogen oder erhängt wurden. In Juttas Augen blitzt irgendetwas zwischen Hass und Sorge. Sie weiß gar nicht, wie viele Hunde sie schon gerettet hat. In ihrem kleinen Häuschen mit Garten versorgt sie ein Rudel mit 18 Hunden - jeder davon konnte dank ihr eine traurige Geschichte hinter sich lassen. Doch auch sie hat dort keine Kapazitäten für weitere Tiere. „Das ist ein Fass ohne Boden hier“, stöhnt sie und winkt ab. Leni zuckt derweil im Schlaf. In der Tat: Wer am Straßenrand schaut, kann ständig herrenlosen Tieren dabei zusehen, wie sie sich Essen aus Mülltonnen besorgen - oder ungeniert Dinge tun, die’s in ähnlicher Form nur im Bezahlfernsehen gibt. Viele Tierschutzorganisationen führen auch deshalb regelmäßig Kastrationsaktionen auf Kreta durch, um die unkontrollierte Paarung von Straßen- und Haustieren einzudämmen.

Laut Schätzungen der Tierschutzorganisation „Ärzte für Tiere“ müssten allerdings 70 Prozent der Straßentiere kastriert werden, um ansatzweise Herr der Lage zu werden. Denn noch mehr tote Hunde und Katzen braucht keiner, und die wenigen Tierheime auf Kreta sind jetzt schon überfüllt mit Tieren, die kein Zuhause finden. Weder Staat noch die Gemeinden kommen ihrer Verantwortung nach, die durchaus vorhandenen Gesetze auch umzusetzen. Und gleichermaßen wird es Tierärzten und -schützern gesetzlich erschwert, echte Hilfe zu leisten. Hunde haben dort weniger Lobby als die FDP in Brandenburg. Wo Elend lauert, ist allerdings auch meist ein Geschäftsmodell nicht weit. Denn Jungtiere sind leicht ins Ausland zu vermitteln - gegen entsprechendes Honorar. Mancher Tierschützer, den die Google-Suchanfrage ausspuckt, fungiert eher als professioneller Welpenhändler. Leni nutzt dieser Umstand allerdings nichts: Wer älter als sechs Monate ist, gehört in diesem Business bereits zu den Ladenhütern.

Liebe verfolgt selten rationale Gesichtspunkte

Die Halbwertszeit von Topmodels ist länger. Langsam steigt die Gewissheit, die kleine Hündin auf keinen Fall hierlassen zu können, weil man sie sonst auch gleich hätte am Straßenrand elend verrecken lassen können. Auch wenn der Deutsche Tierschutzbund ausdrücklich davon abrät, Tiere zu adoptieren, unter anderem weil auch deutsche Tierheime voll von herrenlosen Hunden sind. Dies allerdings einer Hundedame zu erklären, die gerade zum ersten Mal in ihrem Leben Vertrauen fasst, plötzlich in Gesellschaft schnarcht und langsam die Angst ablegt, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Denn erstens sind Hunde manchmal ungeheuer begriffsstutzig, zweitens verfolgt Liebe selten rationale Gesichtspunkte, und drittens war „Deutschland den Deutschen“ noch nie ein stichhaltiges Argument in einer vernünftigen Diskussion.

Der Rest ist relativ einfach, verursacht lediglich hohe Auslandstelefon- und Roaming-Kosten und die Gewissheit, dass die Datenkraken Google und Facebook durchaus auch ihre Vorteile haben können: Gleich mehrere Tierfreunde helfen tatkräftig und unentgeltlich dabei, Leni eine Zukunft zu bescheren. Nach mehr als einer Woche fällt es Kuriakos schwer, Leni und die allabendliche Runde bei selbst gekochtem kretischem Essen auf seiner Terrasse aufzugeben. Jutta Tewes auch. Sie wird Leni zwei Tage später am Flughafen in Heraklion zwei Flugpatinnen übergeben. Dann fängt für Leni der Spaß des Lebens an. Vom Ernst hatte sie genug. Denn am Frankfurter Flughafen warten zwei Leute auf sie, die eigentlich nur Urlaub machen wollten. Dort ist jetzt ihr neues Zuhause.

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Infos zu der Einfuhr von Tieren

Innerhalb der EU dürfen nur „gechipte“ Tiere eingeführt werden. Das Tier wird untersucht, geimpft und bekommt dann ein Mikrochip unter die Haut am Hals geschossen. Dazu gibt’s einen „European Dog Passport“ mit Nachweis über die ärztliche Behandlung, Impfung, Namen und Rasse des Tiers, einen Strichcode, der als Gegenstück zum Chip funktioniert, und Auskunft über den Halter des Tieres. Das zusammen kostet etwa auf Kreta mit viel Charme und einem netten Tierarzt circa 70 Euro.

Einige Fluglinien befördern keine Tiere, unter anderem auch Germanwings (nur Hunde und Katzen, die unter acht Kilo wiegen, dürfen in der Kabine befördert werden). Wer nicht umbuchen kann, muss in solchen Fällen Flugpaten finden, da Tiere nicht allein reisen dürfen. Mit zum Beispiel Agean Airlines kostet der Hundetransport von Heraklion nach Frankfurt circa 80 Euro, zuzüglich einer Hundebox, die allerdings selbst organisiert werden muss. Vor Ort fällt natürlich die Hundesteuer an.

www.hundehilfe-inca.org www.flugpate.com www.flugpate.org