Straßenfußball ist in Brasilien ein beliebter Sport – nicht nur, wenn gerade eine Weltmeisterschaft ausgetragen wird Foto: dpa

Straßenfußball ist in Brasilien ein Mythos. Vanessa Caiulo und Erdan Etemi vertraten mit ihrem Team Deutschland beim Fifa- Festival Football for Hope und zehren noch immer von den außergewöhnlichen Tagen in Rio.

Schwäbisch Gmünd - Wenn es um Fußball geht, brauchen Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt nicht viel zu ihrem Glück. Ein Ball reicht. Und im Straßenfußball sehen viele Ästeten sogar die wahre Schule des Ballgefühls. Dessen Heimat war und ist – auch wenn er gelegentlich als Strandfußball daherkommt – Brasilien. Fußballhelden wie Pelé, Zico oder Ronaldinho hatten auf den staubigen Plätzen der Favelas gezaubert. Und so wundert es nicht, dass sich während der WM 2014 nicht nur die besten Nationalmannschaften der Welt, sondern auch die Straßenfußballer zu einem Leistungsvergleich getroffen hatten.

Unter den 32 von der Fifa ausgewählten Organisationen war auch das Straßenfußballprojekt Kickfair mit Sitz in Ostfildern. Und mittendrin Vanessa Caiulo und Erdan Etemi aus Schwäbisch Gmünd. Zugegeben, es ist schon ein paar Wochen her, seit Philipp Lahm und die Seinen den Pokal in die Höhe gestemmt haben, doch im Kopf und in den Beinen von Vanessa und Erdan dreht sich immer noch alles um die Zeit in Brasilien.

Erdan Etemi, 18 Jahre, stammt aus dem Kosovo und ist seit zwei Jahren Youth Leader beim Kickformore-Standort Schwäbisch Gmünd. Mit einem mulmigen Gefühl ist er am 1. Juli nach Rio gereist. Sein erster Flug überhaupt. Und dann gleich so weit weg von zu Hause. Die Bedenken lösten sich schnell auf. „Ich habe noch nie so freundliche Menschen erlebt“, sagt Erdan Etemi. Beim Kulturprogramm der anderen Teams hat er viel gelernt, über die Geschichte von Indien, die Kultur in Vietnam, und er hat sich gefreut, dass das Team Peres Center for Peace aus israelischen und palästinensischen Jugendlichen bestand.

Hier zeigte sich wieder einmal, dass sich durch den Fußball eine Kommunikation, eine Nähe schaffen lässt, die sonst gar nicht möglich wäre. „Wir haben für Deutschland die kulturelle Vielfalt unseres Teams in der Präsentation dargestellt“, sagt der angehende Abiturient. Ausgetragen wurde das Fifa-Festival Football For Hope in Rios Stadtteil Caju in einem Stadion mit Platz für 1500 Zuschauer. Respektvoller Umgang, flache Hierarchien, keine Führungsspieler – das zeichnet den Straßenfußball aus.

Das deutsche Team verpasste das Halbfinale um einen Punkt. Der Turniersieg ging an die Kapverdischen Inseln. Gespielt wurde nach den Regeln des football3 – ohne Schiedsrichter, sondern mit einem Mediator, der die Teams beim Verhandeln der Regeln und bei der Vergabe der Fair-Play-Punkte begleitet und bei Konflikten vermittelt. Es geht nicht um Zauberfußball. Die Botschaft ist eine andere: Die jungen Menschen sollen Kompetenzen und Fähigkeiten entwickeln, die sie brauchen, um einen positiven Lebensentwurf zu entwickeln. Für den Sieger gibt es drei, für den Verlierer einen Punkt, in jedem Team muss mindestens ein Mädchen spielen, und die Tore der Jungs zählen nur, wenn ein Mädchen auch getroffen hat.

Diese Regel konnten Vanessa und Erdan beim Duell gegen das eher machogeprägte Brasilien nicht durchsetzen – man einigte sich darauf, dass es reicht, wenn ein Mädchen eine Vorlage zum Tor gibt. Deutschland gewann 2:0. Nicht ganz so deutlich wie das 7:1der DFB-Elf beim Halbfinale. Richtig freuen konnten sich die deutschen Straßenfußballer über den Sieg nicht. „Die Menschen waren zutiefst geschockt, fast traumatisiert“, erzählt Erdan Etemi, „und es war gut, dass Brasilien nicht früher ausgeschieden ist.“ Das gute Gefühl wäre sonst gekippt.

Es gab so viele magische Momente rund um das Festival, dass es Vanessa schwerfällt, einen Höhepunkt herauszuheben. Sie war hoch oben auf dem Zuckerhut, mit dem Blick auf die Copacabana, genoss das tolle Essen und war im Maracanã-Stadion in Rio, als Deutschland gegen Frankreich 1:0 gewonnen hatte. Die gebürtige Italienerin hat aber auch erfahren, dass für Schulen oder Jobs kein Geld für die Jugendlichen da war, dass man in Rio stattdessen Seilbahnen gespannt und Aussichtsplattformen gebaut hat, damit die Touristen in die Häuschen der Armen schauen können, ohne ihnen auf der Straße begegnen zu müssen.

Die 17-Jährige spielt Fußball bei Normannia Gmünd. Das Kicken musste sie bei Kickfair also nicht lernen. Dafür hat sie sich wichtige Schlüsselkompetenzen angeeignet wie Konfliktmanagement, Kommunikationsfähigkeit und Organisation. „Früher war ich extrem schüchtern und hatte vor Präsentationen in der Schule immer große Hemmungen“, sagt Vanessa.

Jetzt ist sie mit Selbstvertrauen im Gepäck aus Brasilien zurückgekehrt und hat zusammen mit anderen Youth-Leadern Ende Juli das Kickformore-Festival in Schwäbisch Gmünd für 150 Jugendliche organisiert. Schirmherr war Fredi Bobic, Sportdirektor des VfB Stuttgart und Botschafter der Laureus-Stiftung. Der Stürmer hat früher selbst auf der Straße gekickt. „Das soziale und faire Miteinander, zu merken, dass man hier ernstgenommen wird und mitgestalten kann, das macht Kickformore zu einem besonderen Straßenfußball-Projekt. Das will ich unterstützen“, sagte Bobic.