Anwohner, Bordellbetreiber, Foto: Ina Schäfer

Die Menschen im Leonhardsviertel fühlen sich von der Politik vernachlässigt. Dagegen haben sie am Samstag protestiert – mit einem Schmuddel-Bankett.

S-Mitte - Am Morgen sah es noch so aus, als würde das ganze Bankett ins Wasser fallen, Nieselregen und Wolken am Himmel verhießen nichts Gutes. Doch jetzt strahlt die Sonne durch die Gasse, in der eine gut 20 Meter lange Tafel aufgebaut ist. Eine festlich geschmückte Tafel mit roter Bordüre und bunten Rosenblättern verziert. Auf Bierbänken und an Stehtischen drängen sich die Besucher, essen und trinken, während in der Einfahrt neben der Weinstube Fröhlich der Caterer auf dem Grill Nachschub brutzelt. Ein ganz normales Straßenfest eigentlich.

Erst als Toba Borke und Pheel die kleine Bühne betreten, die vor dem Lokal „Zum Schatten“ aufgebaut ist, ist doch zu merken, dass man sich auf einem ganz besonderen Fest befindet. Toba Borke ist Freestyle-Rapper, das heißt er rappt keine vorgefertigten Texte, sondern erfindet die Reime spontan. Die Beats dazu produziert sein Bandkollege Pheel mit dem Mund. Wie immer bittet Toba Borke das Publikum, drei Wörter zu nennen, um die er seine Reime spinnt. „Geld“ schreit einer, sein Tischnachbar ruft: „Strapse“, wieder ein anderer: „Oskar“. Geld, Strapse, Oskar: Wir befinden uns auf einem Straßenfest in der Leonhardstraße.

An der Tafel sitzen Geschäftsleute neben Prostituierten

Besagter und besungener Oskar ist ein Leonhardsviertel-Urgestein. Während des Festes blickt er ab und zu aus dem Fenster seiner Uhu-Bar, als wäre er selbst erstaunt, was dort vor seiner Tür gerade geschieht.

Der Titel des Festes, das an diesem Samstag erstmals veranstaltet wird, ist Schmuddel-Bankett und sicherlich ironisch zu verstehen. „Herzlich willkommen im Schmuddel der Stadt“, sagt Joe Bauer auf der Bühne. Der Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten ist einer der Organisatoren und sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis.

An der Tafel sitzen Bewohner des Viertels, Geschäftsleute, Interessierte neben Bordellbetreibern und Prostituierten, ein paar Kinder turnen vor der Bühne herum – vom titelgebenden Schmuddel ist an diesem Tag so rein gar nichts zu spüren. Der Zweck des Festes scheint wunderbar aufzugehen, auch wenn Joe Bauer sagt: „Wir möchten gar nicht politisch und ideell sein, wir möchten durch das Fest einfach auf die Altstadt aufmerksam machen, damit sie nicht noch mehr in Vergessenheit gerät.“ Schmuddel ist also auch als Seitenhieb auf die Stadtverwaltung zu verstehen.

Die Altstadt soll urban und kulturell aufgewertet werden

„Die Leonhardstraße ist nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, viele Entscheider waren noch nie hier“, sagt Joe Bauer. Ein schmuddeliges Viertel, das es zu meiden gilt, von diesem Ruf soll die Altstadt befreit werden und zwar durch Feste wie dieses – und nicht durch Polizeipräsenz oder Vorschriften, finden die Veranstalter. Hier solle Publikumsverkehr herrschen, eine urbane und kulturelle Aufwertung der Altstadt ist das Ziel. „Wir müssen eine Symbiose aus beidem schaffen“, sagt Joe Bauer – ein Nebeneinander von Prostitution und Nachtleben. „Wir brauchen eine gute Mischung aus Milieu und Nicht-Milieu“, sagt auch die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle.

Die Läden abseits des Rotlichts gibt es auch heute schon – zumindest in der näheren Umgebung der Leonhardstraße: Kiste, Bix, Ratzer Records, Jakobstube. Leider wissen das manche gar nicht. Auch dafür soll das Fest da sein: Menschen ins Viertel zu locken, die sonst vorbeiziehen.

Ein wenig später erinnert Peter Grohmann an vergangene Zeiten, als noch Handwerkerbetriebe und Geschäfte mitten im Milieu ansässig waren und natürlich an den legendären Club Voltaire, den er vor gut 50 Jahren mitgegründet hat und in dem heute die Bierorgel beheimatet ist.

„Wie schön wäre es, wenn wir dieses Fest regelmäßig machen könnten – ähnlich wie das Bohnenviertelfest, nur unkommerziell“, sagt Heinrich Huth, Wirt der Jakobstube gleich um die Ecke. Auch Joe Bauer will weiter die Werbetrommel für seine Altstadt rühren: „Sonst kommen hier irgendwann die Investoren und die Bagger – und dann heißt das nicht mehr Städtle sondern Leonhardshöfe.“