Die „Rumpelstilzchen“ genannte Mini-Straßenbahn macht Kindern bis heute Spaß – jeweils an den ersten vier Sonntagen in den Sommerferien. Unsere Bildergalerie lässt Ausschnitte der Geschichte und der Gegenwart des Hauses Revue passieren. Foto: Archiv Monika Johna

Gebaut worden ist es vor 75 Jahren als Waldheim für SSB-Mitarbeiter, später hausten die „Schaffnermaiden“ unter kärglichen Bedingungen in dem Gebäude auf der Waldau. Heute ist das Straßenbahner-Waldheim beliebter Veranstaltungsort.

Degerloch - Gibt es irgendwo in der Gegend ein größeres Fest oder eine Tagung, ist das SSB-Veranstaltungszentrum Waldaupark eine gute Adresse: Bis zu 600 Menschen können sich dort treffen, um miteinander zu arbeiten, zu essen oder zu feiern. Vereine wie der Degerlocher Frauenkreis haben im großen Saal schon ihre Jubiläen abgehalten, und immer wieder ist das Tagungszentrum Schauplatz für Schallplatten- und Parfumbörsen. Sogar ein eigener Hochseilgarten gehört mittlerweile zum Gelände am Friedrich-Strobel-Weg.

Naherholung außerhalb beengter Arbeiterwohnungen

Dabei ist die Anlage eigentlich für einen ganz anderen Zweck gegründet worden – nämlich als Waldheim für die Angestellten der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB). Naherholung in der Natur, außerhalb der beengten und düsteren Arbeiterwohnungen – das sollte die Anlage wie so viele andere ihrer Art in Stuttgart bieten, als sie am 29. April 1939 eingeweiht wurde. Einen Vorgänger hatte es schon gegeben, bereits 1925 hatte ein eigens von Straßenbahnern gegründeter Verein ein Waldheim auf dem Killesberg eingerichtet. Jenes Gelände im sogenannten Akazienwäldchen allerdings hatten die SSBler Ende 1937 räumen müssen, weil dort 1939 die Reichsgartenschau veranstaltet werden sollte.

Groß war also die Freude, dass der Umzug auf die Waldau geglückt war. Zumal das neue Haus ein echtes Prachtstück war. „Die Straßenbahner haben einen guten Tausch gemacht“, heißt es in den Annalen der SSB. Mit dem Gebäude, das über eine Grundfläche von 2400 Quadratmeter verfügte, war viel Platz für Veranstaltungen. Allein der große Saal war ausgelegt für 1250 Personen – und man hätte sogar noch größer gebaut, wäre den Planern nicht eingefallen, dass die Straßenbahner in Schichten arbeiten und deshalb nie alle gleichzeitig zu Veranstaltungen kommen.

Die Ausstattung war vom Feinsten

Dazu gab es alles, was dem Freizeitvergnügen diente: eine Gastwirtschaft, eine Kegelbahn und einen Spielplatz für Kinder. Sogar die Ausstattung war vom Feinsten. Möbel, Stühle und Lampen waren eigens entworfen und gebaut worden, zum Teil von den Mitarbeitern in der betriebseigenen Hauptwerkstatt in Ostheim. Die Glasfenster zeigten Motive aus der SSB-Welt, und an die Längswände wurden die Wappen der Gemeinden gemalt, die das Unternehmen mit Bussen oder Straßenbahnen bediente. „Wir verstehen also auch die künstlerische Arbeit zu leisten und nicht nur Straßenbahnwagen zu flicken“, heißt es dazu in SSB-Aufzeichnungen.

Wie es sich für ein Straßenbahner-Waldheim gehört, war das Gelände an das öffentliche Nahverkehrsnetz angeschlossen. Zwischen 1931 und 1939 verkehrte die Straßenbahnlinie „Sp“ zwischen Ruhbank, Degerloch, Georgiiweg und dem Wasserturm an der Jahnstraße. Der Abzweig der Gleise an der Ruhbank und die ersten paar Meter im Georgiiweg waren sogar noch bis Mitte der 1980er-Jahre vorhanden.

Zweckentfremdung nach der Einweihung

Die Freude über das schöne, neue Haus währte indes nicht lange, denn schon bald nach seiner Einweihung wurde das Waldheim zweckentfremdet. 1940 zogen 150 „Schaffnermaiden“ in den Bau ein. Der Krieg warf seine Schatten, die Männer waren an der Front, und die Frauen mussten den Schaffnerdienst in den Bahnen übernehmen. Der große Saal wurde zum Schlafsaal umfunktioniert, wo die Frauen bei wenig Privatsphäre untergebracht wurden. Kurz vor Ende des Krieges diente das Haus sogar kurzfristig als Alten- und Pflegeheim.

1947 beschlagnahmte die amerikanische Armee das Waldheim, erst nach zähen Verhandlungen wurde es zurückgegeben – an das „Sozialwerk der Stuttgarter Straßenbahnen“, den Nachfolger des alten Waldheimvereins. Weil der große Saal als einer der wenigen Veranstaltungsorte in Stuttgart im Krieg unbeschädigt geblieben war, fanden danach oft Musikaufführungen statt. Auch bekannte Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler gastierten dort.

Anno 1950 kam das Rumpelstilzchen

Im Laufe der folgenden Jahre wurde auf dem Waldheimgelände immer wieder an- und umgebaut. 1950 etwa verlegte die SSB Gleise für das sogenannte Rumpelstilzchen, eine Mini-Straßenbahn und Kinderattraktion, die es schon beim ersten Waldheim auf dem Killesberg gegeben hatte. 1965 wurde das Waldheim erweitert, 1976/77 übernahm die SSB das Waldheim vom Sozialwerk. 1983 nahm die SSB einen Brand zum Anlass, um die Anlage komplett zu modernisieren und zu erweitern, 1988 schließlich wurde der baufällige große Saal abgerissen und Anfang der 1990er-Jahre durch einen Neubau ersetzt.

Heute hat sich das SSB-Veranstaltungszentrum als Tagungsort auch außerhalb des Verkehrsunternehmens etabliert. Den Mitarbeitern der SSB aber ist ihr Waldheim geblieben, es wird bis heute für interne Veranstaltungen genutzt. Eine Errungenschaft hat ebenfalls Bestand: das Rumpelstilzchen. Die Bahn ist noch in Betrieb und dreht an den ersten vier Sonntagen in den Sommerferien ihre Runden für die Kinder der Betriebsangehörigen. So bleibt auch die nächste Generation von Straßenbahnern dem Waldheim verbunden.