Tod auf den Schienen zwischen Sonnenberg und Riedsee – im Februar 2012 wurden hier zwei Gleisbauarbeiter von einer Stadtbahn überfahren. Foto: dpa

Die Fahrer der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) haben ein düsteres Jahr hinter sich – sie konnten allerdings auch so manchen Unfall verhindern.

Stuttgart - Es ist immer eine Frage des Blickwinkels: Ist die Stadtbahn gefährlich – oder sind Fußgänger und Autofahrer einfach nur leichtsinnig unterwegs? „Passen Sie auf die Frau da rechts auf“, sagt der Fahrlehrer im Cockpit der Stadtbahn. Reaktion: Den Fahrhebel in der linken Hand auf unter null zurückziehen, mit dem rechten Fuß die Warnklingel betätigen. Die ältere Frau mit dem Regenschirm wird von ihrer Begleiterin gerade noch davon abgehalten, spontan über die Gleise zu laufen. Sie hatte die Stadtbahn nicht gesehen.

Ein Zwischenfall an der Haltestelle am Erwin-Schoettle-Platz in Heslach, im Selbstversuch erlebt. Einer, der nicht in die Statistik typischer Unfälle mit Stadtbahnen auf Gleisüberwegen auftauchte. Auch nicht der Fall eines Passanten mit Aktentasche, der im Bereich der Liederhalle fast vor eine Fahrschul-Stadtbahn gelaufen wäre. Der Fahrlehrer hatte vorher um ein Monatsgehalt gewettet, dass der Mann die Bahn die ganze Zeit nicht bemerkt hatte – und ließ den Fahrschüler bremsen. Täglich kommt es zu Beinaheunfällen – die dank einer richtigen Reaktion oder aus purem Glück folgenlos bleiben.

Doch nicht immer: Vier Verkehrstote auf Gleisüberwegen im vergangenen Jahr, die Zahl von 82 Stadtbahnunfällen 2011 bereits im November 2012 übertroffen. Die Fahrer der 164 Stadtbahnwagen blicken auf ein düsteres Jahr zurück – mit dramatischen Unfällen. Und auch wenn in der Überzahl der Fälle die anderen Verkehrsteilnehmer die Unfälle verursacht hatten – nicht immer waren sie völlig schuldlos.

SSB-Fahrer beschworen einen neuen Trend herauf

Der 46-jährige Fahrer einer Stadtbahn U 7 beispielsweise. Am 13. Februar war er in Ostfildern-Scharnhäuser Park Richtung Nellingen unterwegs, als er die Geschwindigkeit seines Vordermanns falsch einschätzte. An der Haltestelle Kreuzbrunnen fuhr er voll auf den gelben Zug der Linie U 8 auf. Es gab drei Leichtverletzte und 500.000 Euro Schaden. Oder der 33-Jährige, der am 1. August in der Neckarstraße im Stuttgarter Osten über eine Kreuzung rollte und das Haltesignal übersah und mit einem Mercedes-Fahrer kollidierte. Ein Leichtverletzter, 35.000 Euro Schaden. Oder die 45-Jährige, die in der Hohenheimer Straße das Heck eines Volkswagens demolierte.

Ob schuldig oder machtlos – das Risiko lauert überall auf den 253 Gleiskilometern. Auf dem Waldstück hinauf zur Haltestelle Ruhbank unterm Fernsehturm in Degerloch, dort wo ein Stadtbahnfahrer fern von Autos und Passanten richtig beschleunigen kann, tauchte am 3. März um 20.54 Uhr plötzlich ein Betrunkener mit 2,16 Promille in der Dunkelheit auf den Schienen auf. Der 24-jährige Fahrer konnte gerade noch bremsen. Am 30. April riss eine Sturmböe am Cannstatter Kursaal einen Bauzaun um, der vor eine Stadtbahn fiel. Der 38-jährige Stadtbahn-Fahrer konnte mit einer Gefahrenbremsung noch das Schlimmste verhindern – allerdings erlitt unter den Fahrgästen eine 72-jährige Frau leichte Blessuren.

Der einstige SSB-Fahrlehrer Manfred Scheuermann hatte schon früh vor Stuttgarter Autofahrern gewarnt, die verbotenerweise abbiegen wollten – ohne Blinker, da ja verboten. Die SSB-Fahrer reagierten richtig – beschworen aber einen neuen Trend herauf: „Es gibt mehr Verletzte im Innenraum“, so Scheuermann. Denn es gab mehr Gefahrenbremsungen. Im letzten Jahr, am 30. März, wurden eine 81-jährige Frau und eine 78-jähriger Mann in einer Stadtbahn in Weilimdorf schwer verletzt, als ein Fußgänger mit Musik im Ohr unachtsam über die Gleise lief. Der Stadtbahnfahrer rettete ihn mit einer Vollbremsung. Der Dank fiel recht kurz aus: Der etwa 20 bis 30 Jahre alte Passant ging einfach weiter.