Einer von vielen Pausa-Künstlern: Andreas Felger, hier mit einem von ihm entworfenen Stoff Foto: epd-Suedwest

Der Name Pausa steht für Glanz und Elend schwäbischer Textilproduktion. Er steht aber auch für den Willen, schöne Dinge in einer schönen Fabrik herzustellen. Fast jeder kennt die Stoffe aus Mössingen – doch wird die Bedeutung von Pausa erst allmählich publik.

Mössingen - Nach Mössingen muss man müssen. Anziehungskraft entwickelt das Städtchen südlich von Tübingen nur bedingt. Zwar wirbt es für seine Blumenwiesen, doch bekannter ist es für einen Bergrutsch, der hier in der Nähe abging. Dabei findet nicht einmal das Auge Halt.

Die meisten Besucher lassen denn auch das ausgeschilderte „Pausa-Quartier“ links liegen. Die Textilfirma gibt es ja nicht mehr, seit sie kurz nach der Jahrtausendwende pleiteging. Wer hier trotzdem verweilt, steht vor blinden Fenstern. Lediglich die Tonnenhalle, die wegen ihrer Dachform so heißt, wurde aufwendig hergerichtet und beherbergt heute die Stadtbücherei. Ansonsten verströmt das Areal den Charme der 70er.

„Beachten Sie den eleganten Schwung der Ausrüstungshalle“, sagt wie zum Trotz Museumschef Hermann Berner und zieht mit der Hand die Umrisse eines Gebäudes nach. Der Kulturwissenschaftler öffnet so manchem Besucher die Augen, denn bei näherem Hinsehen entpuppt sich Pausa als etwas, um das viele Städte Mössingen beneiden: als ein lupenreines Bauhaus-Ensemble.

Den Mitarbeitern eine schöne Umgebung schaffen

Geplant hat es in den 50er Jahren der bedeutende Architekt Manfred Lehmbruck. Er lebte zeitweise in Stuttgart und hat unter anderem das Stadtbad Feuerbach gebaut.

Wer die ehemaligen Verwaltungsräume von Pausa begeht, wer hinwegsteigt über die Designermöbel früherer Jahrzehnte, der begreift die Absicht der Eigentümer: „Sie wollten für die Mitarbeiter eine Umgebung schaffen, die schön ist“, sagt Dieter Büchner vom Landesamt für Denkmalpflege, das die Firma als „Sachgesamtheit von besonderer Bedeutung“ unter Schutz gestellt hat.

Schon am Gebäude sollte man die künstlerische Kompetenz erkennen. Aber auch am Detail: So hat Pausas Hausdesigner, der Stuttgarter Grafik-Pionier Anton Stankowski, eine eigene Schrift für das Unternehmen entwickelt. Überall sollte man den Pausa-Stil erkennen – bis hin zur Tragetasche und zum Streichholzbriefchen. Heute nennt man so etwas Corporate Identity.

Die wahrscheinlich größte Stoffsammlung Europas

Der eigentliche Schatz der Firma aber, die zu ihren Hochzeiten 600 Beschäftigte hatte, liegt gefaltet, gelüftet und in Pappschachteln sortiert im Keller. Rund 60 000 Muster für Dekorationsstoffe hat die Firma hinterlassen: die wahrscheinlich größte Stoffsammlung Europas. Hinzu kommen Musterbücher, Folien, Fotografien, grafische Entwürfe – darunter Arbeiten von Weltgeltung.

Heute so berühmte Künstler wie HAP Grieshaber, Piero Dorazio oder Willi Baumeister haben regelmäßig für die Textilfirma gearbeitet. Rund 20 Designer waren außerdem fest angestellt und entwarfen ständig neue Druckmuster.

Einer von ihnen ist der Maler und Bildhauer Andreas Felger. Der gebürtige Mössinger hat bei Pausa das Handwerk des Musterzeichners erlernt, ehe ihn Vorstandschef Willy Häussler, der einen Riecher für Talente hatte, zum Kunststudium nach München schickte.

„Ich habe wohl Hunderte Stoffe entworfen“, sagt der heute 80-Jährige, der seine Wurzeln nicht verhehlen kann – und auch gar nicht will. „Schauen Sie, das sind Muster aus der Mexicana-Serie“, sagt Felger in seinem Atelier, einer alten Kapelle am Stadtrand von Mössingen, und holt einen Stapel Stoffmuster hervor. Zärtlich streichelt er darüber.

In fast jedem deutschen Haus habe Pausa Spuren hinterlassen

Wie das Textile in der Kunst von Felger nachwirkt, zeigt jetzt eine Ausstellung, die seit dem Wochenende in der Mössinger Tonnenhalle zu sehen ist. Africana hieß zum Beispiel eine von ihm gestaltete Serie. Wie viele Vorhänge wurden daraus wohl geschneidert? Wie viele Sofas damit bezogen? In fast jedem deutschen Haus habe Pausa Spuren hinterlassen, glaubt Berner.

„Es geht nicht um Kunst, denn das sind ja Gebrauchsgegenstände, aber Pausa hat immer aus der Kunst geschöpft“, sagt Karl Höing, Professor für Textildesign an der Stuttgarter Kunstakademie. Auch er hat zeitweise bei Pausa gearbeitet und wundert sich, dass die Bedeutung der Firma so wenig bekannt ist. Vielleicht hängt dies mit der Verfügbarkeit des Produktes Stoff zusammen. Was ist schon ein Vorhang?

„Nehmen Sie ihn mal weg, dann erkennen Sie seinen Wert“, sagt Höing. Die kunstsinnigen Pausa-Chefs hätten jedenfalls schon viel früher als andere die jeweils moderne Formensprache begriffen. Höing: „Ein Großteil der Stoffe war für ihre Zeit bahnbrechend.“

Bekleidungsstoffe, Bettwäsche, Kissen, Schlafanzüge

Dass davon nicht nur Omas Küchenfenster profitierte, liegt nahe. Für große Theaterbühnen (in Stuttgart etwa, Salzburg oder Mannheim) lieferte Pausa die Vorhänge. Später fertigte man auch Bekleidungsstoffe, Bettwäsche, Kissen, Schlafanzüge. Selbst sogenannte Hungertücher, riesige, kunstvoll bedruckte Stoffbahnen, mit denen die Katholiken in der Fastenzeit ihre Altäre bedecken, entstanden hier.

Man muss also nach Mössingen. Das Problem der Stadt ist: Sie kann von Pausa noch nicht viel zeigen. Ihr gehört zwar das Gesamtensemble, dessen Abbruch 2005 gerade noch verhindert wurde, nachdem ein Unternehmer das Gelände zunächst gekauft hatte. Auch sind die Stoffe mit finanzieller Hilfe des Landes und der Wüstenrot-Stiftung mittlerweile geordnet und archiviert. Doch die Sammlung schlummert im Archiv, und die meisten Gebäude sind unzugänglich.

„Da brauchen wir noch einen langen Atem und viel Geld“, sagt Mössingens OB Michael Bulander zu den Nutzungsmöglichkeiten. Ob und wann es ein Pausa-Museum geben wird, steht jedenfalls in den Sternen.

1933 folgte Pausa-Belegschaft als einzige deutschlandweit KPD-Aufruf zum Generalstreik

Mössingen muss kleine Brötchen backen. Im Kesselhaus soll demnächst ein Café entstehen, und für Herbst ist eine erste Ausstellung zur Firmengeschichte geplant. Das Theater Lindenhof hat die Ausrüstungshalle (jene mit dem eleganten Schwung) schon erfolgreich bespielt – mit einem Stück über den hiesigen Arbeiteraufstand. Bei Hitlers Machtergreifung 1933 war nämlich die Pausa-Belegschaft als einzige deutschlandweit dem KPD-Aufruf zum Generalstreik gefolgt. Noch eine der wenig bekannten Facetten von Mössingen . . .

Daneben gibt es ein beachtliches ehrenamtliches Engagement. So widmet sich ein Forschungsverein der jüdischen Geschichte von Pausa. Das Unternehmen war nämlich 1919 auf der Basis einer bestehenden Weberei von der jüdischen Unternehmerfamilie Löwenstein gegründet worden. Sie nannte es Pausa – nach dem gleichnamigen Ort im sächsischen Vogtland, wo die Löwensteins zuvor einen Betrieb besessen hatten.

Schon vor dem Krieg gingen Künstler hier aus und ein: Alte Fotos zeigen zum Beispiel Helene Löwenstein mit dem Stuttgarter Maler Oskar Schlemmer. Doch Arbeiten aus jener Zeit sind fast keine mehr vorhanden.

1936 wurde die Familie enteignet, sie floh aus Deutschland. Auch dieses Nazi-Unrecht und der Profit der späteren Eigentümer sind Teil der bewegenden Firmengeschichte. Erst vor zwei Jahren gelang es dem Forschungsverein, einige Nachfahren der Löwensteins ausfindig zu machen und zu einem Treffen in Mössingen zu bewegen. Zur Firmengeschichte gibt es eigentlich Tausende Zeitzeugen. Berner: „Aus fast jeder Mössinger Familie arbeitete jemand bei Pausa.“