Landesbischof Frank Otfried July (rechts) im Gespräch mit Kiosk-Besuchern in Gablenberg Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Landesbischof Frank Otfried July ist überzeugt: „Wir können Kirchentag.“ Was die Kirche noch alles kann und muss, hat er mit einer besonderen Gemeinde besprochen – im Gablenberger Kiosk der Familie Schünemann.

Stuttgart - Es geschieht wahrscheinlich nur selten, dass in Karins Presse Ecke, jenem kleinen Kiosk an der Gablenberger Hauptstraße, die ganz großen Fragen der Welt verhandelt werden. Am Freitagvormittag passiert aber genau das. Und das liegt an einem Mann, der an diesem Tag nicht von der hohen Kanzel herab predigt, sondern sich mitten unter seine Schäfchen mischt: dem evangelischen Landesbischof Frank Otfried July. Die Stuttgarter Nachrichten hatten geladen, um mit ihm und den Lesern über drängende Fragen zu sprechen. Über Flüchtlingspolitik, den Kirchentag oder schwindende Mitgliederzahlen der Kirche.

July faltet die Hände ineinander. Wie soll man auf so eine Frage reagieren? „Ich habe die These, dass die Religion den Fortschritt des Menschen verhindert“, wirft Leser Walter Müller mit Verve in die Runde. Er sei da ganz bei dem Philosophen Ludwig Feuerbach, der sich als Atheist verstand und damit von der Nichtexistenz Gottes ausging. Der Landesbischof nickt, öffnet die Hände, kurz liegt etwas sehr Pastorales in seiner Mimik, und sagt: „An Religion vorbei kann es keinen Humanismus geben.“

Ganz große Fragen

Das ist einer jener Momente, in denen Moderator und StN-Redakteur Martin Haar das Wort ergreift, um das Gespräch voranzutreiben – zum nächsten Thema. Denn die ganz großen Fragen der Menschheit lassen sich in dem zweistündigen Gespräch, inmitten von Kugelschreibern, Frauenmagazinen und Tageszeitungen, selbstredend nicht auflösen. Die Diskussion aber streift immer wieder Aspekte, die die Gäste bewegen.

Zum Beispiel den Leser Federico Busarello, Ingenieur im Stuttgarter Osten, den vor allem die Haltung des Kirchenmanns zur Flüchtlingspolitik interessiert. „Ich habe den Eindruck, dass die Entwicklungspolitik vieles verbockt hat. Ich habe selbst eine Zeit lang in Afrika gearbeitet. Hier ist doch jetzt die ganze EU und nicht nur Deutschland in der Pflicht.“ Frank Otfried July beteuert, dass seine Kirche versuche, auf mehreren Ebenen zu helfen: einerseits direkt hier in der Region, andererseits in den Ländern, in denen die Verhältnisse die Menschen zur Flucht drängen. „Wir sind bemüht, mehr Orte für Begegnungen zu schaffen.“ Im Übrigen beobachte er, dass das Engagement für Flüchtlinge in der Bevölkerung glücklicherweise gewachsen sei. „Anfang der neunziger Jahre habe ich das ganz anders erlebt. Dennoch ist es wichtig, dass diese Stimmung nicht kippt und in Ausländerhass umschlägt“, so der Landesbischof.

„Zeiten der Veränderung“

Das lässt den Leser Werner Alexander das Wort ergreifen, der Julys Beobachtung mit einem persönlichen Beispiel untermauert. „Ich wohne in einem kleinen Dorf bei Tübingen, in dem nun auch Flüchtlinge wohnen“, berichtet der 64-Jährige. Dort hätten die Einwohner sofort nach der Ankunft einen Freundeskreis gegründet und zum Beispiel eine Kleiderkammer eingerichtet. „Der Umgang ist sehr angenehm, und es funktioniert gut“, sagt Alexander.

Moderator Haar stößt das nächste Thema an: „Halten Orgel, Gebetsbücher und Talar die Leute davon ab, in die Kirche zu gehen?“ Der Landesbischof dreht es ins Positive: „Ja, wir befinden uns in Zeiten einer Veränderung“, sagt er. Die Kirche sei in einer Phase, in der Tradition nicht mehr so stark binde wie früher. „Deshalb müssen wir flexibler werden – ohne dabei unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren.“ Wenn sich junge Menschen vom Gospel-Singen angesprochen fühlen, dürfe man dies nicht ausblenden.

Die Klingel an der Eingangstür des Kiosks läutet. Die Umgebung, die Aktenordner, Schreibwaren und Zeitschriften erinnern July an seine Kindheit, sagt er. „Ich bin in Darmstadt aufgewachsen. In einem Haus, in dem unten eine Papeterie gewesen ist.“ Der Inhaber des Geschäfts sei ein gewisser Herr Riedel gewesen. Ein Schwabe. Das war die erste Verbindungslinie zwischen ihm, dem heutigen Landesbischof, und dem Schwabenland. „Auch wenn ich in dieser Zeit natürlich noch keine Ahnung davon hatte, was es bedeutet.“

Die Brücke in die Gegenwart schlägt Redakteur Haar. Thema Kirchentag. „Hängt es an der schwäbischen Mentalität, dass wir so lange brauchen, bis wir genügend Gräbele für die Besucher haben?“ Nein, das sicher nicht, antwortet July. „Aber ja, die Suche nach den Betten gestaltet sich tatsächlich zäher als erwartet.“ Man dürfe aber nicht unterschätzen, sagt July, dass in der Zeit des Kirchentags gerade Pfingstferien seien und deshalb wohl viele Menschen verreist. Sein Pressereferent kann dennoch eine gute Nachricht verkünden: „Wir haben gerade erfahren, dass nun nur noch weniger als 1000 Betten gesucht werden.“ Der Landesbischof folgert daraus: „Wir können Kirchentag.“