Nimmt kein Blatt vor den Mund: Günther Oettinger Foto: dpa

EU-Kommissar Günther H. Oettinger beklagt beim Stuttgarter Stiftungstag politischen Stillstand in Deutschland und fordert eine Diskussion über die Rente mit 70.

Stuttgart - Günther H. Oettinger (CDU) hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident und jetzige EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft redete auch Klartext, als er beim Stuttgarter Stiftungstag die politische Lage in Deutschland beleuchtete. Denn ihm gefalle überhaupt nicht, was in der Bundesrepublik auf der Tagesordnung stehe: „Zum Beispiel die Frühverrentung. Und jetzt auch noch die Maut“, stöhnte Oettinger und schickte die einigermaßen brisante Forderung hinterher: „Stattdessen müssen wir über einen Renteneintritt mit 70 nachdenken.“

Oettinger beklagt vor allem die „Stillstandskultur“ in der deutschen Politik. Deutschland, vor zwölf Jahren noch der kranke Mann, habe mit notwendigen Reformen wie der Agenda 2010 und längeren Arbeitszeiten reagiert und stehe jetzt auf dem Zenit: „Stärker waren wir nie und werden wir nie wieder sein“, bilanzierte Oettinger. Plakativ beschrieb er den Stillstand, der alles blockiere und ihm Sorgen mache: „Wir wollen Windräder, die man nicht sieht, Stromkabel, die unter der Erde verlaufen und eine Industrie, die nicht lärmt und stinkt.“ Dieser Prozess der De-Industrialisierung mache ihm Sorgen, warnte Oettinger und nannte als Beispiel, dass er seit Jahren auf der Fahrt von Brüssel nach Stuttgart auf die immer gleichen Funklöcher treffe. Dazu seien zwei gravierende Fehler gemacht worden: „Zu viele Schulden und zu wenig Kinder.“

Europa habe nur sieben bis acht Prozent der Weltbevölkerung, rechnete Oettinger vor. Um die Welt von morgen bei allen relevanten Fragen wie Klimaschutz und Friedenssicherung mitbestimmen zu können und nicht den großen Mächten wie den USA und China überlassen zu müssen, sei europäische Teamarbeit nötig. Umso mehr, als die europäischen Staaten alarmierend von Konflikt- und Brandherden umzingelt seien. „Jeder muss mehr tun“, forderte Oettinger . Sei es als Mandatsträger oder als Stifter, „auf die wir stolz sein können“.

Zum 17. Mal hatte der Initiativkreis Stuttgarter Stiftungen zum Stiftungstag mit Workshops über Möglichkeiten und Probleme eingeladen. „Der Initiativkreis“, betonte Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) in den Räumen des Sparkassenverlages, „hat auch die Aufgabe, die Bereitschaft zum Stiften durch Werbung zu fördern. „Stiften“, erfüllte er selbst diese Aufgabe, „ist die beste und beruhigendste Form der Vermögensdisposition. Der Stifter könne obendrein sicher sein, dass sein Wille dauerhaft verwirklicht werde. „Es gibt“ so Föll, „vielfältige Aufgaben, die nicht von der öffentlichen Hand wahrgenommen werden können und wollen. Hier ist das aktive bürgerschaftliche Engagement durch Stiftungen unerlässlich.“