In der Gastronomie werden Umsätze oft über Kassen gebucht, die der Staat kaum kontrollieren kann. Die Steuerausfälle gehen in die Milliarden. Foto: dpa-Zentralbild

Wer als normaler Arbeitnehmer Einnahmen erzielt, kommt am Fiskus nicht vorbei. Doch wer den Großteil seiner Einnahmen in bar erzielt, wird geradezu in Versuchung geführt, den Staat auszutricksen.

Stuttgart - Nach ein paar Bier rückt Manuel S. mit seinem Geheimnis heraus. „Eigentlich bin ich ein ehrlicher Mensch“, sagt der Student und Gastwirt. „Aber wenn ich mit meiner Kneipe eines gelernt habe, dann das: dass man damit in diesem Staat nicht immer weit kommt.“ Deshalb betreibt er in seiner gepachteten Gaststube seine eigene Form der Buchführung. Ist der letzte Gast gegangen, legt er ungefähr die Hälfte der Einnahmen in eine Geldkassette und trägt deren neuen Kassenstand in den Kassenbericht fürs Finanzamt ein. Vom zurückbehaltenen Geld dagegen wird der Fiskus nie etwas zu sehen bekommen.

Das Risiko, mit dieser illegalen Masche aufzufliegen, ist fast null. Selbst wenn sich einmal ein Betriebsprüfer in seine Kneipe verirren sollte, was statistisch alle 70 bis 100 Jahre passiert, wird es diesem kaum möglich sein, dem Wirt etwas nachzuweisen. „Egal, wann der Prüfer kommt, die Kasse stimmt immer. Ich darf es nur nicht übertreiben.“ Solange die verbuchten Einnahmen halbwegs zu dem passten, was er für seine Wareneinkäufe von der Steuer absetze, könne man ihm und seinen Kollegen kaum etwas anhaben. Denn in Geschäften, die – wie seine Kneipe – überwiegend Laufkundschaft haben, reicht es aus, einmal abends einen Kassensturz vorzunehmen.

„Beim Steuerbetrug geht es nicht nur um ein paar schwarze Schafe“

Auch Klaus Baldauf ist Gastronom. Er besitzt mehrere Hotels und Gaststätten, unter anderem in Friedrichshafen und Ravensburg. Hauptberuflich allerdings arbeitet der promovierte Jurist als Fachanwalt für Steuerrecht und betreibt in Ravensburg eine Kanzlei. Was Baldauf als Gastronom erlebt, macht ihn als Jurist fassungslos. „Die Vorstellung, dass nur ein paar arme Schlucker durch Betrug mit Bargeldgeschäften ihr Einkommen aufbessern, ist naiv“, fasst er seine Erfahrungen zusammen. „Es sind nicht einige schwarze Schafe, die sich so verhalten, es ist die Masse.“ Und damit werde „richtig Geld gemacht“.

Für ihn selbst, sagt er, kommen krumme Geschäfte nicht infrage, schon wegen seines Hauptberufs. Trotzdem begegnen ihm fragwürdige Praktiken auf Schritt und Tritt. So hatte er einmal mit einem Verkäufer von Registrierkassen zu tun, der ihm erklärte, ohne illegale Zusatz-Software würde er auf jeder zweiten Kasse sitzenbleiben. Eine solche Software erstellt abends, wie legale Programme auch, einen sogenannten Z-Bon, der die Tageseinnahmen zusammenfasst. Doch für den illegalen Bon wird ein Teil der Umsätze nachträglich wieder gestrichen und so vor dem Finanzamt versteckt. „Die besten Programme haben sogar einen Schieberegler, mit dem man stufenlos einstellen kann, um wie viel man den Staat betrügen will“, sagt Baldauf sarkastisch.

Heutige Kassen sind grundsätzlich manipulationsanfällig

„Vorhandene Kassensysteme sind grundsätzlich nicht manipulationssicher“, bestätigt ein Sprecher des Landesfinanzministeriums. Manipulation werde allerdings verfolgt. So hätten die 60 spezialisierten Kassensystem-Prüfer im Land im vergangenen Jahr bei 384 geprüften Betrieben Steuernachzahlungen von 9,4 Millionen Euro erzielt. Das sind 24 500 Euro je Betrieb. Auch gegen Programmierer und Verkäufer illegaler Software gehe das Land vor.

Nur selten geht es Betrügern an den Kragen

Die Hinterziehung hat allerdings eine ganz andere Dimension. Auf zehn Milliarden Euro jährlich schätzte der Bundesrechnungshof schon vor 14 Jahren den Steuerausfall durch eine unzureichende Erfassung von Bargeldgeschäften, wie sie etwa in Handel, Gastronomie und Taxigewerbe betrieben werden. Seither wurde das Bankgeheimnis weitgehend abgeschafft, Bayern-Präsident Uli Hoeneß ins Gefängnis geschickt und die diplomatischen Beziehungen zur einstigen Steueroase Schweiz aufs Spiel gesetzt. Doch um den Umgang mit der Massenhinterziehung bei Bargeldgeschäften machte der Gesetzgeber stets einen weiten Bogen. Erst im vergangenen Jahr beschloss der Bundestag ein Gesetz, das strengere Regeln für die Versteuerung von Bargeldgeschäften enthält. Jetzt werde „gezinkten Kassenaufzeichnungen ein Riegel vorgeschoben“, freute sich seinerzeit Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium.

Das Schlupfloch hat die Größe eines Scheunentors

Das sieht Baldauf ganz anders. Zwar müssten elektronische Registrierkassen nun in der Tat so umgerüstet werden, dass nachträgliche Datenmanipulationen unmöglich sind. Aber das Wichtigste, um den neuen Regeln ausreichend Geltung zu verschaffen, habe man bewusst weggelassen: eine Verpflichtung, überhaupt eine elektronische Kasse zu verwenden. „Das ist kein Schlupfloch, das ist ein Scheunentor.“

Wer seine Umsätze heute schon elektronisch bucht, stehe zwangsläufig vor der Entscheidung, die Kasse entweder nachzurüsten oder abzuschaffen. Baldauf hält es durchaus für möglich, dass das Gesetz zu einem Rückzug in die Schubladenkasse führen wird. Denn wer ab 2020, in manchen Fällen ab 2023, noch eine elektronische Kasse nutzt, kann nur noch betrügen, indem er Kunden eine Quittung verweigert und Umsätze vor den Augen der Kunden an der Kasse vorbeischleust. Ein hohes Risiko, zumal das Finanzamt künftig bei der sogenannten Nachschau unangekündigt vor Ort nachprüfen darf, ob die gerade erzielten Verkaufserlöse auch in die Kasse eingetippt wurden.

Wer aber als Mogler auf die elektronische Kasse verzichtet und erst am Abend abrechnet, hat davon nichts zu befürchten. „Umsätze, die nicht in der Kasse landen und für die es keine Belege gibt, können im Rahmen einer Nachschau nicht festgestellt werden“, bestätigt ein Sprecher des Landesfinanzministeriums. Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, sieht angesichts der Gesetzeslücken die „Gefahr, dass der ehrliche Unternehmer aus dem Markt fällt, während der steuerlich unehrliche Betriebsinhaber überlebt“.

Ein Anwalt aus dem Südwesten will vors Verfassungsgericht

Mit dieser Rechtslage will sich Baldauf weder als Jurist noch als Gastronom abfinden. Deshalb hat er beim Finanzgericht Baden-Württemberg Klage gegen den Steuerbescheid für seine Gaststätten eingereicht – mit dem Ziel, dass die Stuttgarter Richter den Bescheid direkt dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Seine Argumentation: Der Staat schöpfe seine Möglichkeiten, die Steuern gleichmäßig bei allen Bürgern einzutreiben, bewusst nicht aus. Damit bestehe in Deutschland ein „strukturelles Vollzugsdefizit“, welches das Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletze.

Bei der Anhörung zu dem Gesetz im vergangenen Jahr wurde allerdings klar, welche mächtigen Interessen sich für das Fortbestehen der Gesetzeslücken starkmachen. Unter den erklärten Gegnern einer Kassenpflicht sind Verbände wie der Deutsche Bauernverband, der Deutsche Fußball-Bund und der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Der Bauernverband argumentierte etwa, die Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte erfolge oft über Hofläden und Bauernmärkte, wo es teilweise keinen Strom für Registrierkassen gebe.

Baldauf hält diese Begründungen für vorgeschoben. „Der einzige Grund, warum wahrscheinlich 99 Prozent dieser Betriebe keine Registrierkasse haben, ist, nicht 100 Prozent der Einnahmen dem Fiskus gegenüber angeben zu müssen.“ Auch das Argument, durch die Pflicht zur lückenlosen Dokumentation würden ganze Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht gestellt, lässt Baldauf nicht gelten. „Jeder Arbeitnehmer und jeder Sparer steht heute unter Generalverdacht, weil er seinen Lohn und seine Zinsen nicht selbst versteuern darf, sondern die Steuer direkt durch den Arbeitgeber oder durch die Banken einbehalten wird.“ Bargeldintensive Betriebe könnten dagegen versteuern, was sie wollen. „Sie gehören zu den wenigen, die bisher nicht unter Generalverdacht stehen.“

Auch die Steuergewerkschaft sieht ein massives Problem

Die Deutsche Steuergewerkschaft, die Fachgewerkschaft der Finanzverwaltung, übt ebenfalls massive Kritik am neuen Gesetzeswerk. Jeder Verwaltungspraktiker wisse, dass bei Barkassen vieles im Argen liege, erklärt deren Chef Thomas Eigenthaler. Es liege in der Natur der Sache, dass man die verschwiegenen Beträge nie exakt schätzen könne. „Aber jeder, der mit offenen Augen durch die Welt geht, weiß, dass es sich hier um ein massives Problem handelt“, so der Gewerkschaftschef, der als ehemaliger Leiter des Finanzamts Stuttgart III die Praxis aus eigener Anschauung kennt.

Baldauf zufolge geht es dabei längst nicht mehr nur um Steuerhinterziehung. Die Regelung begünstige auch Schwarzarbeit und Sozialmissbrauch. Denn das hinterzogene Geld eigne sich hervorragend, um damit illegale Beschäftigung zu finanzieren, die neben dem Fiskus auch die Sozialversicherungen schädigt. Trotzdem meinten viele Menschen, dass es sich bei der Hinterziehung im Gewerbe um ein Randphänomen handle. „Man glaubt das, weil man es glauben will und nicht besser weiß.“

Betrügereien begünstigen auch die organisierte Kriminalität

Dabei sind die Milliardenausfälle nach seiner Einschätzung noch nicht einmal das größte Problem für den Staat. Denn die laschen Regeln kämen auch der organisierten Kriminalität zugute. Schließlich lasse sich Bargeld dadurch nicht nur aus dem regulären Wirtschaftskreislauf herausziehen, sondern auch in diesen einschleusen. „Für die Geldwäsche ist das bargeldintensive Kleingewerbe perfekt geeignet“, sagt Jurist Baldauf, der vor Gericht auch in Steuerstrafverfahren auftritt. Schwarzgelder aus Drogen- oder Waffengeschäften werden einfach Tag für Tag in die Ladenkasse eingelegt, als gastronomischer Umsatz verbucht und so in kleinen Tranchen reingewaschen. Diese fingierten Umsätze bringen dem Fiskus sogar Mehreinnahmen, doch sie verwischen zugleich die Spur zu kriminellen Machenschaften.

Manche EU-Länder, die von Deutschland wegen ihrer laschen Haushaltsdisziplin angeprangert werden, sind bei der Versteuerung von Bargeschäften deutlich weiter. Italien hat seine Regeln verschärft, und selbst Griechenland hat, anders als Deutschland, bereits eine umfassende Pflicht zur Nutzung besonders gesicherter Registrierkassen mit versiegeltem Speicher eingeführt.

Doch so verbreitet Steuerbetrügereien auch sind – ein Restrisiko bleibt immer. Pech hatte etwa ein oberschwäbischer Geschäftsmann, der Prüfern bei deren Besuch einen manipulierten Z-Bon vorlegte. Allerdings hatte er vergessen, zuvor den Originalbeleg wegzuwerfen, den die Prüfer dann entdeckten. Prompt hatte er ein Verfahren am Hals, das ihn in die Pleite trieb. Und auch der Kassenverkäufer flog auf – er musste sich wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verantworten und für die Steuerschulden seines insolventen Kunden mithaften.

Läuft es für die Bargeld-Schummler richtig dumm, kann es sogar passieren, dass sie genauso besteuert werden wie ein normaler Arbeitnehmer. Aber das ist heute eher die Ausnahme. Auch deshalb drückt Eigenthaler dem Ravensburger Anwalt die Daumen für dessen Klage. Um dem massenhaften Betrug entgegenzutreten, brauche Deutschland einen „Aufstand der Ehrlichen“.